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Grenzen der Demoskopie

Heimo Fischer22. Oktober 2013

Nie hat es vor einer Bundestagswahl so viele Umfragen gegeben wie dieses Mal. Doch kein Meinungsforschungsinstitut hat das Scheitern der FDP und das sensationelle Ergebnis der CDU/CSU präzise vorhergesagt.

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Stimmzettel (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/PeJo

Ursula von der Leyen stand am Wahlabend die Überraschung ins Gesicht geschrieben. "Das ist fantastisch", sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende über das unerwartet gute Abschneiden der Union, das die besten Schätzungen der Meinungsforscher übertraf.

Kurz danach trat die FDP-Spitze vor die Kameras - mit langen Gesichtern. Denn die letzten Umfragen der großen Meinungsforschungsinstitute hatten die Liberalen stets bei mindestens fünf Prozent gesehen. Diese Hürde muss eine Partei nehmen, um im Bundestag vertreten zu sein. Die FDP blieb darunter.

Kleine Abweichung, große Veränderung

Obwohl Medien und Parteien zunehmend auf Meinungsumfragen setzen und immer mehr Institute in Deutschland ihre Dienste anbieten, zeigt das Wahlergebnis, dass die Möglichkeiten der Demoskopen begrenzt sind - vor allem dann, wenn kleine Abweichungen von der Vorhersage große Veränderungen in der politischen Landschaft nach sich ziehen.

Genau das war bei der Bundestagswahl 2013 der Fall. Die liberale FDP verfehlte den Einzug ins Parlament nur knapp und wird nun zum ersten Mal seit 64 Jahren nicht mehr im Bundestag sitzen. Hätten andersherum die CDU und ihre Schwesterpartei CSU gemeinsam rund ein Prozent der Stimmen mehr geholt, hätten sie die absolute Mehrheit gehabt - was ebenfalls eine einschneidende Veränderung gewesen wäre.

Volker Mittendorf (Foto: Heiner Kiesel /DW)
Volker Mittendorf: "Es gibt immer eine Fehlermarge"Bild: DW

Sicher vorherzusagen, ob eine Partei die Fünf-Prozent-Hürde oder die absolute Mehrheit schafft, ist für Meinungsforschungsinstitute nicht möglich. "Jede Aussage, die eine Prognose betrifft, ist nur innerhalb einer Fehlermarge richtig", sagt Volker Mittendorf, Politikwissenschaftler an der Universität Wuppertal. Die FDP schwankte in den meisten Umfragen zwischen fünf und sechs Prozent. Sie landete bei 4,8 Prozent.

Korrekt müsste das Abschneiden einer Partei in einer Umfrage als Intervall angegeben werden. "Man müsste beispielsweise sagen, die Union liegt im Bereich von 39 bis 43 Prozent", sagt Thorsten Faas, Professor für empirische Politikforschung aus Mainz. Eine solche Umfrage wäre aber kaum verständlich darstellbar. Aus diesem Grund wird darauf verzichtet. Folge sei, dass eine Sicherheit suggeriert werde, die es nicht gibt.

Thorsten Faas (Foto: Peter Pulkowski
Thorsten Faas: "Keine Sicherheit bei Umfragen"Bild: Peter Pulkowski

Erfahrene Meinungsforscher weisen darauf hin, dass Umfragen nicht überbewertet werden dürfen. "Was wir vor der Wahl messen können, sind aktuelle politische Stimmungen, die nicht mit der Stimmung am Wahltag übereinstimmen müssen", sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Oft beteiligten sich Personen an den Umfragen, die dann aber nicht wählen gingen. Der Anteil der Nichtwähler ist trotz eines leichten Rückgangs nach wie vor hoch und lag bei der Bundestagswahl bei rund 28 Prozent.

Neue Parteien als Unsicherheitsfaktor

Andersherum könne es auch sein, dass sich Anhänger einer bestimmten Partei weigern, an Umfragen teilzunehmen, so Güllner. Dies sei zum Beispiel bei den Sympathisanten der neu gegründeten Anti-Euro-Partei AfD der Fall gewesen. Diese kam mit 4,7 Prozent näher an die Fünf-Prozent-Hürde heran, als Demoskopen ihr das zugetraut hatten.

Manfred Güllner (Foto: dpa)
Forsa-Chef Güllner: "Grenzen der Meinungsforschung"Bild: picture-alliance/dpa

Neue Parteien sind in Wahlumfragen immer ein Unsicherheitsfaktor. Denn die Demoskopen rechnen in Umfragewerte mit statistischen Methoden auch noch Ergebnisse aus vorhergehenden Wahlen mit ein, bei denen die Neuen aber noch nicht dabei waren.

Schwächen von Wahlumfragen kommen so immer wieder zum Vorschein. Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 etwa scheiterten die westdeutschen Grünen an der Fünfprozenthürde, nachdem ihnen zuvor ein zweistelliges Ergebnis prophezeit worden war. Auch das Ende der Ära von Kanzler Helmut Kohl (CDU) fiel 1998 sehr deutlich aus, nachdem die Demoskopen von einem knappen Rennen ausgegangen waren. Grund für solche Wendungen können plötzliche Stimmungsschwankungen sein, denen Statistiker machtlos gegenüberstehen.

Meinungsforschungsinstitute gehen bei Umfragen vor der Wahl unterschiedlich vor. Einige setzen auf persönliche Befragungen, andere knüpfen den Kontakt schriftlich oder per Telefon. Jede Vorgehensweise habe Stärken und Schwächen, so Güllner. Beispiel Telefonbefragung: Immer mehr Deutsche besitzen kein Festnetztelefon mehr, sondern nur ein Handy. Das muss bei der Auswahl der Teilnehmer berücksichtigt werden.

Ursula von der Leyen und Angela Merkel (Foto: Reuters)
Freude über einen Sieg, der größer war als erwartet: Ursula von der Leyen und Angela MerkelBild: Reuters

Ganz anders gehen Befragungen am Wahltag vor sich. Diese so genannten "Exit Polls" bilden die Grundlage für die Hochrechnungen nach 18 Uhr am Wahlabend. Forsa etwa schickte Vertreter in 450 Wahlbezirke und bat die insgesamt 30.000 Teilnehmer, nach der Stimmabgabe ihre Wahl auf einem Extrazettel zu wiederholen. Das Ergebnis dieser Umfragen liegt meist sehr nah am Endergebnis - was auch bei der Bundestagswahl 2013 der Fall war.