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"Franziskus-Effekt" an der Basis

Christoph Strack, Regensburg31. Mai 2014

Der Wechsel im Papstamt bringt frischen Wind auch in die katholische Kirche in Deutschland. Beim 99. Katholikentag fiel die kirchenpolitische Kritik deshalb deutlicher aus als früher.

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Eine Kerze wird an einer anderen angezündet: Andacht beim Katholikentag in Regensburg (Foto: Armin Weigel/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Franziskus, immer wieder Franziskus. Beim 99. Katholikentag im bayerischen Regensburg wiederholte sich das in Vorträgen, Gebeten und vielen Gesprächen. Mancher spricht schon vom "Franziskus-Effekt'. "Aufbruch ist angesagt", appellierte auch der gastgebende Bischof Rudolf Voderholzer an die Teilnehmer: "Geht zu den Kranken, zu den Gemobbten, zu allen, die auf irgendeine Weise an den Rand gedrängt sind." Zuvor hatte der Papst in einem schriftlichen Gruß aus Rom die Katholikentagsgäste ermuntert, die Sorgen der Menschen an den Rändern der Gesellschaft, der Religion oder der menschlichen Beziehungen mehr wahrzunehmen.

Rund 33.000 Dauerteilnehmer und einige zehntausend Tagesgäste nahmen an dem alle zwei Jahre stattfindenden Katholikentag teil. Das diesjährige Motto: "Mit Christus Brücken bauen". Dass sich die Bedeutung des Treffens nicht in Zahlen ermessen lässt, machten die zahlreichen prominenten Besucher aus der Politik deutlich. Bundespräsident Joachim Gauck beklagte eine "grassierende Gleichgültigkeit" in Deutschland. Die Christen sollten deshalb die Gesellschaft aktiver mitgestalten.

Bundespräsident Joachim Gauck auf dem Katholikentag in Regensburg (Foto: epd)
Bundespräsident Gauck appellierte als Protestant auf dem Kirchentag an die christliche NächstenliebeBild: imago

Ermutigung zur Einmischung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte - für sie ungewöhnlich deutlich - vor einem Verlust der christlichen Prägung Deutschlands und Europas. Das Christentum zähle zu den Grundlagen unserer Gesellschaft. "Keine noch so tolle Politik wird das ersetzen können." Deshalb sollten sich Christen engagiert einmischen, ermutigte die Kanzlerin. Katholiken- und Kirchentage seien dafür ein gutes Forum.

Politische Schwerpunkte der vier Tage an der Donau bildeten vor allem Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und stärkeren Hilfen für ärmere Länder und Flüchtlinge sowie Kritik an der weltweiten Korruption. "Wir müssen über den Kapitalismus hinausdenken", forderte der Münchner Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und einer der Kardinäle, die mit Papst Franziskus den neuen Kurs der katholischen Kirche ausloten. "Kapitalismus ist nicht das Ziel, sondern wir müssen ihn überwinden." Es gehe um neue Formen des globalen Wirtschaftens.

Solche Worte, eher nachdenklich als kämpferisch gesprochen, trafen die Stimmung vieler Teilnehmer. Der Präsident des mitveranstaltenden Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, sagte in einer Bilanz, das Treffen sei "ein Impuls und Appell für gesellschaftliches und politisches Engagement - für die Würde des Menschen". Zahlreiche Stände in der Regensburger Innenstadt zeigten kirchliches Engagement: für Behinderte, Langzeitarbeitslose, Flüchtlinge.

Alois Glück (rechts) neben Bundeskanzlerin Merkel und dem Regensburger Bischof Voderholzer (Foto: Armin Weigel/dpa)
Traute Eintracht: Alois Glück (rechts) vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken mit Kanzlerin Merkel und dem Regensburger Bischof VoderholzerBild: picture-alliance/dpa

Teilnehmer aus aller Welt

Katholikentage bieten wie auch evangelische Kirchentage Chancen zur Vernetzung über die Landesgrenzen hinaus. Aus Prag reiste Adela Muchova an. "Es ist sehr wichtig für uns, Freundschaft mit Deutschen zu erleben", sagte die 36-Jährige. Wie sie waren eine ganze Reihe von Teilnehmern, auch Politiker und Kirchenleute aus Tschechien dabei. Einige Referenten kamen aus Lateinamerika und Asien.

In Deutschland leben heute etwa 24 Millionen Katholiken. Beim Fall der Mauer vor einem Vierteljahrhundert waren es noch vier Millionen mehr: Zeichen für den Um-, auch den Abbruch innerhalb der Kirche. Und für die Krisen. Der Limburger Finanzskandal, den der Papst im März mit der Absetzung von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst entschärfte, klang bei einigen nachdenklichen Debatten um das Thema Geld und Kirche noch an.

Gläubige sitzen bei einem Abendgebet mit brennenden Kerzen in der Donauarena in Regensburg (Foto: Armin Weigel/dpa)
Zeit für Andacht und Besinnung: Gebets-Stunde auf dem Katholischen KirchentagBild: picture-alliance/dpa

Debatte um Mißbrauchsfälle

Ein anderes Beispiel: die Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs und sexueller Gewalt in kirchlichem Kontext. Da saß bei einer Diskussion Matthias Katsch auf dem Podium, als Schüler der Berliner Jesuiten-Schule Canisiuskolleg selbst Opfer. Neben ihm verwies der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, auf Fortschritte in der kirchlichen Aufarbeitung: So gibt es inzwischen Beauftragte in den Diözesen und vielfältiges Bemühen um Prävention.

Aber auch die Basis hat das Thema Missbrauch etwas aus dem Blick verloren. Beim Christentreffen 2010 in München, Monate nach Bekanntwerden vieler Fälle, kochten in einer völlig überfüllten Messehalle die Emotionen hoch. 2012 in Mannheim und nun 2014 in Regensburg wurden die Säle weitaus kleiner - und längst nicht mehr voll. Die Organisation "Wir sind Kirche", noch 2010 Rufer nach Transparenz und Aufmerksamkeit für die Opfer, lud in Regensburg zu einer Pressekonferenz zu einem ganz anderen Thema - parallel zur Missbrauchsdebatte nebenan.

Christen mit einer Stimme

Deutschland als Land der Reformation und der kirchlichen Ökumene - auch das zeigte sich auf dem Katholikentag. Knapp neun Prozent der Teilnehmer sind protestantische Christen, auch Joachim Gauck und Angela Merkel. "Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen - sei es in unserem Land oder in der Einen Welt - sie sind so groß, dass wir es uns als Christinnen und Christen eigentlich nicht leisten können, darauf jeweils mit einer katholischen, einer evangelischen und einer orthodoxen Antwort zu reagieren", mahnte der Bundespräsident. Die Christen sollten möglichst mit einer Stimme sprechen.

Geistliche stehen auf der Katholikentagsmeile in Regensburg (Foto: Armin Weigel/dpa)
Großer Andrang: Mehr als 30.000 Menschen nahmen am Katholikentag teilBild: picture-alliance/dpa

Auch evangelische Bischöfinnen und Bischöfe beteiligten sich auf den Podien. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, derzeit Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, hofft auf gemeinsame Zeichen von Katholiken und Protestanten. Beide hätten eine lange gemeinsame Geschichte. Der Münchner katholische Theologe Peter Neuner nannte den Reformator Martin Luther (1483-1546) einen Lehrer im Glauben für alle Christen. Und bei einem ökumenischen Gottesdienst war der Regensburger Dom gar überfüllt. Hunderte harrten vor den Türen aus. An verschiedenen Orten in Regensburg beteten konfessionell getrennte Christen mehrmals am Tag gemeinsam: katholische Ordensfrauen neben evangelischen Pastoren, ältere und junge Christen.

Gemeinsam Brücken bauen

2016 wollen evangelische und katholische Spitzenvertreter ganz bewusst gemeinsam ins Heilige Land pilgern. Und im gleichen Jahr steht der 100. Katholikentag in Leipzig, im ostdeutschen Kernland der Reformation an. Aber ein gemeinsames Abendmahl wird es wohl auch rund um den 500. Jahrestag der Reformation im Oktober 2017 nicht geben.

Aber: In Regensburg fand erneut eine gemeinsame christlich-jüdische Feier statt. Seit Jahrzehnten gebe es das, betonte der Augsburger Theologe Hanspeter Heinz. Offiziell beten Rabbiner und Kardinal nebeneinander, aber alle singen gemeinsam. "Für mich ist es eine Stunde des gemeinsamen Gebets", sagte Rabbiner Henry Brandt.

Auch da schauen nun beide Seiten auf Franziskus, den Mann in Rom. Für Pfingstsonntag hat er Israels Präsident Shimon Peres und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, den Juden und den Muslim, zum Friedensgebet in den Vatikan eingeladen. Auf die konkrete Gestaltung der Feier kann man gespannt sein.