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Kühlen Kopf bewahren trotz Omikron

Kay-Alexander Scholz
7. Januar 2022

Der erste Corona-Gipfel im neuen Jahr bestätigt den, im europäischen Vergleich, eingeschlagenen Mittelweg in der Pandemie. Infektionen lassen sich nicht komplett verhindern. Das Geschehen soll aber handelbar bleiben.

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Konferenz im Kanzleramt mit Olaf Scholz zur Corona-Lage
Bild: John MacDougall/AP/picture alliance

In Deutschland klang die Delta-Welle der Corona-Pandemie gerade ab. Doch nun steigen die Zahlen wieder, auf mehr als 300 Neuinfektionen pro Hunderttausend Einwohner pro Woche. Auch hierzulande, wie in vielen anderen europäischen Ländern bereitet sich die hochansteckende Omikron-Variante aus, wenn auch nicht ganz so stark wie befürchtet. Bundeskanzler Olaf Scholz führt die "relativ bessere Entwicklung als in manchen Nachbarländern" auch auf die schon bestehenden Kontaktbeschränkungen in Deutschland zurück. So hieß es bei der Pressekonferenz nach einem Corona-Gipfel in Berlin.

Am Freitag trafen sich die Bundesregierung und die Spitzen der Bundesländer das zweite Mal unter Führung des neuen Kanzlers. Der Termin war beim letzten Treffen der sogenannten Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vor Weihnachten vereinbart worden. Viele Deutsche blickten mit Spannung auf den Termin: Kommt ein neuer Lockdown wie in Österreich oder den Niederlanden? Er kam nicht - und kommt auch dieses Mal nicht.

Was beschlossen wurde

Deutschland folgt nun Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den USA - und verkürzt die Quarantäne-Fristen. Das ist so gesehen eher eine Lockerung, keine Verschärfung. Bislang fielen Infizierte und ihre Kontaktpersonen mindestens für zwei Wochen aus. Nun sollen die Menschen schneller zurück an ihren Arbeitsplatz. Die Quarantäne wird auf zehn Tage verkürzt - und kann bei negativem Test auf sieben Tage verkürzt werden. Für Schulkinder sind es sogar nur fünf Tage. Wer als Kontaktperson eines Infizierten geboostert, also zum dritten Mal geimpft, oder frisch doppelt geimpft oder genesen ist, braucht gar nicht mehr in Quarantäne.

Infografik Covid-19: Todesfälle und 7-Tage-Inzidenz Deutschland 07.01.22

Der Fokus der Corona-Schutzmaßnahmen erweitert sich damit: Es geht nicht mehr vor allem darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Sondern auch darum, "das Land am Laufen zu halten", sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen.

Omikron ist die bislang ansteckendste Virus-Variante. Gibt es sehr viele Neuinfizierte, und damit viele Menschen in Quarantäne, stellt sich auch die Frage: Wer fährt den Polizeiwagen, die Feuerwehr, den Krankenwagen oder bedient die Computer in den Energiezentralen? Kürzere Ausfallzeiten durch verkürzte Quarantäne-Zeiten sollen entlastend wirken.

Neue Zutrittsregeln für die Gastronomie

Eine Verschärfung gibt es aber: für die Gastronomie. Weil in Bars, Restaurants oder Cafés am Platz keine Maske getragen werden könne, müsse hier der Schutz verstärkt werden, argumentierte Scholz. Nun dürfen nur noch Genesene oder Zweifach-Geimpfte mit negativem Test-Ergebnis bewirtet werden. Dreifach Geimpfte müssen keinen Test vorweisen.

Diese sogenannte 2G-plus-Regelung ist damit auch eine Anpassung an das Impfgeschehen. Denn bei den über-18-Jährigen ist mittlerweile die Hälfte bereits geboostert. "Drei" ist sozusagen das neue "Zwei", also der Status für vollständig geimpft.

Deutschland | Coronavirus | Einschränkungen
Bald nur noch unter der Bedingung 2G+ ins Restaurant Bild: Antonio Pisacreta/ROPI/picture alliance

Allerdings kann der Kanzler das nicht verordnen, die Bundesländer müssen es umsetzen. Wie schon oft in der Pandemie geschehen, kann es Abweichungen geben. Prompt kam kurz nach der MPK Einspruch wegen 2Gplus aus zwei Bundesländern. Aus Bayern hieß es, man wolle prüfen, ob eine Verschärfung wirklich nötig sei. Und in Sachsen-Anhalt sei die Delta-Variante vorherrschend, deshalb reiche 2G, sagte der Ministerpräsident des Landes Reiner Haseloff.

Politik folgt Expertenrat

Um politischen Entscheidungen eine breitere wissenschaftliche Basis zu geben, hatte die neue Bundesregierung einen wissenschaftlichen Expertenrat eingesetzt. Der traf sich im Vorfeld der MPK nun ebenfalls zum zweiten Mal und gab eine einstimmige Stellungnahme heraus.

Der Rat schätzt demnach ein, dass die Virus-Variante "zeitnah flächendeckend dominant" werde. Doch Infektionen mit der Omikron-Variante führten, "bezogen auf die Fallzahl, seltener zu Krankenhausaufnahmen und schweren Krankheitsverläufen". Allerdings könnte der "Vorteil der milderen Krankheitsverläufe" quantitativ durch die höhere Fallzahl aufgewogen werden. Alle medizinischen und pflegerischen Versorgungseinrichtungen müssten sich für die kommenden Wochen deshalb auf "eine erhebliche Belastungssituation" einstellen. Insbesondere seien auch Notaufnahmen und Normalstationen gefragt - wegen der anzunehmenden höheren Zahl weniger schwerer Fälle.

Weitere Kontaktreduzierungen sieht der Expertenrat aktuell nicht als notwendig an, könnten bei höheren Infektionszahlen aber notwendig werden. Dieser Einschätzung schloss sich nun die Politik an.

Schulen sollen offen bleiben

Die Länder hatten sich schon im Vorfeld der MPK bei einer außerordentlichen Kultusministerkonferenz auf die Fortsetzung der bisherigen Strategie geeinigt. Das heißt: die Schulen sollen offen bleiben. Denn "Schulen sind systemrelevant", sagte Vorsitzende Karin Prien.

Doch so einheitlich das klingen mag, die Realität ist wegen des Föderalismus vielgestaltiger. Die Gesundheitsämter in den Städten und Landkreisen können nämlich Schulschließungen anordnen, wenn es zu viele Infektionen gibt. Das passierte in der letzten Pandemie-Welle nicht selten. Einzelne Bundesländer überlassen es aktuell den Schulen selbst, doch in den Distanzunterricht zu gehen oder zumindest Wechselunterricht anzubieten. Flächendeckende Schulschließungen wären mit der derzeitigen Rechtslage nicht möglich.

Wann kommt die allgemeine Impfpflicht?

Man solle jetzt zu einem Impftermin eher "hinrennen und nicht laufen", appellierte Scholz noch einmal an die Bereitschaft der Deutschen, sich impfen zu lassen. Aktuell hat das Impftempo wieder nachgelassen. So wurden in den letzten Tagen nur etwa halb so viele Dosen verimpft wie vor Weihnachten. Die neuen Regeln zu 2G-plus und den Quarantäne-Erleichterungen könnten dem Boostern einen zusätzlichen Schub verschaffen.

Um die Lücken zu schließen, ist auch in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht im Gespräch. Das Gesetz sollte aus der Mitte des Parlaments kommen. Doch es stockt. Bislang liegt nur ein Gesetzes-Antrag aus den Reihen der FDP - gegen - eine Impfpflicht vor. Nun wird es im Januar erst einmal eine Orientierungsdebatte geben. Bis Ende März könnte dann, heißt es aktuell, das Gesetz stehen. Die FDP bildet zusammen mit der SPD und den Grünen die derzeitige Regierungskoalition. Justizminister Marco Buschmann von der FDP zeigte sich skeptisch: "Wenn das Impfen absehbar nur für zwei, drei Monate helfen sollte, dann spricht das eher gegen eine Impfpflicht." Das Nachbarland Österreich wollte zum 15. Februar eine Impfpflicht einführen. Aber auch hier wird das Vorhaben gerade noch einmal diskutiert.

Kanzler Scholz und sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach, beide SPD, sind für eine Impfpflicht. Man könne nicht darauf warten, dass eine hohe Durchseuchung eine Impfpflicht überflüssig mache, sagte Lauterbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine "schmutzige Impfung" durch Omikron sei keine Alternative.

Die nächste MPK ist für den 24. Januar angesetzt. Spätestens dann wird sich zeigen, ob der eingeschlagene Weg - maßvolle Schutzmaßnahmen, kein komplettes Abwürgen des öffentlichen Lebens und Impf-Appelle - zu halten sein wird. Oder aber, ob Verschärfungen nötig sein werden.