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Industrie mit weniger Aufträgen

6. Oktober 2022

Die Aufträge für die deutsche Industrie sind im August so stark gesunken wie seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine nicht mehr. Doch die neuen Zahlen sind nicht durchweg schwach.

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Stahlarbeiter beim Schleifen eines Stahlbehaelters
Bild: Imago/blickwinkel

Die deutsche Industrie hat im August weniger Aufträge erhalten als im Vormonat, allerdings nach einem deutlich besseren Ergebnis im Juli. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom Donnerstag lag der Auftragseingang im August 2,4 Prozent niedriger als im Juli. Analysten hatten mit einem moderateren Rückgang um 0,7 Prozent gerechnet.

Auf den zweiten Blick fällt das Ergebnis nicht ganz so schlecht aus: Im Juli waren die Bestellungen mit 1,9 Prozent so kräftig gewachsen wie seit einem halben Jahr nicht mehr, womit der zuvor ermittelte Rückgang von 1,1 Prozent kräftig korrigiert wurde. Das Statistikamt begründete diese ungewöhnliche starke Revision mit "Nachmeldungen von Großaufträgen aus dem Ausland im Bereich der Luft- und Raumfahrt". Regierung, Wirtschaft und Ökonomen sehen die exportabhängige Industrie wegen der sich weltweiten Konjunkturschwäche, Energiekrise und Materialmangel vor schwierigen Monaten.

Juli-Auftragseingänge nach oben revidiert

Angesichts der Entwicklung im Juli verliere der jüngste Auftragsrückgang an Brisanz, kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Lichtensteiner VP Bank. "Und mehr noch, ohne die Berücksichtigung der volatilen Großaufträge ist sogar ein Auftragsplus im August von 0,8 Prozent zu vermelden."

Im Detail gingen die Bestellungen von Vorleistungs- und Investitionsgütern zurück, während mehr Konsumgüter geordert wurden. Mit Blick auf die Herkunft der Aufträge fielen die August-Zahlen durchweg schwach aus. Sowohl im Inland als im Ausland ging die Nachfrage nach deutschen Waren zurück.

Deutschland Symbolbild Auto-Export
Produziert für das Ausland: Mercedes-Autos für den Export in Bremerhaven Bild: Getty Images/D. Hecker

Weniger Neugeschäft, Angst vor Stornierungen

Das Neugeschäft fiel wegen ausbleibender Großaufträge um 2,4 Prozent schwächer aus als im Juli, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das ist der kräftigste Rückgang seit März, dem ersten vollen Monat seit Kriegsausbruch.

"Die Industriekonjunktur zeigt vor dem Hintergrund des Kriegs und der hohen Gaspreise deutliche Bremsspuren", kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium die Entwicklung. "Der gedämpfte Ausblick für den restlichen Jahresverlauf spiegelt sich auch in einem abgekühlten Geschäftsklima und zurückhaltenden Exporterwartungen wider."

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht das ähnlich. "Die große Unsicherheit bei der Energieversorgung belastet die Betriebe, das Investitionsklima und die Nachfrage nach Industriegütern", sagte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen. Das schlage sich insbesondere in sinkenden Bestellungen aus dem Inland nieder. "Aber auch aus dem Ausland sind vorerst kaum Impulse zu erwarten, denn auch die Weltkonjunktur kühlt sich ab", sagte Zenzen.

Hamburg | Airbus Produktion A320 Familie
Airbus-Produktion in Hamburg-Finkenwerder Bild: Airbus/Stefan Kruijer

Rezession erwartet

Die Bestellungen aus dem Inland nahmen im August um 3,4 Prozent ab, die aus dem Ausland um 1,7 Prozent. Während die Nachfrage aus der Euro-Zone um 3,8 Prozent nachgab, schrumpfte das Neugeschäft mit dem restlichen Ausland nur leicht um 0,4 Prozent. Die Aufträge für Investitionsgüter wie Maschinen, Fahrzeuge und Anlagen nahmen diesmal um 2,4 Prozent ab. Bei den Herstellern von Vorleistungsgütern gab es einen Rückgang von 4,2 Prozent. Die Bestellungen für Konsumgüter wuchsen hingegen um 5,2 Prozent.

Die Auftragsbücher der Industriebetriebe sind trotz der Flaute im Neugeschäft so prall gefüllt wie noch nie. Der Grund: Neben hohen Energiekosten führt die anhaltende Knappheit an Vorprodukten zu Problemen beim Abarbeiten. "Die noch hohen Bestände an nicht abgearbeiteten Aufträgen sind von Stornierungen bedroht und vermitteln nur eine Scheinsicherheit", warnte jedoch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Die deutsche Wirtschaft steht vor einem schwierigen Winterhalbjahr: Ich erwarte mehr denn je eine Rezession, selbst wenn eine Rationierung von Gas vermieden würde."

Deutschland Rewe-Logistikzentrum
Bild: dpa/picture-alliance

Unternehmen erhöhen Lagerbestände

Die meisten Unternehmen in Deutschland haben wegen der seit Ende der Pandemie bestehenden Lieferkettenproblemen ihre Einkaufsstrategie geändert. Bei einer Umfrage des Ifo-Instituts unter 4000 Unternehmen gaben 68 Prozent der Industriebetriebe an, sie hätten ihre Lagerbestände erhöht. 65 Prozent verbreiterten ihre Zulieferbasis mit neuen Lieferanten und Bezugsquellen. 13 Prozent holten ausgelagerte Produktionsprozesse zurück ins Unternehmen, teilten die Münchner Wirtschaftsforscher am Donnerstag mit.

"Großunternehmen haben mehr Maßnahmen infolge von Lieferkettenstörungen ergriffen als kleine und mittlere Unternehmen", sagte Ifo-Forscher Andreas Baur. "Zudem haben Großunternehmen vor allem Zuliefererstrukturen diversifiziert und überwachen ihre Lieferketten stärker. Kleine und mittlere Unternehmen setzten dagegen eher auf eine verstärkte Lagerhaltung."

Im Mai 2021 hatte nicht einmal die Hälfte der Unternehmen eine Anpassung ihrer Beschaffungsstrategie geplant, wie die Erhebung ergab. Bei der jüngsten Umfrage vor drei Monaten sagten 87 Prozent der Industrieunternehmen, 76 Prozent der Großhändler und 63 Prozent der Einzelhändler, sie hätten ihre Strategie verändert. "Dies deutet darauf hin, dass viele Unternehmen Risiken in Lieferketten inzwischen neu bewerten", sagte Baur.

tko/hb (rtr, dpa)