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"Die europäischen Perspektiven der Ukraine stehen nicht zur Debatte"

1. Februar 2007

Nach dem Rücktritt von Außenminister Borys Tarasjuk sprach DW-RADIO/Ukrainisch mit Dietmar Stüdemann, dem ehemaligen deutschen Botschafter in Kiew und heutigen Berater des ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko.

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Dietmar Stüdemann sieht keine KursänderungBild: DW

DW-RADIO/Ukrainisch: Der ehemalige Außenminister Borys Tarasjuk gilt als überzeugter Verfechter einer EU- und NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Er setzte den außenpolitischen Kurs von Präsident Wiktor Juschtschenko um. Stellt Tarasjuks Rücktritt unter Berücksichtigung der Standpunkte der jetzigen Regierungskoalition eine Korrektur der Außenpolitik dar?

Dietmar Stüdemann: Der Präsident bestimmt aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Prärogativen die Grundlinien der Außenpolitik. Das wird auch in Zukunft so sein. Ich denke, was die Grundsatzpositionen betrifft, da gibt es zwischen ihm und dem Premierminister eigentlich keine gravierenden Unterschiede.

Wird Tarasjuks Nachfolger eine "Kompromiss-Figur" sein, mit der sowohl der Präsident als auch die Regierung leben können?

Alle Beteiligten haben ein Interesse daran, dass die Ukraine handlungsfähig bleibt, und unter diesem Aspekt würde ich überhaupt nur den Begriff Kompromiss sehen. Eine Kompromiss-Figur ist nicht eine, die sozusagen eine andere Außenpolitik vertreten wird, sondern eine Kompromiss-Figur wird derjenige sein, der im Ministerkabinett die außenpolitischen Grundlinien vertritt, so wie sie der Präsident sieht und wie sie der Premierminister umzusetzen hat.

Tarasjuk, der in Brüssel für die Ukraine immer eine EU-Beitrittsperspektive gefordert hatte, wird oft als "Europa-Romantiker" bezeichnet. Eine klare Perspektive hat Kiew nicht erhalten, und jetzt geht Tarasjuk. Ist die "Europa-Romantik" nun vorbei?

Die europäischen Perspektiven der Ukraine stehen eigentlich weder zur Debatte noch sind sie an bestimmte Personen gebunden. Insofern sehe ich nicht unmittelbar eine Veränderung in dem Europa-politischen Kurs der Ukraine, schon gar nicht eine grundsätzliche. Man kann Politik auf die eine oder andere Art und Weise vertreten und präsentieren. Sein Nachfolger wird es vielleicht auf eine etwas flexiblere und auch in Bezug auf die Fähigkeit der Ukraine, den Annäherungsprozess an die EU zu gestalten, auf etwas realistischere Art und Weise tun, sodass es Unterschiede vielleicht in Nuancen gibt, aber nicht wirklich in der prinzipiellen Frage.

Demnächst sollen in Kiew Gespräche zwischen der Ukraine und der EU-Troika stattfinden. Was erwarten Sie von dem Treffen?

Die EU-Troika wird sich sicherlich ganz prioritär mit der weiteren Entwicklungen der Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU beschäftigen müssen. Hier geht es in erster Linie um die Ausarbeitung einer neuen vertraglichen Grundlage der Zusammenarbeit, nachdem das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen auslaufen wird. Hier müssen die ersten Schritte getan werden. Auf dieser Grundlage werden sich dann die Beziehungen im Verlauf dieses Jahres weiter gestalten.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Tarasjuks Rücktritt und den bevorstehenden Gesprächen zwischen der Ukraine und der EU?

Den Rücktritt von Außenminister Tarasjuk sollte man im Wesentlichen vor dem Hintergrund der innenpolitischen Situation im Lande sehen und nicht in Zusammenhang bringen mit der Gestaltung und weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU. Ich denke, das Wesentliche für Präsident Juschtschenko und auch für Premierminister Janukowytsch und für die Ukraine insgesamt ist außenpolitische Handlungsfähigkeit. Und ich würde in diesem Zusammenhang natürlich auch den Rücktritt von Außenminister Tarasjuk sehen.

Die Regierung und das Sekretariat des Präsidenten streiten seit Monaten um Zuständigkeiten, unter anderem in der Außenpolitik. Beispiel dafür ist das vom Parlament verabschiedete Gesetz über das Ministerkabinett, das dem Präsidenten das Recht nimmt, alleine den Außenminister zu ernennen.

Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft wird. Es bleibt dem Verfassungsgericht vorbehalten, darüber zu befinden, wie die Zuständigkeiten in einer zweizügigen Exekutive sind, nämlich einer Exekutive, die dem Präsidenten exekutive Prärogativen gibt wie auch dem Parlament beziehungsweise der Regierung. Es ist sicherlich notwendig, dass hier Klärungen vorgenommen werden, die zu einem reibungslosen exekutiven Regieren führen werden.

Das Gespräch führte Eugen Theise
DW-RADIO/Ukrainisch, 30.1.2007, Fokus Ost-Südost