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Die Partei der Macht sitzt fest im Sattel

Ute Schaeffer30. März 2002

"Es ist nicht wichtig, wie die Leute stimmen, aber es ist wichtig, wer die Stimmen zählt." Dieser Satz des sowjetischen Diktators Josef Stalin lässt sich auch auf die Wahl in der Ukraine anwenden, meint Ute Schaeffer.

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Die Methoden sind inzwischen feiner geworden: An die Stelle plumper Fälschungen am Wahltag ist die Manipulation im Vorfeld der Wahlen getreten. In der Ukraine findet sie in allen Bereichen des öffentlichen Lebens statt: Lokale TV-Stationen beschränken sich auf die Bekanntgabe eines einzigen Parteiprogramms; Direktkandidaten kaufen sich vor Ort die Stimmen ihrer Wähler, in dem sie armen Rentnern etwas Keingeld zahlen; missliebigen Medien wird die Steuerpolizei auf den Hals gehetzt. Gleichzeitig wird der Zugang zu Informationen gezielt eingeschränkt - zum Beispiel durch die Schließung von Internetcafés, die Nichtvergabe von Lizenzen an Radiosender und Fernsehstationen.

Das ukrainische Wahlgesetz beeindruckt nur auf dem Papier. Der Verlauf des Wahlkampfes hat dagegen gezeigt, dass sich hier ein politisches System nur nach nach außen demokratisch gibt, während nach innen alte sowjetische Muster wiederholt werden. Ein vordemokratisches System, in dem der Präsident den Angestellten der öffentlichen Verwaltung per Erlass verordnet, für wen sie zu stimmen haben. In dem auf den Listen der Direktkandidaten namensgleiche "Doppelgänger" auftauchen, die den Wähler in die Irre leiten sollen. Und in dem künstlich eine überdimensionale Parteienlandschaft mit insgesamt mehr als 120 Bündnissen herangezüchtet wurde, deren programmatische Unterschiede mitunter kaum erkennbar sind.

Die Parlamentswahlen zeigen schon jetzt, wo die Ukraine heute, mehr als zehn Jahre nach der Unabhängigkeit, steht - nämlich mit einem Fuß in der sowjetischen Vergangenheit. Das Land ist seit Jahren Mitglied des Europarates, es pflegt eine "strategische Partnerschaft" mit der Europäischen Union - doch seine politische Elite denkt immer noch vielfach antidemokratisch.

Seit der Wiederwahl von Präsident Leonid Kutschma vor mehr als zwei Jahren ist das System noch repressiver geworden. Von der demokratischen Aufbruchstimmung zu Beginn der neunziger Jahre ist wenig zu spüren. Jede Opposition wird unmittelbar und unnachsichtig erstickt. Veränderungen geschehen nur langsam, denn sie gefährden die Privilegien der "Partei der Macht", der alten Elite aus kommunistischer Zeit.

Es gibt nur wenige Änderungen, die zumindest Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen. Die wohl wichtigste: das politische Interesse ist gestiegen. Gerade junge Leute sind politisch aktiv, gründen Parteien oder arbeiten dort mit. Deshalb rechnen Analysten auch mit einer relativ hohen Wahlbeteiligung. Eine zweite wichtige Veränderung: Die Kommunisten, die vor allem von älteren Menschen unterstützt werden, verlieren ihre Basis. Dadurch ist in den vergangenen Jahren Raum entstanden für neue politische Kräfte. Im Osten des Landes, in dem bei den Präsidentschaftswahlen mehr als die Hälfte der Wähler für den kommunistischen Kandidaten stimmte, dürfte das Ergebnis diesmal weit weniger deutlich ausfallen. Der als prowestlich geltende Viktor Juschtschenko kommt dort in Meinungsumfragen auf immerhin rund 15 Prozent.

Gerade das Beispiel Juschtschenko zeigt aber auch, dass im politischen System der Ukraine nicht das Parlament, sondern der Präsident das Sagen hat. Juschtschenko hat erkannt, dass ohne die Unterstützung des Präsidenten in der Ukraine kein politisches Mandat zu gewinnen ist. Der ehemalige Regierungschef, den viele schon in der Rolle des charismatischen Oppositionsführers sahen, ist auf Kompromisskurs zum Präsidenten gegangen. Reale Oppositionskräfte gibt es in der Ukraine kaum. Sie werden - wie Sozialistenchef Aleksandr Moros oder die ehemalige Vize-Regierungschefin Julia Timoschenko - systematisch an den Rand gedrängt. Kutschma seinerseits folgt dem russischen Beispiel. Er hat ein politisches Bündnis geschaffen, die "Partei für eine einige Ukraine". Diese Partei wird - wie könnte es anders sein - vom Chef der Präsidialadministration geleitet und kann mit der finanziellen und moralischen Unterstützung des Präsidenten rechnen. Deshalb, und nur deshalb wird dieses Bündnis bei den Wahlen gut abschneiden.

Die Parlamentswahlen zeigen, dass politische Veränderungen im postsowjetischen System der Ukraine letztendlich nur durch einen Generationswechsel erreicht werden können. Das versucht die alte Elite zur Zeit noch zu blockieren oder wenigstens hinaus zu zögern. Die Mehrheit im Parlament wird deshalb auch nach den Wahlen der "Partei der Macht" gehören.