1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die HDP kämpft gegen die Isolation

Ulrich von Schwerin
7. August 2017

Mit "Gerechtigkeitswachen" in mehreren türkischen Städten will die prokurdische HDP eine breite Allianz gegen Präsident Erdoğan schaffen. Die Polizei tut alles, um dies zu erschweren. Aus Istanbul Ulrich von Schwerin.

https://p.dw.com/p/2hnqL
Türkei Istanbul Demonstration
Bild: DW

Wer zur Kundgebung der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) im Istanbuler Stadtteil Kadiköy will, muss mutig sein. Er darf sich weder von den Polizisten aufhalten lassen, die mit Tränengasgewehren an den Ecken warten. Und er sollte sich auch nicht von Wasserwerfern, Eingangskontrollen oder hohen Absperrungen um den Park einschüchtern lassen. Dahinter findet die sogenannte "Gerechtigkeitswache" statt. Doch nur wenige sind so mutig, und so bleiben die HDP-Aktivisten hinter den Gitterzäunen meist unter sich.

Den HDP-Abgeordneten Mithat Sancar haben die drastischen Sicherheitsmaßnahmen nicht überrascht. Als sie eine Woche zuvor ihre "Gerechtigkeitswache" im südöstlichen Diyarbakir begannen, sei es noch schlimmer gewesen, sagt er. Dort sei sogar nur Parteimitgliedern der Zugang erlaubt worden, und die Wache habe unter der brennenden Sonne stattfinden müssen. Sogar auf ein Verbot sei er daher eingestellt gewesen, doch dies hätten die Behörden wohl nicht gewagt.

Festnahmen, Verbote und Schikanen

Tatsächlich werden HDP-Kundgebungen zumeist verboten, und wo doch einmal eine liberale Stadtverwaltung eine Demonstration erlaubt, tut die Polizei alles, um die Teilnahme zu erschweren. So war im linken Istanbuler Stadtteil Besiktas vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum im April ein HDP-Stand in bester Lage am Hafen autorisiert worden. Doch dann riegelte die Polizei den ganzen Platz so ab, dass garantiert kein Passant in die Nähe gelangte.

Türkei Istanbul Demonstration
Hinter dem Polizeikorridor: Demonstranten der prokurdischen Partei HDPBild: DW

Die Isolation der "Gerechtigkeitswache" in Kadiköy kann als Sinnbild gelten für die heutige Lage der HDP in der Türkei. Seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Sommer 2015 ist die zweitgrößte Oppositionspartei zunehmend ins Abseits gedrängt worden. War sie zuvor als politischer Repräsentant der kurdischen Minderheit ein geschätzter Gesprächspartner, ist sie heute massiven Repressionen ausgesetzt.

Der Handlungsraum ist eng geworden

So wurden Anfang November die HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Fiden Yüksekdag sowie zehn weitere Abgeordnete verhaftet. In den folgenden Wochen wurden dutzende Bürgermeister ihrer Schwesterpartei DBP ihrer Posten enthoben und hunderte Mitglieder festgenommen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der einst den Friedensprozess initiiert hatte, bezeichnet die HDP heute als verlängerten Arm der PKK und rückt sie in die Nähe von Terroristen.

"Der Rahmen für unsere politische Tätigkeiten ist eng geworden", sagt der HDP-Abgeordnete Sancar. Vier Abgeordneten sei bereits das Mandat entzogen worden, während sich die Parteispitze in einer Form von "Geiselhaft" befinde. "Wir erleben nicht nur ein Abgleiten in die Autokratie, sondern eine Entwicklung in Richtung eines Faschismus türkischer Art", sagt Sancar. Dem wollten sie nun durch die Bildung "einer breiten Allianz der Demokraten" entgegentreten.

Gegenseitige Solidaritätsbesuche

Allerdings gibt es gegen ein Bündnis mit der Republikanischen Volkspartei (CHP) auf beiden Seiten Vorbehalte. In der kemalistischen Oppositionspartei verdächtigen viele die HDP separatistischer Bestrebungen und der Unterstützung der PKK. Bei der HDP wiederum haben viele der früheren Staatspartei nicht vergessen, dass sie über Jahrzehnte die Existenz der Kurden nicht anerkennen wollte, sowie ihre Sprache verboten und ihre Proteste unterdrückt hat.

Angesichts der autoritären Politik Erdoğans wächst aber inzwischen auf beiden Seiten die Einsicht, dass es eine gemeinsame Front gegen die Regierung braucht. Als der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu im Juni einen "Marsch für Gerechtigkeit" startete, um gegen die Inhaftierung eines CHP-Abgeordneten und die Politisierung der Justiz zu protestieren, entsandte die HDP eine Delegation. Im Gegenzug schickte die CHP nun eine Abordnung in den Park in Kadiköy.

Das Gefühl der Ohnmacht überwinden

"Unser Ziel ist es, den Faschismus mit den Mitteln des demokratischen Widerstands zu stoppen", erklärt Sancar. "Durch die Proteste wollen wir das Gefühl überwinden, der aktuellen Entwicklung hilflos ausgeliefert zu sein, und eine Bewegung der Demokraten schaffen." Der Besuch der CHP-Delegation sei da ein wichtiger Schritt gewesen. Auch zahlreiche Menschenrechtsgruppen und kleinere Parteien hätten sich mit ihnen in Kadiköy solidarisiert, sagt Sancar.

Zum Abschluss der "Gerechtigkeitswache" in Kadiköy erhält die HDP die Genehmigung, eine Kundgebung am Hafen abzuhalten. Doch als die HDP-Vorsitzende Serpil Kemalbay am Sonntagabend ans Mikrofon tritt, hat die Polizei den Kundgebungsort komplett abgeriegelt. So muss Kemalbay hinter einem dichten Polizeikordon sprechen, während eine Kohorte Polizisten unter dem Einsatz von Tränengas eine Gruppe Sympathisanten in die umliegenden Gassen jagt.

"Recht, Gesetz, Gerechtigkeit", skandiert die Menge, nachdem sie sich an einer anderen Straßenecke wieder gesammelt hat. Erneut kommt ein Polizeitrupp angestürmt und die Demonstranten fliehen in das angrenzende Kneipenviertel. Einige der Passanten, die von den Fähranlegern kommen oder zum Busbahnhof streben, verfolgen neugierig das Katz-und-Maus-Spiel, manche applaudieren. Am Ende setzt sich aber die Polizei durch und die Demonstranten zerstreuen sich.

Sancar aber ist trotzdem zufrieden mit ihrer Protestaktion. Nach Istanbul soll die nächste "Gerechtigkeitswache" in der osttürkischen Stadt Van stattfinden, bevor es weiter nach Izmir geht. Trotz ihrer Isolierung in Kadiköy habe ihre Forderung nach Gerechtigkeit ein Echo gefunden, sagt Sancar. "Gerechtigkeit ist eine abstrakte Idee, doch Ungerechtigkeit ist eine konkret erfahrbare Situation", sagt er. In der Türkei hätten heute viele damit ihre Erfahrung gemacht.