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Vom Todesstreifen zum Naturschutzgebiet

Brigitte Osterath
6. September 2017

Die Bundesstiftung Umwelt ehrt drei Kämpfer für das Grüne Band Deutschlands. Preisträger Kai Frobel erzählt der DW, wie alles begann und warum sich die Vögel im Grenzgebiet zwischen BRD und DDR so wohl gefühlt haben.

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Kai Frobel, BUND
Kai Frobel vom BUND an der ehemaligen innerdeutschen Grenze bei MitwitzBild: BUND

Deutsche Welle: Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Umweltpreis, Herr Frobel! Sie freuen sich bestimmt sehr.

Kai Frobel: Ja, es ist eine große Ehre. Ich bin ja mit dem Grünen Band schon seit 42 Jahren verwoben und habe schon damals Mitte der 70er Jahre als Jugendlicher die Grundlage für das Projekt gelegt.

Wie kam es denn dazu?

Mein Heimatort lag im Landkreis Coburg und war auf drei Seiten von DDR-Grenze umgeben - ich konnte von meinem Kinderzimmerfenster auf die Grenze schauen. Ich war biologisch interessiert und habe mich vor allem mit Ornithologie, also mit Vogelbestimmung, beschäftigt. Wenn ich aber in dieser damals schon ausgeräumten bayerischen Landschaft mit seiner intensiven Landwirtschaft seltene Arten entdecken wollte, dann waren die alle in diesem Grenzstreifen zu finden. Diese Schatzkammer des Artenreichtums war ausgerechnet an dieser scheußlichen innerdeutschen, menschenverachtenden Grenze.

Das Grüne Band Deutschlands - Luftbild
Das Grüne Band zieht sich als Naturschutzgebiet 1400 Kilometer quer durch DeutschlandBild: BUND/K. Leidorf

Aber das Grenzgebiet durfte man doch damals gar nicht betreten?

Ja, vom Osten her war das striktes Sperrgebiet. Es gab sogar noch ein eigenes Sperrgebiet  dahinter - nur direkte Anwohner durften dort hinein. Aber vom Westen her konnte man quasi bis direkt an den Sperrbereich herangehen, bis auf eine Distanz von 50 oder 100 Metern. Und in dieser Distanz konnte man als Vogelkundler mit Fernglas die rufenden, singenden, oftmals auf dem Grenzzaun balzenden Braunkehlchen hervorragend erfassen.

Warum waren die denn gerade dort so zahlreich vertreten?

Weil das ein Bereich war, der seit Jahrzehnten ungenutzt, ungestört und ungedüngt war - wo die Natur eine 40-jährige Atempause hatte. Diese Chance haben die Arten genutzt. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass bei seltenen, hochgefährdeten Arten in Bayern wie Braunkehlchen, Grauammer, Raubwürger und Ziegenmelker über 90 Prozent in diesem Grenzstreifen vorkamen. Das war ein letzter Rückzugsraum für viele Arten - und ist es bis heute.

Infografik Grünes Band Europa DEU
Der ehemalige Eiserne Vorhang zieht sich durch ganz Europa

Was passierte nach dem Fall der Mauer?

Uns war klar, dass in unserer kurzlebigen Zeit mit dem großen Nutzungsdruck eine einzigartige Struktur stark gefährdet ist.

Sie haben befürchtet, dass das Gebiet zugemauert wird?

Nein, vor allem umgeackert. Die Befürchtung war auch leider zutreffend: In den ersten Jahren bis 1993 haben wir etwa 2000 Hektar Fläche im Grünen Band an die Landwirtschaft verloren. Biotope, die sich über Jahrzehnte gebildet haben, waren innerhalb von Minuten unter den Pflugscharen. Deswegen hatten wir bereits im Dezember 1989 das erste gesamtdeutsche Treffen von Naturschützern aus Ost und West. Den Begriff 'Grünes Band' habe ich damals ausgewählt. Und das war dann der Startschuss für dieses erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt - und auch das größte Naturschutzprojekt in Deutschland überhaupt. Das Grüne Band ist immerhin 1400 Kilometer lang - das längste Biotop Deutschlands.

Welche Ökosysteme gibt es dort?

Das Grüne Band läuft von Hof bis Lübeck quer durch Deutschland und - von den Alpen mal abgesehen - durch alle Naturräume Deutschlands - mit einer entsprechenden Vielfalt. Wir haben heute am Grünen Band 150 Naturschutzgebiete, einen Nationalpark - den Harz - drei Biosphärenreservate und 17 Naturparks.

Von den seltenen Vogelarten mal abgesehen - welche Tiere und Pflanzen kommen dort vor?

Das Grüne Band Deutschlands - Habichtkraut
Im ehemaligen Sperrgebiet wachsen viele bedrohte PflanzenBild: BUND/H. Schlumprecht

Wir haben dort mittlerweile über 1200 Tier- und Pflanzenarten nachgewiesen, die auf der Roten Liste als gefährdet stehen oder zum Teil sogar vom Aussterben bedroht sind. Das reicht von der Arnika, dieser gelb blühenden Heilpflanze, über den Schwarzstorch bis hin zum Fischotter. Dann gibt es beispielsweise die Fließwasserlibelle wie die grüne Keilljungfer oder auch der Laubfrosch, der das Grüne Band gerne zur Überwinterung nutzt.

Jetzt verlief der Eiserne Vorhang ja nicht nur durch Deutschland, sondern durch ganz Europa. Wie entstand das europäische Projekt des Grünen Bandes? 

Hubert Weiger hatte 2002 die Idee. Er koordiniert mit mir zusammen innerhalb des BUND das Projekt und wird auch mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. Im Jahr 2002 bei einer Veranstaltung mit Gorbatschow im Eichsfeld bei Duderstadt hat Weiger das erste Mal seine Idee vom Grünen Band Europas ausgerufen. 24 Staaten sind inzwischen beteiligt, und 150 Naturschutzorganisationen in ganz Europa arbeiten an dieser unheimlich faszinierenden Aufgabe. Da geht es dann um 12.500 Kilometer - von den Urwäldern Kareliens über den Neusiedlersee bis weit runter in fantastische Nationalparks in Mazedonien zum Beispiel oder in Nordgriechenland.

Kranichfamilie im Grünen Band Deutschlands
Diese Kranichfamilie fühlt sich im Grünen Band pudelwohlBild: Bund/J. Starck

Haben Sie jetzt alles erreicht, was Sie vor hatten?

Nein, unsere Arbeit ist noch lange nicht zu Ende: Das Grüne Band ist eine Dauerbaustelle. Ein Teil des Grünen Bandes in Deutschlands - fast 400 Kilometer - hat bisher keinerlei Schutzstatus. Wir hoffen auf eine neue Schutzgebietkategorie - das nationale Monument. Die Kategorie wurde erst vor ein paar Jahren in Deutschland eingeführt und beinhaltet auch geschichtliche und kulturelle Aspekte.

Worauf sind Sie am meisten stolz?

Dass das Grüne Band nicht ein braunes Band geworden ist - umgeackert - oder ein schwarzes Band - zuasphaltiert. Dass es uns in einer schnelllebigen Zeit und einem Land, in dem jeder Quadratmeter genutzt wird, gelungen ist, dieses Grüne Band über mittlerweile 30 Jahre zu erhalten. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Kai Frobel ist Geoökologe und Artenschutzreferent beim Bund Naturschutz in Bayern (BUND). Er gilt als "Vater" des Grünen Bandes. Zusammen mit Hubert Weiger vom BUND und Inge Sielmann von der Heinz-Sielmann-Stiftung wird er mit dem Deutschen Umweltpreis 2017 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ausgezeichnet.

Das Interview führte Brigitte Osterath