1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pilzesammeln im Nationalstadion

Peter Wozny7. Juni 2012

Der deutsche Kabarettist Steffen Möller zählt zu den populärsten Ausländern in Polen. Im polnischen TV spielte er einen deutschen Kartoffelbauern, moderierte "Wetten dass…?" und hat nun dem DFB-Team Polen erklärt.

https://p.dw.com/p/15ALC
Das polnische Nationalstadion (Foto: Marcus Bredt) Pressefotos zur Ausstellung Choreographie der Massen Im Sport. Im Stadion. Im Rausch 6. Juni – 12. August 2012 Galerie der Künste Berlin Veröffentlichung kostenfrei im Rahmen der aktuellen Berichterstattung zur Ausstellung. Nennung der Credits zwingend erforderlich. Belegexemplar erwünscht.
Bild: Marcus Bredt

Deutsche Welle: Sie haben die deutsche Mannschaft auf Land und Leute in Polen vorbereitet, wie war das?

Ich habe erzählt, wie sehr Polen sich verändert hat in den letzten 16 Jahren. Warschau hat heute zum Beispiel mehr Wolkenkratzer als Berlin und München zusammen. Nach diesem kleinen Vortrag hat mich Matts Hummels angesprochen und hat auf polnisch bis zehn gezählt. Das hat mich beeindruckt, denn das ist nicht einfach.

Haben Sie den Sprachkurs dann vertieft?

Ja, ich habe den Spielern die wichtigsten polnischen Wörter beigebracht: "Guten Tag", "Wie geht's?" und so. Außerdem gibt es in Polen so ein fatalistisches Wort: "Trudno." Das heißt "schwierig". Man benutzt es so wie "C'est la vie" oder "Shit happens". Trudno: Man kann es nicht ändern, wir sind wieder rausgeflogen, kann man nichts dran machen. Ich habe den deutschen Spielern also gesagt: Wenn ihr in der Vorrunde ausscheiden solltet, sucht keine Gründe, sagt einfach nur: "Trudno". Da mussten sie lachen.

Welchen Stellenwert hat die deutsche Mannschaft in Polen?

Die deutsche Mannschaft ist für die Polen die interessanteste Mannschaft. Deutschland ist der große Nachbar, Deutschland wird bewundert, gleichzeitig auch ein wenig gefürchtet. Dazu kommen natürlich auch noch Lukas Podolski und Miroslav Klose, die hier jeder kennt. Zwei Deutsche, die polnisch können. Das finden die Polen toll, das zeigt ihnen: Polnisch ist doch nicht so eine komische Sprache, sogar die Deutschen können es.

Autor Steffen Möller (Foto: DW/Peter Wozny)
Steffen Möller: "Deutschland wird bewundert und gefürchtet"Bild: Peter Wozny

Sie haben einmal behauptet, der polnische Nationalsport sei Pilzesammeln, haben die Polen durch die EM nun ihr Herz für den Fußball entdeckt?

Ja natürlich, weil sie sich wirklich vorbereitet haben. Es wurden in den letzten Jahren mehr als 20 Milliarden investiert in die Infrastruktur. Jetzt muss es klappen und die Polen wundern sich am meisten, dass es wirklich soweit ist. Das wird hier ganz gut laufen. Polen hat ja irgendwie das Glück, dass die Ukraine mit an Bord ist. Ich bin selber ein großer Fan der Ukraine, aber die Ukraine ist in einem Zustand wie Polen vor 20 Jahren. Und auf diesem Hintergrund ist Polen sehr professionell und sehr westlich.

Wie wird denn die Stimmung im Land sein?

Es hängt alles davon ab, wie die Vorrunde läuft, wenn die Mannschaft sie überstehen sollte und ins Viertelfinale kommt, möglicherweise gegen Deutschland, dann sind plötzlich wieder alle dabei. Aber wenn es wieder so läuft wie vor vier Jahren in Österreich und in der Schweiz, wo man mit nur einem Tor rausfliegt, dann ist Land unter. Dann wollen sie wieder alle in die Wälder und Pilze sammeln.

Die Polen gelten als sehr abergläubisch – auch bei der EM?

Es gibt für alles eine Regel. Wenn man zum Beispiel einem Schornsteinfeger begegnet, muss man sofort mit der Hand an einen Knopf fassen und darf diesen Knopf erst loslassen, wenn man eine Blondine mit Brille sieht. Komischerweise kenne ich keinen Brauch für den Fußball. Ich kann es nur ableiten vom Hochzeitsaberglauben: Wenn das Brautpaar in die Kirche einzieht, darf es nicht nach links und rechts sehen, auch wenn Onkel und Tante aus Amerika da sind. Denn das bringt Unglück. Möglicherweise werden auch die polnischen Spieler, wenn sie ins Stadion einlaufen, nicht nach links und rechts gucken, sondern nur geradeaus. Da werde ich mal drauf achten.

EM-Reporter Peter Wozny im Interview mit Autor Steffen Möller im DFB-Quartier in Danzig (Foto: DW/Peter Wozny)
EM-Reporter Peter Wozny im Interview mit Steffen MöllerBild: Peter Wozny

Was kann die EM in Polen bewirken?

In den letzten Jahren sind rund drei Millionen Polen ausgewandert, vor allem junge Leute. Wenn die EM gut läuft, kommen einige von ihnen vielleicht wieder zurück, weil sie sehen, was Polen drauf hat. Und vielleicht wird der polnische Fußball wieder populärer: Die durchschnittliche Zuschauerzahl liegt in der polnischen Liga pro Spiel bei 8000, in Deutschland bei 40.000. Und ich hoffe, dass irgendwann nicht mehr die guten polnischen Spieler ins Ausland gehen, nach Deutschland oder England, sondern hier bleiben.

Im neuen Nationalstadion von Warschau wird nach der EM wahrscheinlich kein Erstligaclub spielen. Was passiert dort nach der EM?

Es hat nicht umsonst die Form eines Weidenkorbs. Man wird es offen lassen, da wachsen dann Moos, Gras und Pilze und wenn die deutschen Fußballfans am Samstag alle in den Stadien der Bundesliga schreien, dann gehen die polnischen Familien ins Stadion und sammeln mit einem Weidenkörbchen ihre Pilze.

Sie leben seit 18 Jahren in Polen. Wem drücken Sie die Daumen, wenn Polen gegen Deutschland spielt?

Ich wünsche den Polen endlich mal ein richtiges Erfolgserlebnis. Aber wenn es nach 80 Minuten 0:0 steht, bin ich für den Rest des Spiels wieder für Deutschland.