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Die braunen Samariter

24. Juni 2008

Das Deutsche Roten Kreuz und das NS-Regime arbeiteten schon in den ersten Jahren der Hitler-Diktatur eng zusammen. Nach jahrelanger Forschung wurde nun eine umfassende Studie zur eigenen NS-Vergangenheit vorgestellt.

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Rotes Kreuz-Trupp während des Zweiten Weltkrieges.(o.Quelle)
Sanitäterverein mit brauner Vergangenheit: Rotkreuz-Mitarbeiter an der Ostfront 1944Bild: picture-alliance/dpa

Beinahe vom ersten Tag arbeiteten Nazis und leitende Funktionäre des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gemeinsam an dessen Gleichschaltung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Das geht aus der Studie "Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur" hervor, die das DRK am Dienstag (24.6.2008) in Berlin präsentierte. Der größte deutsche Sanitäterverein sei "ein willfähriger Partner des NS-Regimes" gewesen.

"Die humanitären Prinzipien und ethischen Werte sind das Wichtigste und Wertvollste, was wir im Roten Kreuz haben", sagte Rotkreuz-Präsident Rudolf Seiters. Es sei daher traurig nachzuvollziehen, wie sich 1933 und 1934 weite Teile der DRK-Führung unter den Bedingungen des NS-Regimes angepasst und sich von Rotkreuzprinzipien entfernt hätten, und wie das DRK als Organisation nationalsozialistisch überformt und instrumentalisiert wurde.

Täuschung und Mittäterschaft

Die Studie legt dar, dass das DRK im Interesse des NS-Regimes Nachforschungen nach jüdischen Häftlingen ab dem Frühjahr 1942 nicht mehr bearbeitete - Nachforschungen, die vom Internationalen Komitees Rotes Kreuz (IKRK) ausdrücklich in Auftrag gegeben worden waren. Darüber soll das DRK dem NS-Regime geholfen haben, die IKRK-Delegierten bei ihren Besuchen der Konzentrationslager über die wahren Zustände zu täuschen. Die DRK-Sanariter hätten von Deportationen und Massenerschießungen gewusst, hieß es weiter. Zudem hätten DRK-Angehörige auch bei der "erbbiologischen Erfassung und Bewertung" der deutschen und tschechischen Bevölkerung in Böhmen und Mähren mitgewirkt.

Vier Jahre Recherche

Die Autorinnen der DRK-Studie: Stepahnie Merkenich (l) und Birgitt Morgenbrod (Quelle:dpa)
Die Autorinnen der Studie: Merkenich (links) und MorgenbrodBild: picture-alliance/dpa

Für die umfassende Studie unter Leitung des Zeithistorikers Hans Mommsen recherchierten die beiden unabhängigen Historikerinnen Birgitt Morgenbrod und Dr. Stephanie Merkenich vier Jahre lang. Sie sichteten und bewerteten Dokumente aus mehr als 20 Archiven.

Bereits frühere Forschungen hatten auf die enge Verflechtung des DRK mit den NS-Staat hingewiesen. Nach 1933 stand an der Spitze des Sanitätervereins erst der Chef des SA-Sanitätswesens Paul Hocheisen und dann der "Reichsarzt SS" Ernst Robert Grawitz. Grawitz war bis 1945 am "Euthanasie-Programm" beteiligt, der systematischen Tötung von behinderten und kranken Menschen. Außerdem hatte er mit den massenhaften Menschenversuchen in den Konzentrationslagern zu tun. Die enge Verstrickung des DRK führte nach Kriegsende auch zu einem teilweisen Verbot durch alliierte Behörden, so dass das DRK erst 1950 wiedergegründet werden konnte.

Späte Aufarbeitung

Vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern sah sich das Rote Kreuz in den 90er-Jahren vielfach mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht mit seiner Rolle auseinandersetzen zu wollen. Daraufhin bat das DRK den renommierten Historiker Hans Mommsen um fachliche Unterstützung bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Mommsen hatte unter anderen auch das Forschungsprojekt über das Volkswagenwerk in der NS-Zeit geleitet. (ahe)