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Spuren deutscher Geschichte: Diakonissen im Heiligen Land

Marc von Lüpke-Schwarz16. August 2013

1851 gründete ein rheinländischer Pfarrer mit vier Diakonissen in Jerusalem eine Schule für Mädchen. In Talitha kumi lernen bis heute palästinensische Kinder die deutsche Sprache und können ein deutsches Abitur ablegen.

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Fröhliche Kinder in der Talitha kumi Schule (Foto: Archiv der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)
Bild: Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth

Pünktlich zu Ostern des Jahres 1851 hatten die fünf Reisenden ihr Ziel erreicht. Die alte Stadt Jerusalem, die Juden, Christen und Muslimen zugleich als heilig gilt - und damals unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches stand. Der Mann und die vier Frauen hatten einen langen Weg hinter sich. Aus dem kleinen Städtchen Kaiserswerth am Rhein in der Nähe von Düsseldorf waren sie aufgebrochen, um sich über Berlin und Wien bis ins weit entfernte Heilige Land durchzuschlagen. Der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner führte die kleine Gruppe an. Seine Begleiterinnen waren ausgebildete Diakonissen, die hier in Palästina Kranke pflegen und Kindern Unterricht erteilen wollten.

Die heilige Stadt

1836 hatte Fliedner in Kaiserswerth eine evangelische Diakonissenanstalt ins Leben gerufen. Frauen, die in diese Glaubensgemeinschaft eintraten, verpflichteten sich zu Ehelosigkeit, Gehorsam und Selbstlosigkeit. Durch die Hilfe an den Armen und Kranken der Gesellschaft wollten sie zugleich für ihr Seelenheil sorgen. Diakonissen pflegten bald in ganz Deutschland Kranke und unterrichteten Kinder. Doch auch in weit entfernten Ländern, so Fliedners Vision, sollten Kaiserswerther Diakonissen tätig werden. So auch in Jerusalem, wo nach den Worten des Pfarrers "die Füße unsers angebetenen Heilands einst auf Erden den Kranken Hülfe und Heilung brachten".

In der heiligen Stadt angekommen, mieteten Fliedner und seine vier Diakonissen zunächst einmal ein Haus. Eine Missionierung der muslimischen Bevölkerung war von den Behörden aber strikt untersagt worden. Ausschließlich unter Angehörigen anderer christlicher Konfessionen durfte für das evangelische Christentum geworben werden. Während Fliedner schon bald den Rückweg antrat, pflegten die Frauen dort Kranke. Und unterhielten eine kleine Schule, die in erster Linie christliche Mädchen aufnahm. Auf dem Dach der Schule mit Blick über Jerusalem fand oft der Unterricht statt. Bald platzte das kleine Haus aus allen Nähten, rund 50 Kinder traten sich ständig auf die Füße.

Schüler der Talitha kumi Schule (Foto: Archiv der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)
Ein volles Haus: Ein Platz in Talitha kumi war bei der Bevölkerung sehr begehrtBild: Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth

"Mädchen, steh auf!"

Schon bald, im Jahr 1868, sollte die Mädchenschule daher einen Neubau bekommen. Auch ein Name für die Schule war schnell gefunden: Talitha kumi. Denn der Bibel nach erweckte Jesus Christus mit den aramäischen Worten "Talitha kumi!" - zu deutsch "Mädchen, steh auf!" - ein totes Kind wieder zum Leben. Dieses Motto sollte nun den Mädchen in Talitha kumi Selbstvertrauen geben: Hier konnten sie alles lernen, um ein eigenständiges Leben zu führen. Zum Beispiel Lesen und Schreiben, in deutscher und in arabischer Sprache.

Trotz vieler Krisen - verursacht unter anderem von Dürreperioden und Heuschreckenplagen - gedieh Talitha kumi. Bald entstanden eine Volksschule, ein Kindergarten, eine Schule für Haushaltsführung und Ausbildungsanstalten für Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Sogar die osmanischen Herren der Stadt waren von dem Engagement der deutschen Christen angetan. Die Leiterin von Talitha kumi berichtete 1871 stolz über den Besuch des Gouverneurs: "Er ließ sich die Anstalt bis in‘s Kleinste zeigen, hielt sich lange auf und sprach seine Freude über die Anstalt aus."

Zwei Weltkriege

Am Ende des Ersten Weltkrieges wurden die meisten Diakonissen von den siegreichen Briten in Lagern interniert. In die Gebäude zog kurzzeitig eine britische Mädchenschule ein. Erst 1925 durften wieder deutsche Diakonissen zurückkehren und den 130 Schülerinnen eine solide Grundbildung vermitteln. Doch 1939 brach bereits der nächste Weltkrieg aus - erneut internierte man die Diakonissen. Großbritannien, das Palästina als Schutzmacht verwaltete, stand bürgerkriegsähnlichen Szenen zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerung fast hilflos gegenüber.

Das Land war auch zu einer Zuflucht für viele verfolgte Juden aus Europa geworden, die vor den Nationalsozialisten flüchten mussten. Allein zwei arabische Schwestern durften bleiben und weiter arbeiten. Das alte ehrwürdige Haus von Talitha kumi wurde den Diakonissen abermals entzogen. 1948 begann im Nahen Osten dann zwischen Juden und Arabern ein Krieg um den zukünftigen Staat Israel. Viele Palästinenser mussten aus dem Land flüchten. Die Stadt Jerusalem wurde in einen westlichen jüdischen Teil und einen östlichen arabischen Teil aufgespalten. Talitha kumi lag im israelischen Westen.

Sportunterricht im heutigen Talitha kumi (Foto: dpa)
Sportunterricht für Mädchen im heutigen Talitha kumiBild: picture-alliance/dpa

Im palästinensischen Ort Beit Jala, nicht weit von Jerusalem entfernt, gründeten die Diakonissen unverdrossen ein neues Talitha kumi. Bald jedoch hieß es für die Diakonissen, endgültig vom Heiligen Land Abschied zu nehmen. Finanzielle Probleme und die immer kleiner werdende Zahl an Diakonissen machten den Unterhalt der Schule unmöglich. Die Kaiserswerther Diakonissenanstalt gab die Schule 1975 an das Berliner Missionswerk ab. Bis heute werden aber an Talitha kumi Hunderte von Kindern unterrichtet - und viele von den Mädchen und inzwischen auch Jungen verlassen die Schule mit einem deutschen Abitur.