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Die Präsidentenwahl, die keine ist

Monika Griebeler, Vytenė Stašaitytė 10. Mai 2014

An diesem Sonntag wählen die Litauer ihren neuen Präsidenten. Oder vermutlich eher: Ihre alte Präsidentin. Denn Dalia Grybauskaitė, seit 2009 im Amt, gilt als haushohe Favoritin. Und das liegt nicht nur an ihr.

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Litauen Präsidentin Dalia Grybauskaite mit Verkleideten
Bild: R. Dačkus

Eigentlich ist alles wie immer: Ganz gelegentlich sticht die Frühlingssonne durch die Wolken und taucht die litauische Hauptstadt Vilnius in kaltes, klares Licht. Touristen fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys vor der Kathedrale St. Stanislaus und die Marktfrauen in der Halės turgavietė tauschen den letzten Klatsch aus.

Dieses Mal ist das aber eher Anlass zur Sorge: Denn Wahlplakate, Werbung, Stände, an denen Parteimitglieder Luftballons oder Kugelschreiber verteilen, sucht man fast vergebens. Dabei stehen am kommenden Sonntag (11.05.2014) in Litauen die Präsidentschaftswahlen an.

"Das habe ich noch nie gesehen", sagt selbst Litauens ehemaliger Präsident Valdas Adamkus. "Einen Wahlkampf gibt es aus meiner Sicht nicht. Sogar die sogenannten TV-Debatten: Sind das Debatten, wenn Menschen nacheinander ihr politisches Programm erzählen, statt miteinander zu diskutieren?"

Die Eiskönigin und die sechs Zwerge

Sieben Kandidaten für das Präsidentenamt gibt es - und die gut 2,5 Millionen stimmberechtigten Litauer wählen den neuen Landeschef direkt. Vermutlich wird aber auch hier alles so sein wie immer: Die parteilose Amtsinhaberin Dalia Grybauskaitė ist große Favoritin. In Umfragen der größten litauischen Tageszeitung "Lietuvos rytas" führt sie mit 40 Prozent der Stimmen. Dahinter die Kandidaten der Regierungskoalition: der Sozialdemokrat Zigmantas Balčytis und Artūras Paulauskas von der Arbeitspartei mit jeweils rund 10 Prozent.

Dalia Grybauskaite übt den Umgang mit eine Kanone auf einem Kriegsschiff
Strenge Eiskönigin - Grybauskaitė auf einem KriegsschiffBild: R. Dačkus

"Die Parteien in Litauen und das politische System stecken in einer tiefen Krise", sagt Vytautas Bruveris, Politikwissenschaftler und Kolumnist bei "Lietuvos rytas": "Seit mehr als zehn Jahren gelingt es ihnen nicht, neue führende Politiker großzuziehen. Die Parteien leiden nicht nur an einem Mangel an Persönlichkeiten, sondern auch an einem Defizit der politischen Programme, Ideen und des Willens für wichtige Reformen."

Grybauskaitė: vom Volk geliebt für ihre Strenge

Deshalb kann sich Grybauskaitė auch eine sparsame Kampagne leisten: kaum Plakate, kaum Werbung. Als amtierende Präsidentin hat sie so oft die Bühne, wie sie will. Früher wurde der Landeschefin vorgeworfen, dass sie sich zu selten unter den Bürgern zeigt. Im vergangenen Jahr wurden die Treffen mit dem Volk häufiger: Beim traditionellen Karneval Užgavėnės im Februar etwa probiert sie sich durch die Wurst- und Pfannkuchenstände, posiert mit verkleideten Gestalten und einer Horde Teenager. Doch man sieht, dass sie sich eigentlich viel wohler fühlt, wenn sie in einem Raum ist mit der politischen Elite - das heißt: führenden Figuren von EU und NATO.

Doch die Bürger lieben sie trotzdem - oder gerade deshalb: "Ihre Vision ist ein in den Westen integriertes Litauen, Teil der Eurozone, wirtschaftlich und politisch unabhängig von Russland", sagt ein 35-jähriger Marketingspezialist, der seinen Namen jedoch nicht nennen möchte, der DW. "Leider fehlen den anderen Kandidaten solche Visionen." Er hat schon in der Briefwahl für Grybauskaitė gestimmt. Rentnerin Monika Jakubauskienė aus der zweitgrößten Stadt Kaunas schätzt die Bildung der Präsidentin: "Sie ist in meinen Augen eine starke Persönlichkeit, die von anderen nicht leicht zu manipulieren ist. Sie spricht Fremdsprachen und hat einen guten Ruf, nicht nur in Litauen, sondern auch im Ausland."

Eine Säule mit Wahlwerbung auf einer leeren Fußgängerzone
Allein und verlassen - Wahlwerbung in VilniusBild: DW/V. Stašaitytė

Anderen Kandidaten mangelt es an Interesse

Kolumnist Bruveris sieht das kritisch: "Das Volk liebt Grybauskaitė abgöttisch. Aber Liebe macht bekanntlich blind." Die Wähler würden vergessen, von ihr zu verlangen, was den anderen Parteien fehlt: ein konkretes Programm. Ihre Meinung über konkrete wichtige Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitikfragen passe sie an die politische Konjunktur an.

"Zigmantas Balčytis hätte vielleicht nicht die schlechtesten Karten, wenn er sich Mühe geben würde, sich nicht so langweilig zu präsentieren", urteilt Bruveris. Der Sozialdemokrat sei nicht weniger kompetent als die Amtsinhaberin und die stärkste Partei stünde hinter ihm. Jedoch habe Balčytis, der seit 2009 im Europaparlament sitzt, eigentlich kein Interesse am Präsidentenamt - ähnlich wie der EP-Abgebordnete und Kandidat der "Wahlaktion der Polen Litauens", Waldemar Tomaszewski, sagt Bruveris: "Ihre Aufgabe ist es, die Teilnahme zu imitieren und damit bei der Europawahl zu profitieren." Die Wiederwahl auf europäischer Ebene als Ziel - und die gelegentlichen Debatten als Weg, um öfter präsent zu sein, die eigene Popularität zu stärken.

Manch Grybauskaitė-Fan hofft auf eine Stichwahl

Die einzig spannende Frage ist, ob es trotzdem eine Stichwahl geben wird. Das ist durchaus möglich: Denn, falls ja, findet diese am 25. Mai statt - zeitgleich mit der Europawahl. Politische Analysten vermuten, dass einige Wähler strategisch vorgehen werden, damit die Präsidentenwahl auch Leute zur Europawahl zieht.

Grybauskaitė bei einem Gipfel in Brüssel.
Für Europa - Grybauskaitė bei einem Gipfel in BrüsselBild: Reuters

Das betrifft vor allem Grybauskaitė-Anhänger, denn ihre Favoritin ist überzeugte Europäerin. Monika Jakubauskienė, die Rentnerin aus Kaunas will Grybauskaitė ihre Stimme zwar geben - aber erst in der zweiten Wahlrunde. Die erste, so hat die ehemalige Lehrerin entschieden, wird sie ausfallen lassen: "Ich finde es wichtig, dann den populistischen Parteien den Weg ins Europaparlament zu versperren."

2009 bei der letzten Europawahl war die Wahlbeteiligung nur in der Slowakei niedriger (19,6%) als in Litauen (21%). Das soll sich ändern, wenn es nach der Präsidentin geht. Aber auch für die Europawahl hängen kaum Plakate in den Straßen von Vilnius. Alles wie immer also.