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Die OSZE als Hoffnungsträger der Stunde

Alois Berger6. Mai 2014

Jahrelang fristete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein Schattendasein. In der Ukraine-Krise gilt sie plötzlich als wichtigster Vermittler - auch wenn sie kritisiert wird.

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OSZE Beobachter in Ukraine, Foto: Afp
Bild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

Die OSZE rüstet sich zum Großeinsatz. Rund 400 Beobachter, Verhandler und Militärexperten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sind bereits in Kiew und anderen ukrainischen Städten, vor allem im umkämpften Osten des Landes. Geht es nach Lamberto Zannier, dem Generalsekretär der OSZE, dann werden in den nächsten Wochen gut 1300 weitere OSZE-Beobachter in die Ukraine reisen.

Allein für die Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen am 25. Mai will die Organisation 1000 Leute über das ganze Land verteilen. Dazu kommen noch die Mitglieder der zivilen Beobachtermission, die von den 57 OSZE-Mitgliedsstaaten Ende März zur Beruhigung der Auseinandersetzungen in der Ostukraine beschlossen wurde. 500 Männer und Frauen sollte diese Mission umfassen, doch die Mitgliedsstaaten zögern. "Wir haben bisher 150 Leute, um ein riesiges Gebiet zu kontrollieren", klagt Generalsekretär Zannier, "ich hätte gerne doppelt und dreimal so viele in den nächsten Monaten, aber dafür brauche ich die finanzielle und personelle Unterstützung der Mitgliedstaaten."

OSZE Generalsekretär Lamberto Zannier Foto: Itar-Tass
OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier will mehr Leute für die Einsätze in der UkraineBild: picture-alliance/dpa

Aber nicht nur die Beobachter sind in der Ukraine unterwegs. Von Mitte März bis Mitte April suchten 15 internationale Verhandlungsexperten in der Ostukraine nach Möglichkeiten, die Bevölkerung und die Konfliktparteien in konstruktiven Dialog zu bringen. Derzeit werden die Ergebnisse ausgewertet und sollen möglichst bald zu konkreten Vorschlägen führen, wie vertrauensbildende Maßnahmen aussehen könnten, um die Spannungen zwischen den pro-russischen und pro-ukrainischen Teilen der Bevölkerung wieder abzubauen. Und dann sind da noch die kleinen Gruppen militärischer Beobachter, die immer wieder mal unterwegs sind und die seit der Geiselnahme vor zwei Wochen besonders in der Kritik stehen.

West und Ost auf Augenhöhe

Dass die OSZE, die jahrelang fast vergessen war, jetzt in der Ukraine-Krise plötzlich zum Schlüsselspieler aufgestiegen ist, hat einen einfachen Grund: Sie ist neben dem Europarat in Straßburg die einzige Organisation, in der sich alle beteiligten Länder auf Augenhöhe begegnen. "Sie wird nicht als Partei gesehen, wie die NATO und mittlerweile auch die EU", meint der OSZE-Spezialist Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: "Die OSZE schließt alle ein und alle sind gleichwertige Mitspieler, das gibt ihr eine Chance." Im Gegensatz zu EU und NATO, aber auch zum Europarat, verfüge die OSZE über die nötigen Werkzeuge, um bei Konflikten wie in der Ukraine zu vermitteln: "Sie hat Erfahrung im Krisenmanagement."

Wolfgang Richter, Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik Foto: Privat
"Die OSZE schließt alle ein - das ist ihre Chance". Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: SWP

Entscheidend für jede Lösung des Konfliktes wird die Einbindung Russlands sein. Das ist die aktuelle Stärke der OSZE: Moskau ist nicht nur Mitglied in der OSZE, die russische Regierung hat offenbar auch Vertrauen in die Unparteilichkeit der Organisation. Nur deshalb konnte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den russischen Präsidenten Wladimir Putin im März dazu bewegen, der großen OSZE-Beobachtermission in der Ukraine zuzustimmen. Russland hat nicht nur auf sein Veto verzichtet, Russland beteiligt sich auch an der Finanzierung dieser Mission und hat eigene Teilnehmer geschickt.

Russland hofft auf Gegenleistung

Russland habe sich überzeugen lassen, dass eine Beobachtermission in der Ukraine auch im Interesse Russlands sei, meint Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Das war schon deshalb ein positives Signal, weil man ja nicht annehmen darf, dass in Anwesenheit so vieler internationaler Beobachter eine russische Intervention stattfinden würde." Ob sich Moskau selbst Vorteile aus dieser Mission ausrechnet oder ob die russische Regierung einfach nicht als Kriegstreiber dastehen wollte, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander. "Das war vielleicht die russische Strategie zu demonstrieren, dass Moskau bereit ist mitzuhelfen, die Spannungen abzubauen", meint Erwan Fouéré vom Center for European Policy Studies in Brüssel, "und zwar auf der Basis klarer Bedingungen, mit denen konstitutionelle Reformen auf den Weg gebracht werden können." Mit anderen Worten, Russland erhofft sich im Gegenzug möglicherweise Unterstützung bei seinem Bemühen, die Ukraine zu einem Föderalstaat mit starken Rechten für die russisch-sprachige Bevölkerung umzubauen.

Wahlbeobachter in Gefahr

Wenn der derzeit amtierende Präsident der OSZE, der Schweizer Didier Burkhalter, an diesem Mittwoch (07.05.2014) zu Gesprächen nach Moskau reist, dann wird er genau diese Unabhängigkeit betonen. Burkhalter will die russische Regierung unter anderem für die Unterstützung der Wahlen in der Ukraine gewinnen, Wahlen, die Putin bislang ablehnt und deren Ergebnisse er nicht anerkennen will. Burkhalter wird sicher auf die lange Tradition der OSZE bei der Unterstützung demokratischer Wahlen verweisen und auf die Notwendigkeit, gemeinsam für Sicherheit und Transparenz einzutreten.

Ein deutscher OSZE-Beobachter geht zwischen Autos Foto: Reuters
Ein deutscher OSZE-Beobachter nach der Freilassung durch ukrainische GeiselnehmerBild: REUTERS

Die russische Unterstützung wäre umso wichtiger, als sich die Sicherheitslage in der Ukraine in den letzten Tagen dramatisch verschlechtert hat und die OSZE um Leben und Gesundheit der Wahlbeobachter fürchten muss. Wahlbeobachtung gehört seit langem zu den Kernaufgaben der OSZE, für die im Grunde kein ausdrücklicher Beschluss der 57 Mitgliedsländer notwendig ist. Doch ohne Zustimmung Russlands zu den Wahlen ist zu befürchten, dass die pro-russischen Kräfte in der Ukraine sich ermuntert fühlen könnten, OSZE-Beobachter als Geiseln zu nehmen.

Die Geiselnahme vor allem deutscher und schwedischer OSZE-Beobachter vor zwei Wochen hat die Organisation aufgeschreckt und in Deutschland zu heftiger Kritik an der Entsendung von Militärpersonal in Krisengebiete geführt. OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier legt Wert auf die Feststellung, dass die Mission in voller Übereinstimmung mit den OSZE-Vorschriften ablief. Im Gegensatz zu großen Einsätzen, bei denen alle 57 Mitgliedsländer zustimmen müssen, brauchen kleinere Einsätze nach dem Wiener Dokument keine ausdrückliche Genehmigung.

Erwan Fouere in Slowenien Foto: AP
Erwan Fouéré: Rätseln über Russlands Interesse an OSZE-MissionenBild: picture alliance/AP Photo

Autismus der Rebellen

Solche Einsätze wurden 1990 in Wien beschlossen. Sie sollen vor allem unabhängige Informationen über militärische und zivile Vorgänge liefern, die zu Spannungen führen könnten. Dafür gebe es klare Abmachungen und Mechanismen, erklärt Zannier: Die Ukraine habe die OSZE gebeten, kleine Beobachtergruppen zu schicken, die OSZE habe zugestimmt und im Kreis der Mitglieder gefragt, wer bereit sei, Teilnehmer zu stellen: "Diese Mission kann nicht durch das Veto eines Mitgliedsstaates blockiert werden, weil es auf einem gemeinsamen Vorab-Beschluss basiert, der im Konsens gefasst wurde." Generalsekretär Zannier weist auch die in Deutschland verbreitete Ansicht zurück, dass man bei solchen Einsätzen auf Militärpersonal verzichten sollte: "Es ist wichtig, dass da auch Leute dabei sind, die sich mit Waffen auskennen und sofort sehen, um welche Systeme es sich handelt."

Diese sogenannten "Verification Missions" werden zudem allen OSZE-Mitgliedsländern mitgeteilt. Auch Russland wusste also von dieser Gruppe deutscher und schwedischer Soldaten in der Ukraine, meint Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Das Problem ist, dass Rebellen das nicht wissen, dass Rebellen ein bisschen autistisch sind und sich um internationale Abmachungen nicht kümmern." In Zukunft müsse man deshalb stärker auf die ukrainische Regierung einwirken, damit sie die Sicherheit der OSZE-Beobachter gewährleiste.

In der Ukraine steht die OSZE vermutlich vor ihrer größten Bewährungsprobe. Ob ihre Bedeutung künftig zunehmen wird, hängt wesentlich davon ab, ob es ihr gelingt, die Situation dort zu beruhigen.