Die Königinnen der Nacht
Sie sind nachtaktiv, ihr Kopf erinnert an den einer Maus, wegen ihrer ausgeprägten Eckzähne galten sie als Vampire: Fledermäuse. Ein unterirdisches Grubenfeld in der Eifel bietet zehntausenden von ihnen ein Zuhause.
In den Bergen der Eifel im Westen Deutschlands bauten schon die Römer unterirdisch einen besonderen Stein ab: Basalt. Dieser Lavastein wurde für Mühlsteine, Kreuze an Wegen oder Straßenpflaster verwendet. Über Jahrhunderte entstanden so unter der Erde riesige Gruben. Die wurden später auch als Bierkeller für die zahlreichen Brauereien der Region genutzt. Inzwischen verbringen hier, im Mayener Grubenfeld, bis zu einhunderttausend Fledermäuse den Winter, sie überwintern. Sie haben in den riesigen waagerechten Gängen, den Stollen, beste Bedingungen, wie Andreas Kiefer vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) erklärt:
„Wir stehen jetzt also in einem unserer Steinbrüche, direkt vor dem größten Stollen, den wir im Mayener Grubenfeld haben – dem sogenannten ‚Bierkeller‘. Und man sieht also direkt vor uns ein großes Loch, das ist etwa sieben Meter hoch, sechs Meter breit und geht also direkt in den Berg hinein sozusagen – eine wirklich große, große Höhle. Und in der allein überwintern deutlich mehr als 10.000 Fledermäuse. Es ist ‘ne sehr kalte Höhle, teilweise sind da noch bis in den Sommer an einigen Stellen noch Eiszapfen zu finden.“
Andreas Kiefer ist in eine dicke Jacke gehüllt, trägt eine Wollmütze auf dem Kopf, hält eine große Taschenlampe in der Hand. Er weiß besser als jeder andere, was in den großen Höhlen des ehemaligen Basaltbergwerks los ist. Der Fledermausexperte ist verantwortlich für das groß angelegte Naturschutzprojekt in diesem einzigartigen Stollensystem und hat für dessen Rettung einiges getan:
„Als ich hier vor zwanzig Jahren mit ein paar Kollegen gemeinsam diese Fledermausvorkommen entdeckt hab’ und wir gesehen haben, es sind sehr viele Fledermäuse – wir wussten damals noch lange nicht, wie viele es in Wahrheit sind, also wir sind von ein paar Hundert ausgegangen und nicht von mehreren zehntausend – da war es anfangs ganz klar, dass es sehr lange dauern wird. Letztendlich hat es fast zwanzig Jahre gedauert, um hier diese Stollen zu retten, weil also diese Stollen hier hätten abgebaut werden sollen: Der Basalt ist heute noch sehr viel Geld wert. Und wir haben also das Gelände erst mal mit viel Geld aufgekauft, und [dann] brauchten wir noch sehr viel Geld, um hier diese Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.“
Kiefer und seine Kollegen haben mit Ministerien und Behörden verhandelt, um Gelder für den Aufkauf des Geländes zu bekommen. Denn ursprünglich sollte weiter Basalt abgebaut werden, da das Gestein auch heute noch viel Geld einbringt. Aber es war auch noch Geld nötig, um das an vielen Stellen einsturzgefährdete Gelände zu sanieren, zu sichern und zu modernisieren. Andreas Kiefer und seine Kollegen vom NABU steckten auch noch viel Eigenarbeit in das Projekt. Das Mayener Grubenfeld gilt als Deutschlands wichtigster Überwinterungsplatz für Fledermäuse und als eines der bedeutendsten Fledermausquartiere Mitteleuropas. 16 unterschiedliche Fledermausarten wurden hier schon nachgewiesen – von den größeren Mausohrfledermäusen zu den Zwergfledermäusen, die nur viereinhalb Zentimeter groß sind. Bis zu 100.000 von ihnen suchen hier zwischen Ende Oktober und Ende April Schutz und Ruhe:
„Wir stehen genau unter einem solchen Spalt, wo man also mindestens achtzig Zwergfledermausgesichter wirklich auch sehen kann und zählen kann. Man kann dann auch sehen, dass die aber auch in mehreren Reihen wirklich dachziegelartig hintereinander da drin sind. Und eigentlich ist dieser ganze Spalt komplett gefüllt und da ist also eine Länge von einem Meter, mindestens fünfzig Zentimeter hoch. Das ist schon ‘ne ganze Menge, die da direkt über unserem Kopf hängt.“
Die Tiere hängen – wie die Ziegel auf einem Dach übereinander – in den schmalen, langen Öffnungen der Stollen, den Spalten, und füllen diese fast ganz aus. Das Projekt im Mayener Grubenfeld schützt nicht nur die Natur. Auch die örtliche Kulturgeschichte soll dokumentiert werden. Die eindrucksvollen Gruben entstanden über Hunderte von Jahren durch den Abbau von Basalt. In Mayen und Umgebung gab es außerdem über dreißig Bierbrauereien, die die dunklen Höhlen nutzten:
„Also dieses alte Bergwerk wurde im 19. Jahrhundert als Bierkeller genutzt, weil es das ganze Jahr über ‘ne gleichmäßige Temperatur hat und man hat dann hier diverse Umbauten vorgenommen. Man hat hier eine Treppe angelegt mit 128 Treppenstufen und man hat auch die Wände zum Beispiel mit weißer Kalkfarbe angemalt, damit also das wenige Licht, was man hier also ja hineingebracht hat mit Öllampen, damit das also ‘n bisschen verstärkt wurde, weil ansonsten der schwarze Basalt wirklich jede Farbe auch schluckt.“
Die Höhlen boten gute Voraussetzungen zur Lagerung von Bier, da dort die Temperatur im Sommer und Winter gleich bleibt. Um die Fässer in den Keller zu bringen, mussten die Örtlichkeiten dafür jedoch umgebaut werden. Treppen wurden gebaut und die Wände hell gestrichen. Denn der dunkle Stein reflektiert das wenige Licht ansonsten nicht. Es wird bildlich gesehen geschluckt. Inzwischen wird kein Bier mehr in den Höhlen gelagert. Im Winter kommen die Fledermäuse zum Schlafen hierher. Aber zu anderen Zeiten geht es im „Bierkeller“ lebendiger zu:
„Was wir also feststellen konnten, dass hier teilweise im Spätsommer – also von Ende Juli bis in den Oktober hinein – kommen hier täglich 3.000 bis 5.000 Fledermäuse immer nur kurzfristig zu Besuch. Die bleiben ein oder zwei Nächte. Dann fliegen sie wieder in ihre Sommerquartiere zurück. Und was wir feststellen konnten ist, dass also hier anscheinend auch Jungtiere hergeführt werden von ihren Müttern. Die bekommen hier sozusagen gezeigt: ‚Hier ist ein Quartier, wo du später Winterschlaf halten kannst‘. Und es hat auch noch die Funktion, dass man hier Paarungspartner finden kann. Ich sag’ immer so ‘n bisschen flapsig, dass das hier die Dorfdisco ist. Also hier findet man den Richtigen.“
Das Mayener Grubenfeld hat also zweierlei Funktion: Die Fledermausmütter zeigen ihrem Nachwuchs, wo er überwintern, Winterschlaf halten, kann, und zugleich finden die Fledermäuse ihre Partner zur Fortpflanzung. Andreas Kiefer vergleicht die Gruben frech, flapsig, mit einer Diskothek im Dorf, in der mancher seinen Partner fürs Leben findet. Kiefer und seine Kollegen scheuen keine Mühen, um das Fledermausquartier zu erhalten. Das hat seine Gründe:
„Sie spielen auch ‘ne wichtige Rolle in unserem Ökosystem: Sie fressen nachts Insekten. Das heißt also, Fledermäuse sind wichtig für uns, wenn wir das so wollen. Auch zum Beispiel, um in Obstbaumkulturen oder auch im Forst, Schädlinge auch klein zu halten und zum Beispiel auch die Zwergfledermäuse fressen sehr gerne Stechmücken. Aber natürlich, mir ist es auch wichtig zu sagen, die Fledermäuse sind auch zum Selbstzweck ja einfach zu schützen, weil sie ein Teil unserer Natur sind, und zwar auch ‘n sehr schöner Teil, also wirklich was Spannendes. Hier gibt es auch noch viel zu erforschen.“
Die Fledermäuse helfen, das ökologische Gleichgewicht zu halten: Sie fressen nachts Insekten und bewahren Obstbaumfelder, sogenannte Kulturen, und den Wald, den Forst, vor zu vielen Insekten. Sie halten diese klein. Und – so Andreas Kiefer – schließlich müssen Fledermäuse auch so geschützt werden, zum Selbstzweck, da sie ein fester Bestandteil der Natur sind, wie andere Tiere auch.