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Deutscher Föderalismus

20. Januar 2012

Wie kein anderes Land legt die Bundesrepublik Wert auf ihren föderalen Charakter. Das hat historische Wurzeln. Dabei hat der Föderalismus jedoch auch Nachteile, die der Bundesregierung oft große Probleme bereiten.

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Ministerpräsidenten am Tisch (Foto:AP)
Die Ministerpräsidenten der Bundesländer beraten Ende 2004 über die Föderalismus-ReformBild: AP

Im Gegensatz zu den französischen Nachbarn westlich des Rheins hat es auf dem Gebiet der Deutschen immer föderale Strukturen gegeben. Während die Franzosen schon früh Paris zu ihrer Hauptstadt und zum Sitz einer starken Zentralregierung machten, waren östlich des Rheins die Landesfürsten die eigentlichen Herrscher.

Die Teile dominieren das Ganze

Ritterrüstungen aus dem Mittelalter. (Foto:fotolia)
Zum Kampf für ihre Rechte bereit: mittelalterliche RitterBild: Fotolia/cybercrisi

Das Gebiet der Deutschen war immer durch eine Vielzahl von kleineren und kleinen sowie einigen großen Fürstentümern oder Königshäusern gekennzeichnet. Später kamen Städte und Stadtstaaten hinzu, die eigene Rechte, eigene Währungen und Zölle für sich beanspruchten. Nicht selten war auch die Rechtsprechung unterschiedlich. Über Jahrhunderte regierte nicht eine Zentralmacht das Land, sondern hatten zahlreiche Landesfürsten das Sagen. Sie trafen mit dem deutschen Kaiser Absprachen, ließen sich Gefolgschaften in Kriegen mit weiteren Rechten bezahlen und weiteten ihre Macht soweit aus, dass sie schließlich als eigenständige Subjekte des Völkerrechts außenpolitisch agieren konnten.

"Neuaufbau des Reiches"

Der Reichsminister vor Soldaten (Foto:dpa)
In Nazi-Deutschland lag alle Macht in den Händen der NS-RegierungBild: picture-alliance/dpa

Mit der föderalen Tradition der Deutschen wurde erstmals zur Zeit des Nationalsozialismus gebrochen. Die Nazi-Führung machte sich bald nach der sogenannten "Machtübernahme" vom 30. Januar 1933 an die Gleichschaltung der Länder. Genau ein Jahr später wurden mit dem "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom 30. Januar 1934 die bisherigen Rechte der Länder aufgehoben. Anstelle der föderalen Selbstverwaltungsorgane traten "Reichsstatthalter", die der nationalsozialistischen Reichsregierung in Berlin direkt unterstellt und an ihre Weisungen gebunden waren. Damit hatte die Nazi-Führung in Berlin die gesamte Macht an sich gerissen, um sich über die Belange der Länder je nach politischem Willen hinwegsetzen zu können.

Neuaufbau der Demokratie

Genau in einer derartigen Machtkonzentration sahen die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs eines der Hauptübel, die zur Etablierung eines diktatorischen "Führerstaates" geführt hatten. Auf den Kriegs- und Nachkriegskonferenzen beschlossen sie daher die Wiederherstellung der von den Nazis entmachteten Länder. Neben den wieder hergestellten alten Ländern gab es zahlreiche Neugründungen, die zum Teil den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges geschuldet waren.

Länder in der DDR

Auch in Ostdeutschland waren 1945 auf Anordnung der "Sowjetischen Militäradministration" Länder eingerichtet worden, die in der DDR aber am 23. Juli 1952 de facto wieder abgeschafft wurden. Auf dem Weg zur "Schaffung des sozialistischen Verwaltungsaufbaus" hatten die Länder ihre Kompetenzen an Bezirke und Kreisverwaltungen abgegeben. Der Föderalismus musste dem Zentralismus der SED weichen. Deshalb bestand eine der wichtigsten Aufgaben der ersten und einzigen frei gewählten DDR-Volkskammer darin, die alten Länder wieder herzustellen. Mit dem "Ländereinführungsgesetz" vom 22. Juli 1990 wurde dieser Schritt vollzogen und die DDR dem föderalen System Westdeutschlands angepasst.

Föderale Realität

Parlamentarischer Rat (Foto: dpa)
Der Parlamentarische Rat schrieb im Grundgesetz die starke Stellung der Länder festBild: picture-alliance / dpa

Nach dem Desaster des Zweiten Weltkriegs sollte eine Machtkonzentration in Händen der Zentralregierung für die Zukunft ausgeschlossen werden. Deshalb legte der Parlamentarische Rat bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes großen Wert darauf, dass die Rechte der Länder geschützt und garantiert werden. Zugleich sollte durch eine starke Gesetzgebungskompetenz der Länder eine Kontrolle der Zentralregierung etabliert werden. Durch unterschiedliche politische Machtverhältnisse in Bund und Ländern ist diese gegenseitige Kontrolle bis heute quasi garantiert.

Änderungsversuche

Aber es gab von Anfang an auch Bedenken und Strukturfehler, die den deutschen Föderalismus vor große Probleme gestellt haben. Größe und Wirtschaftskraft der Länder waren so unterschiedlich, dass es permanente Ausgleichsleistungen geben musste. Deshalb hatten schon die Alliierten in den 1950er Jahren Änderungsbedarf beim Zuschnitt der Länder erkannt und bei der Bundesregierung angemahnt. Aber diese und alle anderen diesbezüglichen Versuche sind gescheitert – zuletzt in Berlin und Brandenburg, die 1996 einen Fusionsversuch starteten, der in einer Volksbefragung scheiterte.

Seit den 1970er Jahren hat es mehrere Versuche gegeben, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern neu zu regeln. Aber weder eine Enquete-Kommission zur Verfassungsreform noch eine Verfassungskommission aus Bundestag und Bundesrat nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten konnten sich auf wirksame Änderungen einigen.

Föderalismus-Reform

Junge Leute ziehen an einem großen gordischen Knoten(Foto:dpa)
Der "gordische Knoten" in Berlin müsste für eine Föderalismus-Reform durchschlagen werdenBild: picture-alliance/dpa

Aber der Wunsch nach einer Reform des Föderalismus ist groß, denn bei bestimmten Konstellationen der Mehrheitsverhältnisse ist ein Regieren fast unmöglich geworden. Deshalb hat die große Koalition aus Union und SPD 2006 ein Reformpaket verabschiedet, das den Ländern einerseits Kompetenzen entzieht, ihnen aber andererseits auch weiterhin starke Mitsprache garantiert. Das gilt vor allem für die Bildungspolitik, die ausschließlich Ländersache ist. Auch beim Beamtenrecht, beim Strafvollzug und im Umweltrecht haben die Länder Kompetenzen bekommen bzw. für sich erhalten können. Insgesamt ist aber der Anteil von Gesetzen, denen die Länder zustimmen müssen, von über 50 auf 33 Prozent gesunken.

Bei aller Kritik ist der deutsche Föderalismus zwar einerseits ein Spektakel, bei dem sich die Ministerpräsidenten mitunter wie mittelalterliche Landesfürsten bei der Verteidigung ihrer Unabhängigkeit aufführen. Andererseits aber hat der Föderalismus integrative Wirkkräfte entwickelt, ohne die weder die Integration von mehr als 10 Millionen Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg noch die Bewältigung der Folgen der deutschen Einheit nach 1990 gelungen wären.

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Hartmut Lüning/Pia Gram