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Politik

Lange Liste vergifteter Kreml-Kritiker

Mikhail Bushuev mo
21. August 2020

Und jetzt auch Nawalny? Politiker, Journalisten, Geschäftsleute und Sicherheitsbeamte: Es fällt auf, dass Gegner des Kremls häufig mit Vergiftungen zu tun haben. Die DW erinnert an einige aufsehenerregende Fälle.

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Amesbury Nowitschok Fund Untersuchung
Bild: Reuters/H. Nicholls

Alexej Nawalny: "Allergische Reaktion"

Sollte sich der Verdacht auf Vergiftung bei dem Oppositionspolitiker bestätigen, wäre dies die zweite Vergiftung innerhalb eines Jahres. Bereits im Sommer 2019 landete Nawalny wegen einer diagnostizierten "akuten allergischen Reaktion" im Krankenhaus. Diese könnte laut den Ärzten des Politikers durch giftige Substanzen hervorgerufen worden sein.

Über Nawalnys Zustand gibt es widersprüchliche Informationen. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch schreibt auf Twitter: "Ein Vertreter des Omsker Krankenhauses sagte, Nawalny sei nicht vergiftet worden. Vor einer Stunde wurde uns noch von einem tödlichen Gift berichtet, das auch für andere gefährlich ist. Was ist hier los?" 

Am Freitag stimmten die russischen Ärzte einer Verlegung in Omsk einer Verlegung von Nawalny in ein anderes Krankenhaus zu. Dort war am Morgen ein Flugzeug der Berliner Initiative Cinema for Peace gelandet, um Nawalny nach Berlin zu holen.

Pjotr Wersilow: "Ähnliche Symptome"

Am 11. September 2018 fühlte sich der Herausgeber des Online-Magazins "Mediazona" und Mitglied der bekannten Punkgruppe Pussy Riot, Pjotr Wersilow, plötzlich krank. Nach einigen Tagen auf der Intensivstation eines Moskauer Krankenhauses wurde er in die Berliner Charité verlegt. Den deutschen Ärzte zufolge wurde Wersilow vergiftet. Sie konnten aber nicht mehr feststellen, mit welcher Substanz. Hinter vorgehaltener Hand sagten damals die Moskauer Ärzte Wersilows Angehörigen, es könnte sich um das Gift Atropin gehandelt haben.

Berlin Pussy Riot Mitglied  Peter Verzilov
Pjotr Wersilow wurde nach seiner Vergiftung in der Berliner Charité behandeltBild: DW/Vladimir Esipov

Wersilow selbst glaubt, die Vergiftung sei Rache für seine Nachforschungen zu Morden an drei russischen Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik im Sommer 2018, die dort über Aktivitäten der russischen Privatarmeen recherchieren wollten. Auf Twitter vergleicht er nun seine Symptome mit denen von Nawalny. Seine Vergiftung sei "sehr ähnlich" verlaufen. Je später die Analyse stattfinde, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, das Gift zu identifizieren.

Sergej und Julia Skripal: "Nowitschok-Attentat"

Bereits am 4. März 2018 waren der russisch-britische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia in Großbritannien bewusstlos aufgefunden worden. Der britische Scotland Yard setzte daraufhin wegen des Verdachts auf Vergiftung die beiden russischen Bürger Alexander Petrow und Ruslan Boschirow zur Fahndung aus.

Das Gift wurde vom britischen Militär als "Nowitschok" identifiziert. Es gehört zu einer Gruppe stark wirksamer Nervengifte. Die britischen Behörden machten Russland für das Attentat direkt verantwortlich. Dies führte zu einer beispiellosen Welle von Ausweisungen russischer Botschaftsangehöriger aus unterschiedlichen Ländern.

Doppelagent Sergei Skripal und Tochter
Doppelagent Sergej und seine Tochter Julia vor ihrer Vergiftung Bild: picture-alliance/Globallookpress

Russlands Präsident Putin bezeichnete die Vorwürfe als "Unsinn". Den Doppelagenten Skripal titulierte er als "Spion", "Vaterlandsverräter" und "Bastard". Obwohl Putin jegliche Verantwortung für die Vergiftung zurückwies, befahl er Anfang 2019, das Forschungszentrum für chemische Waffen in Schichany, Region Saratow, zu schließen. Dort wurden die Gifte der Nowitschok-Gruppe angeblich entwickelt.

Julia und Sergej überlebten das Nowitschok-Attentat, aber das Gift forderte ein anderes Menschenleben. Wenige Wochen später gelangte eine als teures Parfüm getarnte Flasche, die in einen Mülleimer geworfen wurde, in die Hände der 44-jährigen arbeitslosen Dawn Sturgess, die nach dem Kontakt mit dem Gift starb.

Wladimir Kara-Mursa: "Diagnostizierte Vergiftung"

Wladimir Kara-Mursa war Mitarbeiter und Mitstreiter des Politikers Boris Nemzow. Im Zeitraum von nur 18 Monaten wurde er zweimal vergiftet: das erste Mal im Mai 2015, drei Monate nach dem Mord an Nemzow, und das zweite Mal im Februar 2017.

USA Wladimir Kara-Mursa vor dem Senat in Washington
Wladimir Kara-Mursa wurde 2015 und 2017 vergiftetBild: Reuters/J. Roberts

Beide Male lag Kara-Mursa im Koma. Er selbst sprach von einer "diagnostizierten Vergiftung". 2017 erklärte der Moskauer Chef-Toxikologe Jurij Ostapenko allerdings gegenüber der DW, die Ärzte hätten im Mai 2015 keine Vergiftung bestätigen können. Laut unabhängiger Untersuchung in Frankreich wurden Spuren von Schwermetallen im Körper des Patienten gefunden.

Alexander Perepilichny: Tod beim Joggen

Der Whistleblower Alexander Perepilichny floh 2009 nach Großbritannien. Es wird vermutet, dass der Geschäftsmann internationalen Ermittlungsteams bei der Untersuchung korrupter Machenschaften russischer Beamter half, einschließlich derer, die in den Fall des Anwalts Sergej Magnitski verwickelt waren. Der 44-jährige Perepilichny starb 2012 unerwartet beim Joggen. Noch kurz vor seinem Tod hatte er eine ärztliche Untersuchung erfolgreich bestanden.

Erst wurde Herzinfarkt als Todesursache angegeben. Doch später wurde eine giftige Substanz im Magen des Geschäftsmannes gefunden, die in der seltenen Pflanze Gelsemium Elegans, auch als Herzschmerzgras bekannt, enthalten ist. Nach dem versuchten Mord an den Skripals wurde die Untersuchung des Todes von Perepilichny in Großbritannien wieder aufgenommen, aber ein Mord konnte nicht nachgewiesen werden.

Alexander Litwinenko: Polonium im Tee

Der frühere Offizier des Inlandsgeheimdienstes der Russischen Forderation (FSB), Alexander Litwinenko, erhielt im Jahr 2000 in Großbritannien politisches Asyl. Litwinenko war derjenige, der die vielleicht schwerwiegendsten Anschuldigungen gegen die russischen Geheimdienste und den russischen Präsidenten persönlich erhob. Er behauptete, hinter der Serie von Bombenanschlägen auf Wohnhäuser in Russland sowie hinter mehreren anderen Terroranschlägen stecke der FSB.

Alexander Litwinenko
Alexander Litwinenko wurde im November 2006 in einem Londoner Restaurant mit Tee vergiftetBild: AP

Litwinenko wurde im November 2006 in einem Londoner Restaurant mit Tee vergiftet: Die Autopsie ergab Spuren von Polonium-210, einem seltenen und hochradioaktiven Element. London fordert bis heute die Auslieferung der Verdächtigen, vor allem des einstigen Geheimdienstlers und Abgeordneten der russischen Staatsduma, Andrej Lugowoj.

Anna Politkowskaja: "Unbekannte Toxine"

Die russisch-amerikanische Reporterin der "Nowaja Gaseta" starb nicht an einer Vergiftung - sie wurde am 7. Oktober 2006 im Aufzug ihres Wohnhauses erschossen. Vergiftet worden war die Journalistin, die über Kriegsverbrechen der russischen Armee in Tschetschenien berichtete, bereits drei Jahre vor ihrem Tod, als sie am 2. September 2004 von Moskau nach Beslan flog, um über die Geiselnahme an einer örtlichen Schule durch Terroristen zu berichten.

Im Flugzeug fühlte sich Anna Politkowskaja plötzlich schlecht und verlor das Bewusstsein. Sie wurde mit der Diagnose "Vergiftung mit unbekannten Toxinen" in Rostow am Don ins Krankenhaus eingeliefert. Später stellte sich heraus, dass die Proben, die Aufschluss über die Art der Vergiftung hätten geben können, vernichtet worden waren.