1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die Rezessionsgefahr ist da"

Nicolas Martin
4. Juni 2019

Wer dem deutschen Staat Geld leiht, muss sogar noch draufzahlen. Staatsanleihen sind derzeit gefragt wie nie. Doch der Run auf die Papiere hat Schattenseiten, erklärt Finanzanalyst Thomas Mayer im DW-Interview.

https://p.dw.com/p/3JnbR
Jogger vor Skyline von Frankfurt am Main
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Deutsche Welle: Das Angebot klingt ja momentan nicht gerade verlockend: Wer dem deutschen Staat 100 Euro leiht, der zahlt sogar noch einige Cent drauf. Dennoch sind deutsche Staatsanleihen nachgefragt wie noch nie. Warum machen Investoren so etwas?

Thomas Mayer: Ja, das ist verrückt. Aber diese Staatsanleihen werden nachgefragt als Mittel zur sicheren Aufbewahrung von Geld. Es ist also so, wie wenn sie Geld in einem Banksafe wahren wollen, für den sie dann auch Miete bezahlen müssen.

Die Miete ist momentan auf einem Rekordhoch - Deutschland gilt also als 'sicherer Hafen', obwohl dem Land immer wieder mangelnde Wettbewerbsfähigkeit vorgeworfen wird. Wie passt das zusammen?

Der Vorwurf mangelnder Wettbewerbsfähigkeit drückt sich bisher noch nicht in harten Zahlen aus. Wenn Sie sich die deutschen Exportüberschüsse anschauen, sind die gewaltig. Außerdem ist Deutschland das Ankerland im Euroraum. Man kann sich nicht vorstellen, dass der Euroraum ohne Deutschland weiter bestehen würde. Insofern ist für den Euro die deutsche Bundesanleihe die sichere Anleihe überhaupt. Sie spielt damit für den Euroraum die Rolle, die die amerikanische Staatsanleihe für das globale Finanzsystem spielt.

Thomas Mayer Volkswirt Ex Deutsche Bank
Thomas Mayer leitet die Denkfabrik Flossbach von Storch Research InstituteBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Was sind denn die kurzfristigen Ursachen für die Nachfrage nach Staatsanleihen?

Die Nachfrage nach Anleihen hängt davon ab, wie wohl sich die Leute in der Welt fühlen. Wir haben aber in den letzten Wochen und Monaten eine Zunahme der globalen Risiken gesehen. Nehmen Sie den sich verschärfenden Streit zwischen den USA und China. Das ist schon lange nicht mehr ein reiner Handelskonflikt - manche sprechen schon vom neuen Kalten Krieg.

In Italien fordert der neue starke Politiker, Innenminister Salvini, die Europäische Kommission heraus. In Frankreich wurde Staatspräsident Emmanuel Macron mit seiner Bewegung nur Zweiter bei den Europawahlen. In Deutschland wackelt die Große Koalition. Überall, wo sie hinschauen, steigen die politischen Risiken. In solchen Zeiten wird versucht, in sichere Häfen einzulaufen, um sich vor kommenden Stürmen zu schützen. Und diese sicheren Häfen sind global amerikanische Staatsanleihen - deren Zinsen sind auch deutlich gefallen. Bei uns im Euroraum ist es die Bundesanleihe.

Der deutsche Staat bekommt für seine Anleihen Geld zuhauf und oben sogar noch etwas drauf - gibt es auch negative Seiten dieser Entwicklung?

Für den Finanzminister und für den Bund ist das natürlich eine tolle Sache. Man kann sich verschulden und wird dafür bezahlt. Für den Anleger, der nach verzinslichen Anlagen für sein Spargeld sucht, ist das aber fatal. Die Negativzinsen der Bundesanleihen drücken nämlich auch den Zins auf Spareinlagen. Insofern bleibt dem kleinen Anleger im festverzinslichen Bereich nichts mehr, wo er sein Geld anlegen könnte.

Die deutschen Staatsanleihen sind auf einem historischen Tief. Wie lange, glauben Sie, geht das so weiter? 

Das lässt sich nicht absehen. Es gab letztes Jahr die Hoffnung, dass wir vielleicht in diesem Jahr den Ausstieg aus der Niedrigzinsphase sehen könnten. Die US-Notenbank Federal Reserve hatte bereits schon begonnen, die Zinsen anzuheben. Aber nachdem sich die Konjunktur am Ende des Jahres wieder eingetrübt hatte, sind Zinserhöhungen nicht mehr auf der Agenda, bei keiner großen Zentralbank. Deshalb muss man wohl auf unabsehbare Zeit mit niedrigen Zinsen rechnen.

In den USA ist es sogar so, dass die dreimonatigen Staatsanleihen besser verzinst werden als zehnjährige. Ökonomen sprechen bei diesem Phänomen von einer Rezessionsgefahr. Sehen Sie die auch?

In der Vergangenheit war noch vor jeder Rezession die Zinskurve negativ - also der Abstand zwischen den zehnjährigen Zinsen und den kurzfristigen Zinsen. Man spricht dann von einer inversen Zinskurve. Insofern könnte man sagen, dass eine notwendige Bedingung für eine Rezession erfüllt ist. Aber nicht jede inverse Zinskurve hat auch wirklich eine Rezession zur Folge gehabt. Die Rezessionsgefahr ist also da - man muss damit rechnen, aber es ist nicht sicher, dass die Rezession auch kommt.

Und das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Deutschland?

Deutschland und der Euro-Raum hängen von der globalen Wirtschaftsentwicklung ab. Früher hieß es, wenn die USA einen Schnupfen haben, hat Europa eine Lungenentzündung. Heute kann man das ein bisschen anders formulieren: Wenn China einen Schnupfen hat und die USA niesen, hat Deutschland eine schwere Lungenentzündung. Momentan niest China relativ heftig und die USA schniefen. Die deutschen Unternehmen spüren das in ihren Auftragsbüchern. Insofern werden wir uns von einer Rezession, die womöglich aus China und den USA herauskommt, nicht abkoppeln können.

Das Interview führte Nicolas Martin

Thomas Mayer war Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Zuvor war er bei tätig bei Goldman Sachs, dem Internationaler Währungsfonds und dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel. 2014 gründete er die Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute, die er bis heute leitet.