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Rabbiner-Ausbildung an deutscher Universität

18. August 2021

An der Universität Potsdam eröffnet ein "Europäisches Zentrum für Jüdische Gelehrsamkeit" - hier werden künftig Rabbiner im Rahmen eines Universitätsstudiums ausgebildet. Zum Zentrum gehört auch eine neue Synagoge.

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Deutschland, Potsdam | Europäisches Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit
Bild: Tobias Hopfgarten

Für Walter Homolka ist es die Krönung jahrzehntelanger Arbeit. "Seit der Gründung des Abraham-Geiger-Kollegs im Jahr 1999 ging es uns um die Anknüpfung an eine Tradition, die mit der Schoah untergegangen war: zu versuchen, Rabbiner in einem akademischen Kontext auszubilden", sagt der 57-jährige Rabbiner Homolka der Deutschen Welle. Und an diesem Mittwoch wird an der Universität Potsdam das neue "Europäische Zentrum für Jüdische Gelehrsamkeit" eröffnet. Wichtigster Gast ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Die Eröffnung des neuen Zentrums nach mehrjähriger Bauzeit, bei der es auch mal um Denkmalschutzfragen, mal um Sicherheitsaspekte ging, passt in das Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Man mag es vergleichen mit dem Projekt einer "Jüdischen Akademie", deren Bau im Herbst in Frankfurt am Main starten soll.

Rabbiner Walter Homolka
Rabbiner Walter HomolkaBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Dass der Bundespräsident, der als Schirmherr im Februar das Festjahr mit eröffnet hatte, zur Feier an der Universität Potsdam kommt, zeigt den Stellenwert des neuen Zentrums. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), Israels Botschafter in Deutschland Jeremy Issacharoff, der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster und die Präsidentin der Europäischen Union progressiver Juden, Sonja Guentner, werden erwartet.

Gleich gegenüber vom Schloss

Mit dem künftigen Quartier hat das neue Zentrum seinen Sitz mitten in preußischer Geschichte und in schönster preußisch geprägter Parklandschaft. Der Komplex liegt gegenüber dem Neuen Palais, einem unter Preußen-König Friedrich dem Großen (1712-1786) errichteten Schloss im auch vielen Touristinnen und Touristen vertrauten Park Sanssouci. Für das "Europäische Zentrum für Jüdische Gelehrsamkeit" wurden die einstige Orangerie und das historische Nordtorgebäude umgebaut; Kostenpunkt: 13,5 Millionen Euro.

Deutschland, Potsdam | Europäisches Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit
Das neue Zentrum (die Gebäude vorne rechts) als Teil der Universitätslandschaft PotsdamBild: Tobias Hopfgarten

Bei der Vorgeschichte des Zentrums kommt Rabbiner Homolka, der Rektor des vor 22 Jahren von ihm mitgegründeten Geiger-Kollegs, auf die Gestalt Abraham Geigers (1810-1874). Der Rabbiner, in Frankfurt am Main geboren, war einer der großen Gestalten des im 19. Jahrhundert aufkommenden Reformjudentums und wurde zum wichtigen Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums. Nach Überzeugung Geigers, sagt Homolka, war "die Emanzipation des Judentums erst komplett, wenn die Rabbiner wie auch christliche Priester und Pastoren an der deutschen Universität ausgebildet werden". 

Die Vielfalt des Judentums

In diesem Sinne erreichte das Geiger-Kolleg 2001 ein Kooperationsabkommen mit der Universität Potsdam. "2013 kam der nächste große Schritt, als jüdische Theologie zum Universitätsfach erhoben wurde", erläutert Homolka. "Und nun wird 2021 auch die räumliche Nähe vollzogen." Damit hat das Land Brandenburg erstmals überhaupt eine komplette theologische Ausbildung an einer seiner Universitäten.

Deutschland, Potsdam | Europäisches Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit
Im Innenhof des KollegsBild: Tobias Hopfgarten

Und die Ausbildung liberaler Rabbiner und Kantoren hat nun nach einem längeren Provisorium in Berlin ihren dauerhaften Sitz. Heute kann man im Großraum Berlin wieder eine Rabbiner-Ausbildung absolvieren in den diversen Strömungen des Judentums: liberal, konservativ, orthodox. Nur bei der liberalen Ausrichtung in Potsdam erfolgt dies eingebettet in eine deutsche Universität. In Potsdam eingeschrieben sind derzeit rund 80 Studierende, davon streben 31 ein Rabbinat oder ein Kantorat an.

Zwei Rabbinerseminare und eine Synagoge 

Das neue Zentrum umfasst die School of Jewish Theology der Universität Potsdam sowie zwei miteinander verbundene Rabbinerseminare, das liberal ausgerichtete Abraham-Geiger-Kolleg und das konservativ ausgerichtete Zacharias-Frankel-Kolleg. Bemerkenswert ist die Etablierung einer Synagoge in den Komplex. Homolka: "Sie stellt wahrscheinlich die einzige Synagoge an einer deutschen Universität überhaupt dar, auch in der Geschichte. Damit wird die Emanzipation, wie sie sie Abraham Geiger gewünscht hat, vollendet." Es ist der erste Neubau eines jüdischen Gotteshauses in Potsdam nach dem Völkermord an den Juden.

Deutschland, Potsdam | Europäisches Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit
Die neue Synagoge Bild: Tobias Hopfgarten

"Durch die Verbindung von akademischer Lehre und der Vorbereitung auf das jüdisch-geistliche Amt an einem Ort mit einem sakralen Raum ist das Ganze zu einem Leuchtturm geworden." Rabbiner Homolka hofft auf wachsende Dialoge mit anderen akademischen Bereichen, auf eine Einbeziehung bei ethischen Fragen und gesellschaftlichen Debatten.

Lob von der katholischen Kirche

Welche Dimension das neue Zentrum über Potsdam und Deutschland, auch über die jüdische akademische Welt hinaus haben könnte, verdeutlicht der ranghöchste katholische Kirchenvertreter in Europa. In einem Grußwort spricht der luxemburgische Kardinal Jean-Claude Hollerich, Vorsitzender der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE), von einem "zentralen Ort in Europa für die geistige Renaissance jüdischen Lebens nach der Schoah".

Jean-Claude Hollerich, Erzbischof von Luxemburg
Kardinal Jean-Claude HollerichBild: picture-alliance/Catholic Press Photo

Der Kardinal nennt neben der Ausbildung von Rabbinern und Kantoren die Möglichkeit für andere Studierende, am Geiger-Kolleg und an der School of Jewish Theology "den Reichtum der jüdischen intellektuellen, kulturellen und religiösen Traditionen kennenzulernen". In der pluralistischen Welt bräuchten künftige Geistliche die Begegnung mit den anderen Religionen, betont er.

Noch hat die zum Jüdischen Zentrum nächstgelegene Bushaltestelle übrigens den wenig einfallsreichen Namen "Abzweig nach Eiche". Homolka ist zuversichtlich, dass sie in einigen Monaten den Namen von Abraham Geiger tragen wird.