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Glaube

Die Kirche und der Populismus

9. März 2017

Zwischen Sozialkritik und wachsender gesellschaftlicher Spaltung. Die politische Polarisierung fordert im Wahljahr auch die katholischen Bischöfe heraus. Christoph Strack aus Bergisch Gladbach.

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Deutschland Wahlkampf AfD vor Freiburger Münster
Bild: picture-alliance/dpa/R. Haid

"Es brennt manchmal so richtig." Willi Kieninger wird rasch deutlich, wenn er seine Erfahrungen als Schuldnerberater beschreibt. In der Begleitung junger Leute oder verzweifelter Handwerker. "Der untere Mittelstand bricht weg", warnt der 70-Jährige. Und Sorgen und Not machten die Leute politisch anfällig. "Dann heißt es: Wir brauchen einen kleinen Trump, der mal aufräumt."

Kieninger arbeitete Jahrzehnte als Schuldnerberater im kirchlichen Dienst. Längst ist er pensioniert, seitdem engagiert er sich als Mitglied der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ehrenamtlich in seinem Heimatort Denzlingen. Der Ort liegt nördlich von Freiburg, im durchaus wohlhabenden Südwesten Deutschlands.

Viele Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen. Keine sozialen Brennpunkte. Die finden sich im nahen Emmendingen, wo Kieninger früher tätig war. Aber auch im gefährdeten Mittelstand sieht er: "Da zeigt sich eine unheimliche Auseinandersetzung zwischen Kapital und Nicht-Kapital."

Die Bischöfe und der Populismus

Gut 430 Kilometer weiter nördlich sprechen die katholischen deutschen Bischöfe bei ihrer Frühjahrskonferenz in Bergisch Gladbach auch über die soziale Lage in Deutschland. Und den aufkommenden Populismus. Es gebe, sagte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, eine "gefühlte und oft auch faktische soziale Ungerechtigkeit". Wer dem Populismus das Wasser abgraben wolle, müsse dieses Thema wie auch die Frage der Sicherheit ernst nehmen, fügte er hinzu.

Ruhr-Bischof Overbeck, zugleich Vorsitzender der Bischofs-Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen, spricht von einem "Auseinanderklaffen von Arm und Reich in der Gesellschaft", von "sozialen Spannungen", von einer "Zunahme der Einkommensungleichheit", international wie national, und von einer "wachsenden Konzentration der Vermögen". Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Peter Neher, sieht "zunehmende Abstiegsängste der Unter- und der Mittelschicht".

Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz | Bischof Franz-Josef Overbeck
Bischof Franz-Josef Overbeck, Anthropologe Gerhard Kruip und Caritas-Chef Peter Neher (v.r.n.l.) bei der Frühjahrsvollversammlung der BischofskonferenzBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

"Brutaler Absturz"

Willi Kieninger wird konkreter, wenn er den "brutalen Absturz" der Mittelschicht und den "immer stärker werdenden Egoismus in den oberen Schichten" thematisiert. Die Politik müsse über Hartz IV nachdenken, einen zweiten Arbeitsmarkt im unteren Bereich einrichten für jene, die sonst nicht mehr zu vermitteln seien. Und es brauche mehr Engagement im Bildungsbereich.

Kieninger kommt auch auf den Selbstwert seiner Klienten zu sprechen, die "wie die Dummen" krabbeln müssten für Miete und Lebensstandard. "Leute, die so abstürzen, wählen dann leicht radikal." Reihenweise kenne er Familien, die zu kämpfen hätten. Dann säßen da junge Leute vor ihm und klagten darüber, was Flüchtlinge alles an staatlichen Leistungen bekommen würden - und sie nicht.

Kieninger sagt, er bemühe sich, falsche Aussagen zu korrigieren. Und geht dann mit seinen Klienten zu Banken, ermuntert sie, sich in Vereinen, Kirchengemeinden oder Initiativen des Ortes zu engagieren.

Die Kirchen und die Rechtspopulisten... ein schwieriges Gegenüber. Meist kommt von Bischöfen harte Kritik an AfD und Pegida. Gerne wird ein klares Wort gefordert, dass Christen nicht in der AfD sein dürften. Nicht nur, aber gerade in Ostdeutschland kennen Pfarrer einzelne Gemeindemitglieder, die bei fremdenfeindlichen oder islamkritischen Aktionen mitmachen.

Ist es unchristlich, die AfD zu wählen?:

"Sach wat!", "Sag was!"

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte zu Beginn des Bischofstreffens mit Blick auf Christen in der AfD, es sei nicht Aufgabe der Kirche, Motivationen von Mitgliedern in Parteien oder Organisationen pauschal zu beurteilen. Aber Ausländerfeindlichkeit, überzogener Nationalismus und Feindschaft gegenüber anderen Religionen seien inakzeptabel.

Also keine Gespräche mit der AfD? Marx' Bischofskollege Overbeck macht für sich klar, Kirche müsse den "Dialog mit allen" führen, auch "den öffentlichen Diskurs durchaus strittigster Art". Also auch der Dialog mit der AfD.

Caritas-Chef Neher verweist bei diesem - schwierigen - Gespräch auf ein Modellprojekt des Verbandes in Essen mit dem eingängigen Titel "Sach wat!", "Sag was!". Da trauten sich Caritas-Mitarbeiter in Kneipen und suchten das Gespräch mit allen. Das klingt beeindruckend.

Willi Kieninger, SPD Denzlingen
Willi Kieninger arbeitet ehrenamtlich für die katholische Arbeitnehmer-Bewegung KABBild: privat

Wenn man vor Ort nachfragt, gab es Ende 2016 bislang fünf solcher Abende - und Unterstützung von Schauspielern mit Rollenspielen. Aber nach diesem Start wolle man, wenn die Finanzierung gesichert sei, weiter so auf Menschen zugehen und - gerade im Wahljahr - das Gespräch suchen.

"Kämpferische Rentnertruppe"

Solche Versuche des Gesprächs gewinnen für Neher an Bedeutung. Denn immer häufiger erlebten Haupt- und Ehrenamtler der Caritas in der Flüchtlingsarbeit Anfeindungen und Hetze, auch schon Steinwürfe gegen Einrichtungen. Deshalb habe man auch schon Veranstaltungen abgesagt. Es gelte, so Neher, "die anstehenden Debatten ohne Scheuklappen zu führen" und sich Vereinfachungen zu widersetzen.

Für die Gemeinde Denzlingen im Landkreis Emmendingen kann Willi Kieninger, selbst kommunalpolitisch bei der SPD aktiv, das alles wie in einem Mikrokosmos nachzeichnen. Die Verluste von CDU und SPD bei den jüngsten Wahlen, der Zuwachs der AfD. Die Ausdünnung von Personal im kirchlichen Bereich bis hin zum Pfarrer, der sechs oder sieben Gemeinden zu betreuen habe. Das schwindende Engagement vor Ort. Und sein Verband, die KAB. Der ehrenamtliche Schuldnerberater nennt sein Alter, 70, und das mancher Mitstreiter. "Wir sind ja alle eine Rentnertruppe. Aber eine kämpferische."