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Die Formel für ein langes Leben

14. Dezember 2015

Warum steigt die Lebenserwartung und was können wir selbst tun, um gesund alt zu werden? Ein Interview mit Anti-Aging-Mediziner Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk über Rotwein, Geselligkeit und Arbeit an der frischen Luft.

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Symbolbild Großeltern und Enkelkinder
Bild: Colourbox

DW: Warum leben die Menschen – zumindest in der westlichen Welt – immer länger?

Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk: Sie haben dafür gute Voraussetzungen. Beispielsweise wird die medizinische Versorgung immer besser. Aber wir wissen, dass das nicht das Wichtigste ist. Entscheidend sind vor allem die besseren Lebensumstände – eine bessere Ernährung, bessere Hygiene. Das spielt für die Lebenserwartung offensichtlich eine größere Rolle als die Medizin an sich.


Was können wir von den Regionen lernen, in denen die Menschen überdurchschnittlich lange leben, den so genannten ‚blue zones‘?

Das lässt sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. In unterschiedlichen Regionen machen die Menschen auch unterschiedliche Dinge. Auf Sardinien schwören sie zum Beispiel darauf, dass der Rotwein sie so alt werden lässt. Auf der japanischen Insel Okinawa ist es die Algen-Diät. Aber es gibt auch ein paar Gemeinsamkeiten: Keiner von denen, die dort über 100 Jahre alt werden, ist übergewichtig. Vielmehr praktizieren sie seit Jahrzehnten eine Kalorienrestriktion, wie sie von Anti-Aging-Ärzten immer wieder empfohlen wird. Das machen sie aber nicht als bewusste diätetische Maßnahme, sondern weil sie über Jahrzehnte einfach nur wenig zu essen hatten. Darüber hinaus ist die Basis ihrer Ernährung Obst und Gemüse. Viele sind Bauern und arbeiten daher auch körperlich und zwar so lange sie können. So sind sie viel an der frischen Luft und bekommen dadurch einen guten Vitamin-D-Spiegel. Und was offensichtlich ganz wichtig ist: Sie sind alle eingefügt in ihre Familien und ihre sozialen Verbände. Keiner lebt in einem Altersheim. Dieses Gefühl 'Ich werde noch gebraucht, ich habe eine Rolle im Leben‘ ist offenbar ganz wichtig. Das lässt die Leute weiter machen.

Wie wichtig ist die eigene Einstellung, um lange gut zu leben?

Leute, die optimistisch sind, die freundlich sind, haben im Alter mehr Freunde. Wer liebenswert ist, ist es auch wert, geliebt zu werden. Mit solchen Menschen setzt man sich gerne zusammen. Mit den Miesepetern eher weniger. Wir haben herausgefunden, dass das auch eine fantastische Demenz-Prophylaxe ist. Das Gehirn ist ein soziales Organ. Wir brauchen den Austausch mit anderen. Und den haben offensichtlich die Leute, die eine freundliche Grundstruktur haben besser als die, die eigenbrötlerisch vor sich hinleben.

Gibt es die Formel, lange jung zu leben?

Eine einzelne Formel gibt es da sicher nicht. Aber doch ziemliche gute Ratschläge. Einer lautet: Hör nicht auf, die die Dinge zu tun, die Dir Spaß machen. Kein Künstler hört mit 65 auf zu malen, zu schreiben oder zu musizieren. Ein anderer ratschlag: Vermeide alles, was Dich vorzeitig altern und sterben lässt. Da ist natürlich an erster Stelle das Rauchen zu nennen. Weiterhin: Auf’s Gewicht achten. Sich ausgewogen ernähren. Und ansonsten neugierig bleiben auf das Leben. Wenn ich immer wieder neue schöne Dinge entdecke, habe ich eine gute Motivation, weiterzumachen im Leben.

Warum altern wir überhaupt?

Wir sind auf Erden, weil wir einen biologischen Grundauftrag haben und der besteht darin, die Gene in die nächste Generation zu bringen. Und wenn dieser Grundauftrag erfüllt ist, sind wir eigentlich ziemlich überflüssig. Dann fangen wir spürbar und messbar an zu altern. Bis zu einem Alter von 30 Jahren, wo die Fortpflanzung eigentlich abgeschlossen sein sollte, bleiben wir dagegen zumeist weitgehend jugendlich. Danach sind wir für „Mutter Natur“ nicht mehr interessant. Wer dann noch gesund und jugendlich bleiben will, muss vermehrt auf sich selbst achten.

Frauen können sich nicht so lange fortpflanzen wie Männer, aber trotzdem haben sie eine längere Lebenserwartung. Wie ist das zu erklären?

Da gibt es zwei Theorien. Die eine lautet: Frauen sind einfach wichtiger. Sie tragen zum Erhalt und zur Fortpflanzung der eigenen Art durch Schwangerschaft, Stillzeit und Aufzucht der Jungen sehr viel mehr bei als die Männer. Deshalb sind sie biologisch besser geschützt. Die andere Theorie ist bekannt als die sogenannte Großmutter-Hypothese. Die besagt, dass offensichtlich auch ältere, unfruchtbare Frauen noch eine wichtige Rolle spielen bei der Betreuung und der Aufzucht der Enkel. Auch das hilft bei der Erhaltung der Art und deshalb lässt die Natur ältere Frauen länger leben. Alte Männer sind dagegen meist nur unnütze Esser.

Was passiert im Körper, wenn wir altern?

17.06.2015 DW fit und gesund Bernd Kleine-Gunk Deu eng

Da passieren verschiedene, höchst unterschiedliche Dinge. Im Wesentlichen unterscheiden wir sieben Säulen des Alterns. Das eine ist die Oxidation. Das ist ein Prozess, bei dem die so genannten freien Radikalen entstehen, die uns belasten. Dann gibt es den Prozess der Glykosylierung. Dabei verschmelzen Zucker und Eiweiße miteinander und führen zu Funktionseinbußen der Gewebe. Und auch die chronische Inflammation ist ein Alterungsprozess – das sind Entzündungsprozesse auf niedrigem Niveau. Wenn Stammzellen absterben, die uns regenerieren, ist das ein weiterer Alterungsfaktor. Genetische und epigenetische Schädigungen der DNA nehmen im Alter ebenfalls zu und führen zu altersabhängigen Erkrankungen. Eine weitere Säule ist der Hormonmangel und schließlich die Verkürzung der Telomere. Das sind die Enden der Chromosomen. Bei jeder Zellteilung verkürzen sie sich ein bisschen und wenn eine kritische Grenze erreicht ist, gibt es keine weiteren Zellteilungen mehr und dann stirbt die Zelle ab. Inzwischen kann man Telomere messen und dadurch hat man wahrscheinlich ein Maß für Langlebigkeit.


Kann das Messen der Telomere vorhersagen, wann wir sterben?

Nein, das wäre ein Überinterpretation und würde den Menschen ja auch nur Angst einjagen. Aber die Messung der Telomere erlaubt eine Aussage zu der Frage: Bin ich biologisch älter oder jünger als es meinem chronologischen Alter entspricht. Und die positive Nachricht lautet: Ich kann das Ergebnis der Untersuchung durch meinen Lebensstil beeinflussen. Altern ist kein Schicksal mehr. Altern ist ein gestaltbarer Prozess.


Prof Dr. Bernd Kleine-Gunk ist Gynäkologe und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin GSAAM. Er betreibt eine gynäkologische Praxis in Fürth. http://www.kleine-gunk.de/

Das Interview führte Dorothee Grüner