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Deutschland 2025: Zwischen Sorge und Hoffnung

Sabine Kinkartz, Berlin23. September 2016

Millionen Menschen sind auf der Flucht, auch nach Europa. Es wird große Veränderungen geben. Die Gesellschaft hat den Wandel aber in der Hand, sagen Experten. Sie muss nur jetzt die richtigen Weichen stellen.

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Deutschland Flüchtlinge kommen an der ZAA in Berlin an
Bild: Getty Images/S. Gallup

In die Geschichtsbücher wird das Jahr 2015 in Deutschland wohl vor allem als das Jahr der Flüchtlinge eingehen. Das Jahr, in dem Angela Merkel die Grenzen öffnen und so schnell nicht wieder schließen ließ. Unter dem Motto "Wir schaffen das" ließ die Bundesregierung hunderttausende Menschen nach Deutschland kommen.

Ein Jahr später ist das alltägliche Leben der Deutschen zwar nicht auf den Kopf gestellt, das politische hingegen schon. Getrieben von den Erfolgen der rechtspopulistischen AfD zerfleischen sich CDU und CSU, die Zustimmung der Wähler zur Großen Koalition ist im freien Fall. Politisch ist aus der vielgepriesenen Willkommenskultur der drängende Wunsch nach Abschottung geworden. Unter dem politischen Druck aus den eigenen Reihen räumt die Bundeskanzlerin ein, dass ihr "Wir schaffen das" zur Leerformel geworden ist.

Zwei Szenarien für Deutschland

Wohin steuert Deutschland? Die Alfred Herrhausen Gesellschaft, ein Gesprächsforum der Deutschen Bank, hat diese Frage aufgegriffen. Unter der Überschrift "Denk ich an Deutschland" wird einmal im Jahr eine Konferenz ausgerichtet. Der Titel diesmal: "Deutschland 2025 - Haben wir's geschafft?" Im Vorfeld wurden Migrations-Experten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gebeten, eine Diskussionsgrundlage zu erstellen. In drei eintägigen Workshops wurde mit Blick auf das Jahr 2025 ein positives Szenario ("Wir schaffen das") und ein negatives Szenario ("Abschottung") entwickelt. Zwei Abhandlungen, die zum Nachdenken anregen.

Da ist die eine Abhandlung von einem Deutschland, das sich im Jahr 2025 nach Kräften gegen die "neue Völkerwanderung" abschottet. "Innere Sicherheit ist ein viel diskutiertes Thema. Wohlhabende ziehen sich in die Vorstädte zurück und wohnen dort in gut abgesicherten Villenvierteln. Ebenfalls gut abgesichert sind die Aufnahmelager für Migranten und Flüchtlinge hinter dem Stadtrand. Deutschland ist ein gespaltenes, zerrissenes Land", so das negative Szenario.

Hass und Deutschtümelei

Deutschland wird weiter als ein Land gezeichnet, in dem "verfeindete Bevölkerungsgruppen leben: die den Abstieg fürchtende Mittelklasse mit und ohne Migrationshintergrund, eine globalisierte und von den Problemen der Gesellschaft weitgehend abgekapselte Elite und eine frustrierte und perspektivlose Unterschicht, die mehr und mehr in zerstrittene und hasserfüllte Gruppierungen zerfällt".

Die Folge: "Immer mehr gut ausgebildete, junge, innovative, voranstrebende Menschen, die Kinder und Enkel der Babyboomer, die Nachkommen arrivierter Deutschtürken, die Kinder eingewanderter Osteuropäer verlassen das wirtschaftlich geschwächte Deutschland. Es treibt sie die Angst vor den Extremisten, das Klima des Misstrauens, die Reglementierung im Alltagsleben, die Konflikte in den Städten, Deutschtümelei einerseits und verbissene politische Korrektheit andererseits, mangelnder Respekt im Umgang miteinander und schlicht der ganz alltägliche Hass."

Vielfalt als Stärke

Das von den Experten entworfene positive Szenario für das Jahr 2025 setzt stattdessen auf die Förderung aller Menschen, die in Deutschland leben oder ins Land kommen. "Vielfalt gibt es nicht mehr nur im Straßenbild, sondern auch in leitenden Institutionen und Führungsposten. Lehrer, Beamte, Journalisten, Polizisten mit türkischem oder syrischem Hintergrund sind etwas völlig Normales. In Betrieben haben sich Migranten als Fachkräfte hochgearbeitet und bekleiden Führungspositionen. Im Jahr 2025 ist das so wenig der Erwähnung wert wie die Zusammensetzung einer Fußballmannschaft."

Deutschland Flüchtling Hamza Ahmed in der Firma Reuther STC GmbH in Fürstenwalde
Ja, wir schaffen das?Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

In der positiven Abhandlung wird 2017 aber zunächst als ein Jahr geschildert, das zur "Katastrophe für die Demokratie" wurde: Selbstmordattentate mit dutzenden Toten, eine zweite Pegida-Generation, brennende Flüchtlingsunterkünfte. "Am Ende zogen im Herbst 2017 rechtspopulistische Parteien mit über 15 Prozent Stimmenanteil in den Bundestag ein."

Erkenntnis und Kehrtwende

Was sich bis zu diesem Punkt wie eine Fortschreibung der Status Quo in Deutschland liest, bekommt unmittelbar eine wegweisende Wendung. Die Gesellschaft erkennt, dass "es politisch wenig Sinn ergab, sich auf die Themen und die Sprache der Rechtspopulisten einzulassen". Es folgen Demonstrationen für mehr Offenheit, Toleranz und Solidarität. Die Bundesregierung besinnt sich auf eine "schlüssige Einwanderungspolitik" nach dem kanadischen Punktesystem. Ein zweites Integrationspaket tritt in Kraft. "Es war eine kleine Revolution, denn es enthielt unter anderem eine weitere Flexibilisierung des Verteilungsschlüssels, eine zusätzliche Lockerung der Residenzpflicht und einen verbesserten Zugang von Asylbewerbern und Nicht-EU-Ausländern zum Arbeitsmarkt."

Welches Szenario wird am Ende Realität werden? Das wurde auf der Konferenz "Deutschland 2025 - Haben wir's geschafft?" durchaus kontrovers diskutiert. Viel wird davon abhängen, wie sich die politische Diskussion entwickeln wird. Die ist derzeit allerdings weniger von zukunftsweisenden Ideen geprägt, als vielmehr von gegenseitigen Angriffen.

Deutschland Konferenz "Denk ich an Deutschland. Deutschland 2025"
Talkrunde mit Polit-GästenBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Ewiger Parteienstreit

Das zeigte sich beispielhaft in einer Diskussionsrunde, zu der die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch und der stellvertretenden AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen eingeladen waren. Eigentlich sollten die vier über Chancen und Grenzen der Willkommenskultur sprechen, stattdessen erging sich die Runde im hinlänglich bekannten Parteienstreit. Das fiel am Ende auch Julia Klöckner auf. "Das sind die das oben, aber bei uns geht es um etwas anderes gerade" müsse jeder denken, der zuhöre, stellte sie selbstkritisch fest.

Klöckner fordert einen Perspektivwechsel in der Politik. "Es liegt an uns, ob wir uns nur noch mit dem Flüchtlingsthema beschäftigen, dann brauchen wir uns am Ende nicht darüber wundern, dass alle Angst haben, das Abendland geht jetzt unter." Der Fokus müsse auf die tatsächlichen Handlungsfelder gelegt werden, nämlich Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur. "Es geht darum, nicht nur in Stimmungen zu fischen, sondern valide Konzepte vorzulegen."