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Die Ichlinge sind out

29. August 2008

Gemeinschaftssinn steht wieder hoch im Kurs und zudem nehmen junge Leute optimistisch ihr Leben in die eigenen Hände. Gut so, meint Thomas Seim:

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Steht auf Gemeinschaft und Eigeninitiative: Die Jugend der näheren Zukunft

Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft zählen wieder mehr für die Deutschen. Das ist nicht die schlechteste Nachricht des Freizeitforschers Horst Opaschowski. Andere Ergebnisse seiner aktuellen Studie über Deutschland im Jahr 2030, die er in dieser Woche vorlegte, lauten beispielsweise:

- zwei von drei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren sind heute davon überzeugt, dass sie vor einer glänzenden Zukunft stehen.

- Fast 70 Prozent verschreiben sich und ihr Leben der Leistung und Arbeit - mit der Einschränkung, dass sie gleichzeitig das Leben genießen wollen.

- Die Zukunft ist weiblich: Immer mehr Frauen werden bald schon mehr Geld verdienen als ihre Männer.

Die Studie macht also in vielerlei Hinsicht Mut. Die "Null-Bock"-Phase neigt sich in Deutschland dem Ende zu, der eindimensionale "Arbeit-ist-Leben"-Schwachsinn auch. Alles könnte gut sein in Deutschland.

Doch es bleiben auch Fragen. Warum werden Frauen erst 2030 in den obersten Führungsetagen angekommen sein? 100 Jahre ist die Emanzipationsbewegung alt - und sie hat nicht mehr erreicht als ein weiteres Versprechen auf die nächsten 20 Jahre.

Die Bereitschaft der heute 50-Jährigen wachse, so Opaschowski, bis weit über das Rentenalter hinaus freiwillig zu arbeiten. Ist das freiwillig? Oder verlangt die zu erwartende knappere Rente, dass Rentner sich etwas hinzu verdienen? Das mag für manchen Ex-Steuerbeamten als Berater lukrativ und angemessen sein. Aber was ist mit Stahlarbeitern, Tiefbauarbeitern, Maurern?

Sozialstaat steht hoch im Kurs

Dass sich die Mehrheit der Bürger diese Fragen stellt, offenbart ein anderes Ergebnis der Studie: Die Sorge um die sozialen Sicherungssysteme löst die Furcht vor Umweltschäden ab. Und zwar radikal: Um eine sichere Vorsorge machen sich 67 Prozent der Deutschen Gedanken, 2000 waren es noch 35 Prozent. Umweltschutz war vor 20 Jahren noch für 80 Prozent der Deutschen das zentrale Thema, heute interessiert sich nur noch jeder zweite dafür.

Die Opaschowski-Studie gibt deshalb keinen Grund zur Beruhigung: Die Bürger in Deutschland, gleich welcher Altersstufe übrigens, haben das zentrale Problemfeld der künftigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung entdeckt: Es ist die Frage nach einem gesunden Leben in materieller Sicherheit auf ordentlichem Lebensstandard ohne Gängelung durch kleinkrämerische Gesetzgebung.

Das ist die eigentliche Mahnung und Warnung der Zukunftsstudie an die gewählten Regierungen und die sie tragenden Parteien. Der derzeitige politische Diskurs in Bund und Ländern über Gesundheits-, Arbeitsmarkt- und Steuer- und Abgabenreformen lässt allerdings nur sehr marginal erkennen, dass die politische Klasse diese Zeitenwende schon erkannt und verstanden hat.

Thomas Seim ist Chefredakteur der Rheinischen Post aus Düsseldorf.