1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Krise ist tot - es lebe die Krise!

21. Oktober 2002

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Montenegro ist am Sonntag (20.10). die Partei von Präsident Milo Djukanovic als klarer Sieger hervorgegangen. Andrej Smodis kommentiert.

https://p.dw.com/p/2lNV

In Montenegro haben die 450.000 Wähler gleich mehrere potenzielle Krisen vermieden, indem sie für eine stabile Parlamentsmehrheit der bisherigen Regierung gesorgt haben. Krisen, die das Land geschüttelt hätten, aber auch in Belgrad und Brüssel zu spüren gewesen wären.

Die - mögliche - Krise in Montenegro ist also tot. Oder? Nun, die Wählerinnen und Wähler haben ein bemerkenswert großes Demokratie-Verständnis bewiesen - gar nicht selbstverständlich nach Jahrzehnten des Sozialismus und nach den Zeiten des Milosevic-Regimes. Die Wahlbeteiligung lag mit 77 Prozent so hoch wie noch nie. Und die bisherige Regierung wurde offenbar aus Gründen der politischen Hygiene im Amt bestätigt, heißt es in den Analysen.

Denn die Liberale Partei hatte die Koalition verlassen und dadurch vorzeitige Neuwahlen nötig werden lassen. Das mochten die Wähler nicht - und sie haben den Demokratischen Sozialisten von Präsident Djukanovic eine direkte Mehrheit verschafft.

Das eigentliche politische Problem Montenegros, die Definition des Verhältnisses zu Serbien, bleibt uns aber erhalten: Seit Jahren sind die Montenegriner zerstritten über die Frage, ob sie mit Serbien Teil von Jugoslawien bleiben sollen, mehr Autonomie haben oder unabhängig werden wollen. Bei Umfragen steht es immer mehr oder weniger Fifty-fifty. Die Europäische Union in Gestalt von Javier Solana versucht, Belgrad und Podgorica in eine Konföderation zu zwingen, um das Auseinanderfallen Jugoslawiens in zwei Staaten zu verhindern. Denn in diesem Falle wäre auch die Unabhängigkeit des Kosovo nicht mehr zu stoppen.

In der Konföderations-Vereinbarung zwischen den beiden jugoslawischen Teilrepubliken ist allerdings eine Unabhängigkeitsklausel eingebaut: Nach drei Jahren können Serbien und Montenegro entscheiden, aus dem Staatenbund auszutreten. Milo Djukanovic könnte hier seine Chance sehen. Denn mit der stabilen Mehrheit im Rücken kann er bei den Verhandlungen zur Konföderations-Verfassung ein paar mehr Bedingungen durchdrücken und dann auf die Abspaltung in drei Jahren hinarbeiten. Und die Opposition kann keine Zwietracht verbreiten. Die - mögliche - Krise ist tot.

Dennoch: an - möglichen - neuen Krisen herrscht kein Mangel: Vielleicht kramt Djukanovic seine Idee von einem vorzeitigen Unabhängigkeitsreferendum wieder hervor? Im Moment hat er ja die Mehrheit im Land. Und wer weiß, wie lange er im Amt bleibt?

Angeblich denkt das Jugoslawien-Tribunal darüber nach, Djukanovic vorzuladen: wegen der Angriffe auf die kroatische Hafen-Stadt Dubrovnik vor 11 Jahren. Und in Italien ist der montenegrinische Präsident Hauptverdächtiger in einem Verfahren wegen Zigarettenschmuggels.

Doch selbst wenn Djukanovic die Europäische Union und die USA nicht mit Alleingängen verärgert und sich brav an die vorgegebenen Zeitpläne hält - in Serbien steht schon die nächste Krise bereit: Nach den gescheiterten Präsidentschaftswahlen dort ist völlig offen, wie die Konföderations-Verfassung für den "Staatenbund Serbien und Montenegro" auf den Weg gebracht werden soll.

Die Krise in Montenegro ist tot. Doch das ist nur eine kleine Erleichterung. Es lebe die Krise in Serbien. Die Europäischen Union sollte sich warm anziehen.