1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Die Bedrohung der Ukraine und die Religion

15. Februar 2022

Die russische Aggression seit 2014 hat die christliche Orthodoxie in der Ukraine gespalten. Jetzt wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation, auch zwischen den Religionsgemeinschaften.

https://p.dw.com/p/47072
Ukraine Kiew | Orthodoxes Osterfest
In einer orthodoxen Kirche in KiewBild: Sergei Supinsky/AFP/Getty Images

"Man spürt die angespannte Lage auf den Straßen." Aus der Schilderung von Rabbiner Schlomo Bakscht spricht die Besorgnis. Im Straßenbild von Odessa seien mehr Soldaten zu sehen als je zuvor, so der Oberrabbiner zur Deutschen Welle. "Man merkt, die Ukrainer sind heute viel mehr Patrioten als vor zehn Jahren. Und sie identifizieren sich mit ihrem Land viel stärker und sind bereit, es zu verteidigen."

Der gewaltige Aufmarsch der russischen Armee und der drohende militärische Angriff, sie beschäftigen auch die Religionen im Land und in Europa. Und die Ukraine, in der traditionell Christen und, in kleiner Zahl, Juden beheimatet sind, ist gespalten.

Beim Thema Religion ist die Ukraine mit ihren gut 40 Millionen Einwohnern vielfältig. Und seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 auch erschüttert. Das Land ist traditionell christlich-orthodox (das Titelbild zeigt eine Klosterkirche in Kiew), knapp 60 Prozent bekennen sich dazu. Vor allem im Westen, rund um Lwiw/Lemberg, gibt es einige Millionen Christen der "Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche" (UGKK); sie erkennen den römischen Papst an, feiern in östlichem Ritus Liturgie, haben verheiratete Priester. Daneben gibt es kleine Gemeinschaften von Protestanten, Juden und Muslimen. 

Ukraine Oberrabbiner von Odessa, Shlomo Baksht
Schlomo Bakscht, Oberrabbiner von OdessaBild: Europäische Rabbiner-Konferenz

Gespaltene Orthodoxie

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 ist die Orthodoxie des Landes tief gespalten. Die Krim-Annexion und die russische Intervention in der Ost-Ukraine haben diese Spaltung noch vertieft. Viele orthodoxe Christen gehören heute zur Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU), die 2018 vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios in Istanbul, dem Ehrenoberhaupt der gesamten Orthodoxie, anerkannt wurde.

Dieser Schritt stieß auf starken Widerstand des russisch-orthodoxen Patriarchats in Moskau, zu dem die nun deutlich kleinere Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) gehört. Seitdem vertiefen sich die Gräben zwischen den Patriarchen in Istanbul und Moskau. Und häufig fiel die große Nähe des Moskauer Patriarchen Kyrill zum Kreml und zu Staatschef Wladimir Putin auf. Beobachter sprechen immer mal wieder von einer strikten Staatsnähe des geistlichen Führers.

Bislang, sagt Regina Elsner, Theologin vom "Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien" in Berlin, sei der gegenwärtige Konflikt "kein religiöser Konflikt". Aber seit 2014 sei zu sehen, dass Religion hier eine wichtige Rolle spiele, sagt Elsner. Die russisch-orthodoxe Kirche zeige ein "ähnlich hegemoniales Verständnis ihrer Einflussbereiche" wie der russische Staat, man gehe also von einer eigenen Vorherrschaft aus. Das sei nach dem Schritt von 2018 und der Anerkennung aus Istanbul "eskaliert". Zuvor habe sich das Moskauer Patriarchat und die zu ihm gehörige UOK nie deutlich gegen die militärische Intervention und die Annexion der Krim ausgesprochen. Damit habe sich die Kirche "im Land selbst zunehmend isoliert".

Ukraine-Konflikt - Russisch-Belarussische Militärübung
Eine gemeinsame russische und belarussische Miltärübung Anfang FebruarBild: Russian Defense Ministry Press Service/AP/dpa/picture alliance

Russische Orthodoxie übt "Stillschweigen" 

In der aktuellen Situation findet Elsner das "Stillschweigen" der russischen Orthodoxie – seitens sowohl der Kirchenoberen in Moskau als auch der in Kiew - über die "Eskalation" bemerkenswert. Man versuche wohl, "sich aus diesen politischen Fragen aktuell komplett herauszuhalten". 

An diesem Wochenende veröffentlichte das Oberhaupt der ukrainischen Orthodoxie, Metropolit Epiphanij, einen Aufruf zum Friedensgebet. Bei der Vorstellung des Dokuments warnte Epiphanij nach Angaben der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) davor, die "Bedrohung vonseiten Russlands" zu unterschätzen.

Auch der Papst mahnt

Gibt es aus der Orthodoxie nur wenige Worte, so häufen sich aus diversen Ländern Europas die Rufe aus der katholischen Kirche zu Friedensgebeten und zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts. Zum wiederholten Mal äußerte sich Papst Franziskus zu der gespannten Lage und rief die Verantwortlichen auch am vergangenen Wochenende auf, "alles zu tun, um den Frieden zu bewahren". Die Berichte aus der Region seien "sehr beunruhigend". In Istanbul mahnte auch das orthodoxe Ehrenoberhaupt Bartholomaios zum Dialog und zur Einhaltung des Völkerrechts. "Waffen sind nicht die Lösung. Im Gegenteil, sie können nur Krieg und Gewalt, Leid und Tod verheißen."

Vatikan Papst Franziskus Petersplatz
Papst Franziskus rief am Sonntag zum Gebet für die Ukraine aufBild: Gregorio Borgia/AP/picture alliance

Derweil lud das Oberhaupt der Griechisch-Katholischen Kirche der Ukraine, Kiews Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, Papst Franziskus in sein Land ein. Dessen Kommen wäre eine "sehr starke Geste". Der Besuch könne auch unter den derzeitigen Umständen stattfinden. Ähnlich hatte sich einige Tage zuvor die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, geäußert.

Papst-Besuch in der Ukraine wäre heikel

Osteuropa-Expertin Elsner hält einen solchen Besuch "für nicht sehr wahrscheinlich". Er könne sogar durchaus Öl ins Feuer der angespannten ökumenischen Beziehungen gießen und das Verhältnis zur russischen Orthodoxie "ruinieren", welches man bisher trotz aller Konflikte sorgsam gehütet habe. Es wäre aber durchaus möglich und wünschenswert, so die Wissenschaftlerin, wenn der Vatikan dieses gute Verhältnis zu Moskau für ein gemeinsames Wort der Kirchen nutzen würde, das zeige, dass man nicht auf der Seite der Kriegstreiber stehe.

Vatikan Papst Franziskus und Erzbischof Sviatoslav Shevchuk
Großerzbischof Schewtschuk 2018 beim PapstBild: ALBERTO PIZZOLI/AFP via Getty Images

Betont skeptisch zeigt sich Oberrabbiner in Odessa gegenüber einem Besuch des Papstes zum jetzigen Zeitpunkt. "Das wäre eine nette Geste, mehr aber auch nicht", sagt Bakscht, der auch dem obersten Leitungsgremium der Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) angehört, der Deutschen Welle. Die Ukraine sei ein orthodox und nicht katholisch geprägtes Land. "Meiner Meinung nach sollte sich die Religion generell nicht in politische Themen einmischen."

Bakscht hat ganz konkrete Sorgen. "Ja, wir haben natürlich Angst vor einem Krieg." Alle sprächen darüber, und man bete um eine Beruhigung der Lage. "Trotzdem bereiten wir uns auf alle möglichen Szenarien vor, auch hier in der jüdischen Gemeinde. Man merkt schon, dass sich die Bevölkerung deutlich mehr als sonst mit Lebensmitteln eindeckt." Das gelte auch für seine Gemeinde, die die Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen wolle. "Man weiß ja nie."