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Aus der Not entstanden

17. Juni 2011

Vor 20 Jahren haben Deutschland und Polen einen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Es war der entscheidende Schritt zur Annäherung beider Länder. Mit dem zukunftsorientierten Dokument erfand sich eine Nachbarschaft neu.

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Kohl und Bielecki unterzeichnen den Freundschaftsvertrag (Foto:dpa)
17. Juni 1991: Kohl und Bielecki unterzeichnen den deutsch-polnischen FreundschaftsvertragBild: picture-alliance/dpa

Als der Umbruch in Europa vor über 20 Jahren begann, wurde er von Hoffnung und Verunsicherung gleichermaßen begleitet. Polen, das damals eine schwere Transformation durchmachte, bekam innerhalb kurzer Zeit fast an allen Seiten neue Nachbarn. So grenzte es auf einmal im Westen statt an die DDR an das große wiedervereinigte Deutschland und im Osten an die zerfallende Sowjetunion - für Warschau eine ungemütliche Lage.

Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik und die Unterzeichnung eines neuen Nachbarschaftsvertrages waren in dieser Situation mehr als schöne Gesten. "Der Vertrag zwischen den lange verfeindeten Staaten stabilisierte die politische Lage in Europa", sagt der junge polnische Historiker Tytus Jaskulowski. Er ist Mitautor eines kürzlich erschienenen Gesprächsbandes mit Zeitzeugen, Unterzeichnern und Unterhändlern des Vertrages. Sein Fazit: "Eigentlich ist das Dokument ein Präzedenzfall in der deutsch-polnischen Geschichte und man kann es nur mit dem Elysee-Vertrag vergleichen", dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963. Vertrauen als Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen - das hat es in deren Beziehungen so klar nie zuvor gegeben.

Ein Vertrag für die Zukunft

Düsseldorf und Warschau - Partnerstädte seit 1989 (Foto:dpa)
Düsseldorf und Warschau - Partnerstädte seit 1989Bild: picture-alliance/dpa

An guter Nachbarschaft waren beide Staaten interessiert. Polen erhoffte sich davon mehr Sicherheit und Deutschland konnte nach seiner Wiedervereinigung seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Warschau brauchte deutsche Unterstützung auf dem Weg in westliche Bündnisse, und Bonn wollte mehr Rechte für die in Polen lebenden Deutschen bekommen - es gab viel zu klären.

Nach einem fast zweijährigen Verhandlungsprozess war es am 17. Juni 1991 soweit: Kanzler Helmut Kohl und Polens Premierminister Krzysztof Bielecki unterzeichneten in Bonn den "Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit". Das Dokument beschreibt in 38 Artikeln das zukünftige Miteinander - von der Sicherheit, Politik und Wirtschaft bis zur Umwelt und dem Jugendaustausch. Deutsche in Polen bekamen einen Minderheitsstatus und durften ihre Sprache und Kultur pflegen. Polen wiederum wurde die Unterstützung bei seinen Ambitionen in Europa zugesagt.

Nachbarn kennen lernen

Zwei Jungen mit deutscher und polnischer Flagge (Foto:dpa)
Persönliche Freundschaften sind eine wichtige Voraussetzung guter NachbarschaftBild: picture-alliance/dpa

Vor allem eröffnete der Vertrag aber neue Chancen für Menschen beiderseits der Grenze, die ihre Nachbarn kennen lernen wollen. Mit der Unterzeichnung wurden mehrere Institutionen ins Leben gerufen, wie das Deutsch-Polnische Jugendwerk oder Stiftungen, die eine Zusammenarbeit in vielen Bereichen unterstützen. Es entstanden 650 kommunale Partnerschaften zwischen beiden Ländern, und zwei Millionen Jugendliche lernten sich persönlich kennen.

Auch tausende Begegnungen unter Studenten, Akademikern und Künstlern fanden dank zahlreicher Stipendienprogramme statt. Der 35-jährige Historiker Tytus Jaskulowski zählt auch zu den Profiteuren. "Ich kam Mitte der 90er Jahre nach Deutschland mit einem neuen Stipendium", sagt er. "Einen deutsch-polnischen Studentenaustausch gab es zwar schon früher, aber niemals in dieser Dimension wie ab 1991."

Hinwegsehen - manchmal nicht schlecht

Der ehemalige polnische Regierungschef Mazowiecki (Foto:DW)
Der ehemalige polnische Regierungschef MazowieckiBild: DW

"Auch wenn der Vertrag heute so selbstverständlich erscheint, führte ein langer Weg dahin“, sagt Tadeusz Mazowiecki, der erste nicht-kommunistische Premierminister Polens seit dem Umbruch 1989. Er betont: "Das Dokument war ein besonderer Kompromiss, denn beide Seiten mussten sich darauf mit einer großen Dosis Vertrauen einlassen."

Tatsächlich gab es mehrere Themen, bei denen sich Deutsche und Polen damals nicht einigen konnten. So lehnte die Bundesrepublik es ab, die in Deutschland lebenden Polen als Minderheit anzuerkennen. Auch die Frage der Entschädigungen für die vertriebenen Deutschen blieb heikel. "Der Clou war, dass beide Seiten irgendwann verstanden, dass diese Themen alles aufhalten. Entweder man sieht über sie hinweg und klammert sie aus oder man wird sich nicht einigen", resümiert Jaskulowski. Schließlich hat man sich geeinigt, die größten Hürden auszuklammern und der Nachbarschaft erstmal eine Chance zu geben. Die Bilanz nach 20 Jahren zeigt, dass die Rechnung aufgegangen ist.

Beispiel für Europa

20 Jahre danach hat der Vertrag an Aktualität nicht verloren. "Er war bestimmt von der historischen Verantwortung und er war wegweisend für die gemeinsame Zukunft", sagt Hans-Dietrich Genscher, der damals Außenminister war. Junge Historiker wie Tytus Jaskolowski sehen heute in dem Dokument von 1991 auch einen universellen Wert. "Der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag hat mittlerweile eine europäische Dimension", sagt Jaskulowski und ergänzt: "Diese basiert auf dem Prinzip der Nachbarschaftshilfe - das ist etwas, was wir heute dringend in Europa brauchen, egal ob in der Politik gegenüber dem Osten oder gegenüber Nordafrika."

Autorin: Rosalia Romaniec
Redaktion: Mirjana Dikic