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15. Dezember 2010

Deutsche Waffen sind in aller Welt gefragt. Doch die Regierung will das nicht an die große Glocke hängen und liefert Informationen im Schneckentempo. Die Kirche findet das skandalös, die Opposition befürchtet Schlimmes.

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Angela Merkel verläßt nach der Besichtigung ein U-Boot der Bundesmarine AP Photo/Heribert Proepper
U-Boote sind ein deutscher ExportschlagerBild: AP

Kurz vor Jahresende 2010 entledigte sich das Bundeskabinett einer jährlichen Pflicht: Es genehmigte am Mittwoch (15. 12. 2010) den vom Wirtschaftsministerium erstellten Rüstungsexportbericht 2009. Die Behörden erteilten demzufolge im vorigen Jahr Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter in Höhe von rund sieben Milliarden Euro. Worum es sich im Einzelnen handelt, wird auf mehr als 40 Seiten fein säuberlich abgehandelt - von Drohnen und Jagdmunition für die USA über Patrouillenboote für Brunei bis zu Kampfpanzern für Brasilien.

Entwicklungsexperten der katholischen und der evangelischen Kirche Deutschlands beschwerten sich über die besonders späte Datenlieferung in diesem Jahr: "Wir finden das unannehmbar, ja man kann auch sagen, skandalös", befand Karl Jüsten. Der katholische Prälat steht mit seinem evangelischen Amtskollegen Bernhard Felmberg der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) vor, die seit 14 Jahren die deutschen Rüstungsexporte kritisch unter die Lupe nimmt. Zwei Tage vor dem amtlichen Bericht stellte die GKKE ihren eigenen "Rüstungsexportbericht" in Berlin vor. Weil die regierungsamtlichen Zahlen fehlten, mussten sich die kirchlichen Experten ausschließlich auf Angaben internationaler Institute stützen und auf Auskünfte, die Oppositionsabgeordnete der Regierung durch parlamentarische Anfragen regelrecht aus der Nase gezogen hatten.

Deutschland fest etabliert auf Waffenmarkt

Deutsche und chilenische Generäle posieren vor einem Panzer vom Typ Leopard 2 AP Photo/Christof Stache
Auch Chile ist ein fester Abnehmer deutscher PanzerBild: AP

Die verdruckste Berliner Informationspolitik hat eindeutige Gründe: Waffenexporte gelten als anrüchig und haben viele Gegner. In ihrem Rüstungsexportbericht für 2009 hebt die Regierung deshalb hervor, dass sich das Volumen der Ausfuhrgenehmigungen um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr verringert habe und auch der Wert des tatsächlich ausgeführten Kriegsgeräts gesunken sei.

Doch die absoluten Zahlen sind nicht mehr als eine Momentaufnahme. Rüstungsgeschäfte sind von Jahr zu Jahr starken Schwankungen unterworfen. Der Verkauf einiger Kriegsschiffe treibt die Statistik in die Höhe, die Lieferung von einigen Tausend Kleinfeuerwaffen macht sich wertmäßig dagegen kaum bemerkbar, kann jedoch tödlichere Auswirkungen haben, vor allem in Bürgerkriegsregionen.

Dagegen ist der Trend eindeutig: Deutschland hat sich als einer der Großen auf dem Waffenmarkt etabliert. Weil es keine weltweit gültigen Standards zur Erfassung und Veröffentlichung von Rüstungsexporten gibt, platzieren einzelne Institute Deutschland in der Rangliste der Waffenexporteure unterschiedlich: Das Stockholmer Internationale Friedensinstitut (SIPRI) sieht die hiesige Industrie als Lieferant Nummer 3 hinter den USA und Russland. Die Regierung zitiert dagegen lieber den US-amerikanischen Congressional Research Service (CRS), bei dem Frankreich noch vor dem viertplatzierten Deutschland rangiert.

"Was schwimmt, das geht"

Seinen Platz in der Spitzengruppe verdankt Deutschland vor allem seinen Panzern und Kriegsschiffen, deren Ausfuhr in viele Länder als unbedenklich gilt. In der Branche heißt das Motto: "Was schwimmt, das geht". Soll heißen: Schiffsexport ist immer möglich, schließlich könnten U-Boote kaum zur inneren Repression eingesetzt werden.

Porträt von Prälat Karl Jüsten, katholischer Vorsitzender der Konferenz Kirche und Entwicklung Foto: Archiv
Prälat Karl Jüsten: Skandalöse Informationspolitik

Die besonders umstrittenen Waffenexporte in Entwicklungsländer machten im Jahr 2009 rund acht Prozent der gesamten Rüstungsausfuhren aus, die größten Posten gingen nach Ägypten, Kolumbien und Pakistan. Bei letzterem Land klingeln beim katholischen Entwicklungsexperten Karl Jüsten die Alarmglocken: "Spannungsgebiet ohne Ende".

Die meisten Genehmigungen entfielen auf Rüstungsgeschäfte mit den NATO-Partnern, allen voran die Türkei und Griechenland. Doch auch das ruft Kritiker auf den Plan. Denn aus der Türkei, die 2009 immerhin 28 Kampfpanzer Leopard 2 erhielt, gibt es regelmäßig Augenzeugenberichte über deren Einsatz in kurdischen Gebieten. Und die griechische Staatsverschuldung zeige, dass zu teure Aufrüstung nicht nur ein Problem von Entwicklungsländern sei.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Rüstungsexporte und Bundeswehr-Reform zusammenhängen

Sturmgewehre für Saudi-Arabien

Scharf kritisiert wird, dass rund 12.500 kleine und leichte Waffen an "Drittstaaten" geliefert wurden, die nicht der NATO oder der EU angehören. Denn Kleinwaffen verursachen in den Kriegen und Konflikten dieser Tage mit Abstand die meisten Toten. Die Linkspartei merkt an, dass in Ägypten, wohin 900 Sturmgewehre geliefert wurden, laut Amnesty International regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden.

3500 Sturmgewehre wurden nach Saudi-Arabien verkauft, was sich nach Ansicht von Bernhard Moltmann, Leiter der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, als nicht sehr klug erweisen könnte: "Waffen sind schließlich langlebige Güter, und wer weiß, wer in 30 Jahren die G36-Gewehre, die nach Saudi-Arabien geliefert werden, dort in der Hand haben wird."

Fest steht: Deutschland ist in den letzten Jahren zu einem der größten Waffenexporteure der Welt geworden, und die Zeichen stehen nach Ansicht von Kritikern eher auf Wachstum denn auf Rückgang. Zum einen wird Union und FDP ohnehin eine größere Nähe zur Rüstungslobby unterstellt als Sozialdemokraten und Grünen, die während ihrer Amtszeit von 1999 bis 2005 auch nicht zimperlich waren bei der Förderung von Rüstungsexporten.

"Vorsicht und Wachsamkeit" statt Verbot

Zum anderen wird im Koalitionsvertrag von Union und FDP tatsächlich eine Angleichung der deutschen Genehmigungspolitik an das EU-Niveau angekündigt, um "faire Wettbewerbsbedingungen" für die deutsche Industrie herzustellen. Vergleicht man deutsche und europäische Richtlinien, findet man beispielsweise, dass in Deutschland Ausfuhren in Länder, die Menschenrechte systematisch verletzen, generell verboten sind. Die EU dagegen fordert nur besondere "Vorsicht und Wachsamkeit" bei der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen an Länder walten zu lassen, "in denen von den zuständigen Gremien der Vereinten Nationen, des Europarats oder der Europäischen Union schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen festgestellt wurden".

Oppositionspolitiker von SPD, Grünen und Linken warnen vor einer Absenkung der Standards und fordern eine stärkere Beteiligung des Parlaments. Nach dem Vorbild von Großbritannien und Schweden sollten die Abgeordneten vor der Genehmigung von Rüstungsexporten in die Entscheidung einbezogen werden und diese nicht erst im Nachhinein zur Kenntnis nehmen müssen. Die SPD schlägt dafür vertrauliche Beratungen im Bundestags-Unterausschuss für "Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung" vor. Die Kirchen haben eine noch konkretere Idee: Der Bundestag sollte künftig wenigstens über die Ausfuhr gebrauchter Bundeswehr-Waffen abstimmen dürfen. Schließlich seien diese mit Steuergeldern bezahlt.

Künftig ist viel Kriegsgerät überflüssig

Getarnter Bundeswehrsoldat mit Sturmgewehr G36 Foto: Frank May dpa/lni
Das Sturmgewehr G36 ist nicht nur in der Bundeswehr gefragtBild: picture-alliance/dpa

Besonders der Umbau der Bundeswehr könnte in den kommenden Jahren die Waffenexporte ankurbeln. Der inländische Bedarf an Waffen wird sinken, die Rüstungsindustrie wird mit ihren Produkten umso mehr ins Ausland drängen. Die Expertenkommission zur Reform der Bundeswehr stellte jüngst fest, dass die Bundeswehr künftig nicht mehr Hauptkunde der Rüstungsindustrie sein werde. Letztere hänge darum umso mehr vom Export ab. Auch für große Mengen von gebrauchtem oder bereits bestelltem Kriegsmaterial wird die Bundeswehr keine Verwendung mehr haben. "Wir möchten nicht, wie bei der Abwicklung der NVA der DDR, dass die überflüssigen Waffen in Kurdistan oder anderswo auftauchen", sagt der katholische Entwicklungsexperte Karl Jüsten. Die Kirchen fürchten, dass aufgrund des Drucks der Rüstungslobby die "immer noch restriktive Genehmigungspraxis" der Bundesregierung künftig "noch löchriger" wird.

Ob Union und Liberale, wie befürchtet, die Rüstungsexporte zu neuen Höhen führen werden, wird sich allerdings erst bei der Vorlage der Rüstungsexportbericht 2010 zeigen. Und das kann dauern.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz