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Die dunkle Seite des irischen Aufschwungs

André Leslie/al14. September 2015

Irland ist der Vorzeigestaat unter Europas Krisenländern. Doch vom neuen Aufschwung haben viele Iren nichts. Sie können ihre Hypotheken nicht abbezahlen. Und: Ihre Zahl könnte sogar noch wachsen.

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Andrew Bradshaw vor seinem Haus in Mullingar (Foto: DW/Hartlep)
Bild: DW/M.Hartleb

Andrew Bradshaw ist noch nicht darüber hinweggekommen, dass er vor einem Jahr aus seinem Haus vertrieben wurde. Er war gerade mit seiner Freundin im Auto losgefahren, als ihm acht Vans und Polizeiautos entgegenkamen. "Ich wusste, dass sie wegen mir kamen, also bin ich umgedreht", erinnert sich der ehemalige Karosseriebauer. Die Zwangsräumung konnte er nicht verhindern. Nachdem er seine Hypothek nicht mehr bezahlen konnte, besetzte er zunächst sein Haus in der Kleinstadt Mullingar, eine Stunde westlich von Dublin. Aber seine Bank ließ ihm die Immobilie nicht. "Am Ende kamen an jeder Seite zwei Gerichtsvollzieher und zogen mich aus dem Haus", erzählt der 40-Jährige. Nun lebt Bradshaw bei seiner Freundin. Ohne sie wäre er wahrscheinlich obdachlos.

Anti Eviction Taskforce Irland (Foto: Anti Eviction Task Force)
Mitglieder der Anti-Eviction Task Force protestieren gegen ZwangsräumungBild: Anti-Eviction Taskforce

Wie Bradshaw geht es vielen Iren. In den Amtsgerichten überall in der Republik stapeln sich die Akten der Zwangsräumungen. Medienberichten zufolge sollen in einigen Städten bis zu 50 Häuser am Tag geräumt werden. Das ist die oft übersehene Schattenseite der Wirtschaftsentwicklung in Irland.

"Nichts ist besser geworden"

Trish Burnett hat 2011 eine Gruppe gegen die Zwangsräumungen mitbegründet. Die landesweite Organisation versucht, Versteigerungen von enteigneten Gebäuden zu stoppen. Sie beklagt, dass ungeachtet all der guten Wirtschaftsnachrichten aus Irland weiterhin viele Menschen ihre Häuser verlieren. "Wenn man mit den Menschen spricht, dann merkt man, dass nichts besser geworden ist", sagt Burnett, die 2010 auch aus ihren vier Wänden vertrieben wurde.

Trish Bernette (Foto: DW/M.Hartleb)
Trish Bernette verlor auch ihr Haus und hilft jetzt GleichgesinntenBild: DW/M.Hartlep

Die Empörung gegen die Räumungen kochte vor kurzem besonders hoch. Die irische Bank "Permanent TSB" hatte auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise die Zinsen auf Hypotheken falsch berechnet. Etwa 1300 Kunden zahlten zu viel für ihre Hypotheken. Einige Familien verloren deshalb sogar ihr Dach über dem Kopf. "Wenn die TSB die einzige Bank ist, die das gemacht hat, was haben dann die anderen Banken gemacht?", fragt Burnett.

"Keltischer Phönix"

Nachdem Banken und Staatshaushalt in Irland vor einigen Jahren in eine gefährliche Schieflage geraten waren, gilt das Land in Brüssel heute als eine der Erfolgsgeschichten der europäischen Sparpolitik. Im Oktober des vergangenen Jahres lobte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble das Land und sagte, er sei "neidisch" auf deren Erfolg. Nach drastischen Sparmaßnahmen und Reformen zeigen die Konjunkturdaten wieder nach oben. Während die Inselrepublik vor der Finanzkrise als "Keltischer Tiger" betitelt worden war, ist nun vom "Keltischen Phönix" die Rede, der aus der Asche wiederaufersteht.

Doch die Finanzkrise wirkt noch nach. Viele Iren hatten für überteuerte Immobilien zu hohe Hypotheken aufgenommen. Der überbewertete Immobilenmarkt führte zu einer so genannte Blase. Als die platzte, litten nicht nur die Banken. Wer als Bankkunde mit seinen Ratenzahlungen in Verzug geriet, verlor irgendwann sein Haus. Andrew Bradshaw wurde wegen eines Unfalls berufsunfähig und konnte nicht mehr zahlen.

"Irland hat im Moment wirklich ausgezeichnete Wirtschaftszahlen", erklärt der in Dublin ansässige Finanzexperte Constantin Gurdgiev. "Aber drei Viertel des Wachstums stammen nur von multinationalen Unternehmen und von der Steueroptimierung."

Constantin Gurdgiev (Foto: DW/André Leslie).
Constantin Gurdgiev: "Nicht von den Zahlen blenden lassen."Bild: DW/A.Leslie

Eine negative Entwicklung

Nach Gurdgievs Berechnungen wurden in dem 4,6-Millionen-Einwohner-Land insgesamt 27.000 Häuser und Wohnungen zwangsversteigert, seit das Land im Jahr 2008 in Turbulenzen geriet. Nach neuesten Recherchen des Internationalen Währungsfonds (IWF), sind die Prozentzahlen damit niedriger als im selben Zeitraum in den USA, Spanien oder auch Island. Aber das Problem ist noch immer nicht gebannt: Im ersten Quartal 2015 stiegen die Zwangsversteigerungen in Irland wieder. Gurdgiev ist Direktor im Verwaltungsrat des Verbandes irischer Hypothekenbesitzer. Er befürchtet, dass es für viele Iren zunächst noch schlimmer kommt.

Denn für einen Teil der säumigen Zahler werde sich das Problem weiter zuspitzen, weil die Banken die Rahmenbedingungen für Hypotheken umstrukturiert hätten. Einige Banken verzögern nach Angaben des Finanzexperten die Zwangsversteigerungen, weil sich der Immobilienmarkt langsam erholt. Demnach hoffen die Geldhäuser zu einem späteren Zeitpunkt auf einen besseren Verkaufspreis für die geräumten Gebäude. "Und bis dahin zahlen die Familien immer noch untragbare Hypotheken", ergänzt Gurdgiev.

Polizisten schützen ein zwangsgeräumtes Haus in Irland vor Demonstranten (Foto: Anti-Eviction Taskforce)
Zwangsräumungen sind in Irland noch immer an der TagesordnungBild: Anti-Eviction Taskforce

Der frühere Karosseriebauer Bradshaw ist müde von seinem Kampf gegen die Banken. Fünf Jahre lang hatte er vergeblich versucht, sein Zuhause behalten zu können. "Mein Gefühl ist im Moment, dass ich es alles einfach hinter mir lasse und versuche, mit meinem Leben voranzukommen."