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Das Ökodorf

Daniel Scheschkewitz19. Mai 2007

Früher lebten die Bauern der Gemeinde Freiamt im Breisgau gut von der Landwirtschaft. Dann kam die Krise. Die Bauern dachten um und wurden Biowirte. Heute produzieren sie Strom aus Sonne, Wind und Biogas.

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Landwirtin Inge Reinbold und ihr Ehemann (Daniel Scheschkewitz)
Für erneuerbare Energien: Landwirtin Inge Reinbold und EhemannBild: DW/ Daniel Scheschkewitz

Walter Schneiders Kühe grasen auf grünen Weiden. Auf den lieblichen Anhöhen des Breisgaus nicht weit von der deutsch-französischen Grenze. Aber auch wenn es glückliche Kühe sind: Der Milchpreis ist im Keller, und von der Milch allein kann der Bauer nicht leben. Ein Schicksal, das Schneider mit vielen Viehbauern teilt.

"Wir können kaum noch kostendeckend produzieren", sagt Schneider. Mit der Situation wollte er sich nicht abfinden, doch viel mehr Arbeit wollte er sich auch nicht schaffen. "Man hat ja auch noch ein Familienleben". Der Ausweg: Ökostrom. Wind, Wasser und Sonne gibt es im Breisgau genug. "Regenerative Energien bieten sich einfach an."

Mächtige Flügelräder

Walter Schneider und mehr als 100 andere Bewohner des Dorfes Freiamt investierten vor ein paar Jahren in die Windkraft. Den örtlichen Verein zur Förderung der Windkraft gab es schon und nach der Durchführung von viel versprechenden Messungen wurde auf dem Schillinger Berg hoch über dem 4500-Einwohner-Dorf das erste von inzwischen vier Windrädern installiert.

Alte Kirche in Freiamt (Daniel Scheschkewitz)
Heile Welte im FreiamtBild: DW/ Daniel Scheschkewitz

Wo der Blick bis ins Rheintal und auf den im April noch schneebedeckten Gipfel des Feldbergs schweift, steht nun die Windkraftanlage. Ihre mächtigen Flügelräder markieren den Horizont und das Rad sieht aus als ob ein weißer Riese mit seinen mächtigen Armen aus den dunklen Wäldern des Schwarzwalds entstiegen wäre.

Wärmeenergie aus der Kuhmilch

Das Rad schafft bis zu 1800 Kilowatt in der Stunde. Das entspricht rund drei Millionen Kilowattstunden im Jahr. Oder anders gerechnet: Bei gutem Wind produziert ein Freiämter Windrad in zwei Stunden so viel Strom, wie ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt für ein ganzes Jahr benötigt.

Gemeindeamt in Freiamt
Gemeindeamt in FreiamtBild: DW/Daniel Scheschkewitz

Windkraft ist nicht Walter Schneiders einziges Öko-Projekt. Sogar die Kühe helfen mit. 38 Grad hat die Milch, wenn sie aus dem Kuheuter kommt. Sie muss auf vier Grad heruntergekühlt werden. Die dabei abgegebene Wärmeenergie wird über einen Wärmetauscher für die Beheizung des hauseigenen Brauchwassers genutzt.

Auf dem Dach des Hofes hat Bauer Schneider eine Photovoltaikanlage installiert, so wie auch über 100 andere Freiämter Bewohner. Das Holz aus dem zum Hof gehörenden Nutzwald wird zur Wärmegewinnung in einer modernen Holzhackschnitzelanlagen verfeuert.

Besucher aus dem In- und Ausland

Inzwischen produziert Freiamt Öko-Strom weit über den eigenen Bedarf hinaus. Die Solarzellen von Photovoltaikanlagen auf den Dächern der schmucken Häuser prägen das Ortsbild wie die bewaldeten Höhen das Landschaftsbild. Freiamt ist auf dem besten Wege zu einer Art ökologischen Vorzeigegemeinde Deutschlands. Besucher aus dem In- und Ausland kommen in den Breisgau, um von Freiamt zu lernen, erzählt Bürgermeisterin Hannelore Reinbold-Mesch.

Auch auf den Dächern des Reinbold-Hofes glitzern die Solarzellen der Photovoltaik-Anlagen in der Morgensonne. Kälber, Schweine oder Federvieh sucht man vergeblich auf diesem Bauernhof. Stattdessen wird der Hofplatz von einem großen elektronischen Einfülltrichter und von Transformatorenhäusern ausgefüllt, den Bestandteilen einer Biogasanlage. Gülle und vergorene Biorohstoffe wie Raps, Mais oder Schnittgras werden verbrannt. Der so erzeugte Strom wird von den Reinbolds verkauft. Dafür bekommen sie deutlich mehr als das, was sie bis vor einigen Jahren für ihre Mastbullen erhielten.

Der Hof der Bürgermeisterin (Daniel Scheschkewitz)
Der Hof der BürgermeisterinBild: DW/ Daniel Scheschkewitz

Die Grundinvestition der Reinbolds in die moderne Bio-Gasanlage war kein Pappenstiel. Die 600.000 Euro sollen sich in rund 15 Jahren amortisiert haben. Alles läuft gut: Im fünften Betriebsjahr liefert die Anlage schon mehr als eine Million Kilowattstunden Strom.

Bei Müller Mellert

Die Menschen in Freiamt sind erdverbunden und konservativ. Nicht jede Art der Nutzung erneuerbarer Energien muss zwangsläufig innovativ sein. Der Bäcker Friedrich Mellert nutzt für seine Mühle die Wasserkraft so wie schon seine Vorfahren vor 200 Jahren. Zwei Bäche treiben Tag und Nacht eine Turbine an. Die stammt aus dem Jahr 1905, wurde aber so umgebaut, dass sie nicht nur die Bäckerei, sondern auch die Wohngebäude der Familie mit Heizenergie und Strom versorgt. Das Mehl wird in einem besonders schonenden Verfahren in 16 Durchgängen gemahlen, das Getreide kommt von einem Biobauern, dafür muss der Kunde etwas tiefer in die Tasche greifen

Doch auch die ökologische Energiegewinnung kennt Grenzen des Wachstums. In der Gegend von Freiamt wird es so schnell keine neuen Windkrafträder geben – es lohnt es sich wirtschaftlich nicht. Und trotzdem. Mit viel Liebe und Energie sind die Freiämter auch in ihrer Freizeit dabei für die regenerativen Energien zu werben. "Die Menschen hier haben immer mit der Natur gelebt, ihre Früchte geerntet. Was früher der Ackerbau für sie war, sind heute die erneuerbaren Energien", sagt die Bürgermeisterin.