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Politik und Kirche

Günther Birkenstock31. Oktober 2013

Der Reformator Martin Luther hat sich mit Leidenschaft in das politische Geschehen seiner Zeit eingemischt. Welche politische Verantwortung tragen die Kirchen heute und wo sollten sie sich besser heraushalten?

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Wegekreuz vor blauem Himmel (Foto: DW)
Bild: picture alliance/R. Goldmann

Mit dem Anschlag seiner aufklärerischen Thesen vor fast 500 Jahren hat Martin Luther politisch gehandelt, ob er das beabsichtigte oder nicht. Die von ihm eingeleitete Reformation hatte weitreichende Konsequenzen, führte zu Glaubenskriegen und veränderten Machtverhältnissen zwischen Kirche und Staat. Heute wird Luther oft als aufrechter Held verstanden, weil er beim Namen nannte, was andere sich nicht zu sagen trauten. Er kritisierte die Herrschenden und forderte mehr Verantwortung von jedem Einzelnen. Abgesehen von der Lichtgestalt Luthers, darf Kirche das? Politisch handeln. Oder muss sie es sogar?

Politische Verantwortung gehört zum Christsein

Für den Stadtdekan der katholischen Gemeinde Frankfurt am Main, Johannes zu Eltz, ist die Sache klar: "Ich denke, dass die Kirche ihrem Wesen nach politisch ist." Und das bedeute, so der Geistliche im Gespräch mit der Deutschen Welle, politische Verantwortung und politisches Engagement gehörten zum Christsein dazu. Eine politikferne oder politisch abstinente Christenheit hält der Frankfurter Stadtdekan für nicht vorstellbar. "Der Daseins-Auftrag der Kirche, also der Gemeinschaft der Glaubenden, ist nicht, in einem Streichelzoo hinter hohen Mauern mit Glasperlen zu spielen, sondern mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen und sich mit allen Kräften nach Maßgabe des Evangeliums für eine bessere Welt einzusetzen."

Der Stadtdekan von Frankfurt am Main, Johannes zu Eltz (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)
Johannes zu Eltz: Kirche ist ihrem Wesen nach politischBild: picture-alliance/dpa

Wo und wie sich der Einzelne engagiere, sei jedem selbst überlassen. Nur dürfe die Kirche dabei als Organisation nicht selbst im Vordergrund stehen, betont Johannes zu Eltz, sondern das soziale Ziel ihrer Mitglieder. Zu Eltz formuliert politisches Engagement nicht nur als Anspruch. Er ist Mitglied im Frankfurter Römerberg-Bündnis, einem Zusammenschluss von Kirchengemeinden, der jüdischen Gemeinde und sozialen Organisationen. "Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, der NPD und anderen neonationalsozialistischen Organisationen in Frankfurt den öffentlichen Auftritt mit friedlichen Mitteln schwer oder unmöglich zu machen."

Ein politisches Amt zu übernehmen, ist katholischen Geistlichen übrigens nach dem Kirchenrecht verboten. Daher sind in deutschen Parlamenten zwar evangelische Pfarrer und Theologen zu finden, aber keine katholischen. Politisches Engagement jedoch ist Katholiken erlaubt und nach Worten von Johannes zu Eltz auch geboten.

Die Kirche muss sich mehr für die Armen in Deutschland engagieren

Nach Meinung von Ulrich Kasparick, evangelischer Pfarrer in Hetzdorf in Mecklenburg-Vorpommern, muss sich die Kirche mehr auf zentrale soziale Fragen konzentrieren. Die Feiern zum Reformationstag seien oft oberflächlich und von modischen Trends beeinflusst. Kasparick kann auf 20 Jahre politische Arbeit zurückblicken. Unter anderem war er zwischen 2005 und 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Im April 2009 trat der studierte Theologe aus der SPD aus und wurde Landpfarrer in der Uckermark.

Ulrich Kasparick war Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, anschließend in gleicher Funktion im Bundesverkehrsministerium, bevor er aus der Politik ausstieg. Seit 2011 ist er Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde in Hetzdorf, Uckerland (Foto: Privat)
Ulrich Kasparick: Die Kirche muss sich um die zentralen sozialen Aufgaben kümmernBild: Privat

Die zentralen sozialen Fragen sind für ihn Asylpolitik, Fremdenhass und die Folgen von Hartz IV in Deutschland. "Wir können nicht einfach tatenlos zusehen, dass große Teile der Bevölkerung in die Armut rutschen", erklärt Kasparick im Gespräch mit der DW und fordert mehr klare Worte. "Ich vermisse in der Auseinandersetzung um die Folgen von Hartz IV, insbesondere in Ostdeutschland und den Industriegebieten Westdeutschlands, eine einhellige Stimme der christlichen Kirchen - der evangelischen und der katholischen - für eine Verbesserung der Situation der Menschen."

Kritik am deutschen Einsatz in Afghanistan

Margot Käßmann, frühere Bischöfin der evangelischen Landeskirche von Hannover und derzeit Luther-Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, fasst die politische Verantwortung der Kirchen noch weiter. Im Gespräch mit der Deutschen Welle zitiert sie Martin Luther: "Luther hatte ein Ideal von Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe. Er hat gesagt: "Jedes Kind soll lesen und schreiben lernen, damit es das eigene Gewissen schärfen kann und nicht darauf angewiesen ist, was andere ihm sagen."

Luther-Botschafterin und Ex-Bischöfin Margot Käßmann mit Lutherfigur (Foto: EKD Archiv)
Margot Käßmann: Jedes Kind soll Lesen und Schreiben lernen, damit es nicht darauf angewiesen ist, was andere ihm sagen.Bild: EKD/Schoelzel

Käßmann hatte im Jahr 2010 für eine große politische Diskussion gesorgt, als sie sagte: "Nichts ist gut in Afghanistan" und damit den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch kritisierte. "Wir haben so getan in Deutschland, als hätten wir ein technisches Hilfswerk nach Afghanistan geschickt, das Brunnen bohrt und Schulen für Mädchen baut. In Amerika habe ich mal erzählt, dass wir überlegen, ob das Krieg ist. Da haben die Amerikaner nur gelacht und gesagt: Na klar ist das Krieg - was denn sonst? Das haben die Deutschen lange nicht wahrhaben wollen."

Keine Parteipolitik

Und wo muss sich Kirche zurückhalten? Hierin sind sich Margot Käßmann, Ulrich Kasparick und Johannes zu Eltz einig. Sie sollten keine parteipolitischen Statements abgeben, so wie das nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus noch der Fall war, als Pfarrer von der Kanzel herab für bestimmte Parteien warben. "Das ist nicht Aufgabe der Kirchen, sondern der mündige Bürger muss wissen, was er wählen will.", betont Margot Käßmann und plädiert für eine stärkere Debattenkultur. "Vielleicht müssen das Kirche und Politik neu lernen, dieses leidenschaftliche Auseinandersetzen, das Ringen um Themen und Lösungen. Dieser Streit um die Wahrheit kann auch in der Kirche stattfinden, und zwar ohne dass sich Menschen gegenseitig das Christsein absprechen."