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Politik

Deutsche in London: Zermürbende Unsicherheit

Jennifer Wagner | Cathrin Hennicke
17. November 2018

Der Entwurf ist da, aber eine Einigung noch weit entfernt. Was macht die Lage zum Brexit mit denen, die direkt davon betroffen sind? Deutsche, die in Großbritannien leben, berichten von ihrem Gefühlschaos.

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EU Brexitabkommen vorgestellt
EU Unterhändler Barnier überreicht Brexit-Vertrag an Ratspräsident TuskBild: Reuters/F. Lenoir

Peter Becker, Schauspieler am National Theatre London:

Die Nachrichten laufen im Minutentakt ein, und alle diskutieren darüber. Es ist so verwirrend und ständig gibt es etwas Neues, dass ich gar keine klare Meinung über die Ereignisse fassen kann. Meine Schauspiel-Kollegen, die fast alle durchgehend für den Verbleib in der EU gestimmt haben, haben sich erst gefreut und dann kamen die ersten Meldungen über Ministerrücktritte: Man kann keine Haltung gewinnen, weil ständig neue Informationen dazukommen.

Peter Becker (Foto: Elena Zaucke)
Schauspieler und Deutsch-Brite: Peter BeckerBild: Elena Zaucke

Ich glaube, ich bin entspannter als andere, weil ich die deutsche und die britische Staatsbürgerschaft habe. Aber ich denke trotzdem alle Möglichkeiten mit: Meine größte Befürchtung ist tatsächlich, dass ich mich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müsste. 

In der Familie habe ich auch Brexit-Befürworter, vermute ich. Aber da gibt es auch keine offene Diskussion. Manchmal habe ich Angst, die Büchse der Pandora zu öffnen und über Migration diskutieren zu müssen. Ich weiß nicht, ob ich das möchte.

Dazu muss man sehen: Das Leben in London ist so anstrengend, die Arbeitswege sind lang, das Arbeitspensum ist hoch. Wir Schauspieler hatten zum Beispiel gar keine Möglichkeit an einer Brexit-Demo teilzunehmen, weil wir keine Zeit dafür hatten. Letztendlich lebe ich im Moment ein Leben, in dem ich beide Länder genießen darf - ich bin der personifizierte Rosinenpicker. Mir würde es ungemein schwer fallen, eine Entscheidung zu treffen.

Matthias Krauss, Kaufmännischer Leiter der Deutschen Schule London:

Der Brexit ist täglich Thema seit dem Referendum. Es betrifft mich, aber auch unsere Schule. 80 Prozent unserer Schüler haben keinen britischen Pass und auch mehr als 80 Prozent unserer Lehrer. Damit ist das für uns ein riesiges Thema. Was passiert, wenn wir einen Exodus haben und Schüler abwandern? Das hat Auswirkungen auf unsere Auslastung. Umgekehrt ist aber auch ein Problem: Wenn wir keine deutschen Lehrkräfte rekrutieren können, wird es schwierig zu unterrichten.

Matthias Krauss, Deutsche Schule London zum Thema Brexit
Matthias Krauss arbeitet an der deutschen Schule in LondonBild: Privat

Die Schülerzahlen sind aber bisher stabil, sie sind sogar leicht gestiegen in den letzten zwei Jahren. Die Lage bietet eine Chance: Wir sehen zwar weniger klassische Expats - also jene Mitarbeiter, die von ausländischen Firmen nach Großbritannien entsandt werden - aber einen größeren Anteil lokaler Kinder, deren Eltern ausgewandert sind und hier "hängen" geblieben sind oder auch einen "gemischten" Hintergrund haben. Die deutsche Schule, aber auch z.B. die französische, ist eine Chance für all die, die europäisch denken. Die Schulen sind so etwas wie eine Brücke nach Europa.

Bislang kamen die Leute gerne nach London - auch als Alternative zu den USA, weil es dort sehr kompliziert war, für eine Zeit lang zu arbeiten. Wenn es keine allgemeinen Regelungen geben wird, die uns helfen qualifizierte Lehrkräfte zu rekrutieren, müssen wir uns für Sondervereinbarungen einsetzen, wie andere Firmen dies auch tun.

Es gibt im Moment natürlich sehr viel Verunsicherung. Das wird sich langfristig legen und natürlich wird es eine deutsche Schule in London auch noch in zehn oder fünfzehn Jahren geben. Dafür ist Großbritannien doch ein zu integraler Bestandteil von Europa und London eine zu wichtige Metropole in der Welt.

Bernd Rapp, Evangelischer Pfarrer der deutschen Gemeinden in London-Ost:

Ich bin froh, dass jetzt zumindest irgendetwas auf dem Tisch liegt. Die Nachrichten zeigen ganz deutlich, dass das noch kein Deal ist. Die Auseinandersetzung wird noch deutlich schärfer werden. Aber wir können jetzt handfest über etwas diskutieren.

Es geistern ja immer noch verschiedene Szenarien herum. Ich bin jetzt seit zwei Jahren im Land und mir war bisher immer unklar, was Großbritannien eigentlich will - und das ist auch das Problem in den Verhandlungen. Die Briten sind sich uneins. Aber es gibt so viel Unversöhnlichkeit im Land, dass es schwierig ist, einen Weg zu finden.

Pastor Bernd Rapp (Foto: privat)
Pfarrer der Gemeinden London-Ost: Bernd RappBild: privat

Für uns EU-Bürger in Großbritannien ist es ganz schwierig - die Rechte, die man hat, sind nicht klar. Das hat große Auswirkungen auf meine Arbeit: Viele Deutsche sagen, dass sie zurückgehen, weil es ihnen zu unsicher ist. Es haben zwar immer alle gesagt, dass unsere Rechte bleiben. Aber die andere Botschaft ist, dass es nicht geregelt ist, solange nicht alles geregelt ist. Es steht immer noch ein No-Deal-Szenario im Raum und dann sind die schönen Vereinbarungen nichts mehr wert.

Für mich ist es relativ unproblematisch, weil ich einen zeitlich begrenzten Vertrag über sechs Jahre habe. Ich bin entsandter Pfarrer der EKD. Das Thema ist trotzdem ständig präsent im Alltag. Keiner weiß, was am 1. April passiert. Das Leben wird weitergehen, und man wird auch am ersten Tag nicht so viel merken, aber es ist so viel Unsicherheit da - das strengt an. Angst davor habe ich keine, aber es ist eine sorgenvolle Hoffnung. Ich habe große Hoffnung, dass ein Deal erreicht wird. Sie sollen einfach sagen, wie es laufen soll. Die ständige Unsicherheit ist zermürbend.

Dr. Georg Krawietz, Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) London:

So wie ich das bisher überblicke, spielen "unsere" Themen Wissenschaft, Forschung und der akademische Dienst keine große Rolle im Brexit-Entwurf. Ich habe die Hoffnung, dass unsere Arbeit weiter gehen kann und dass wir keine Einschränkungen erleben. Und wenn doch, halten sie sich hoffentlich möglichst gering. Ich hoffe, dass die Hochschulen in Großbritannien - die nicht umsonst zu den besten der Welt gehören - weiter an den EU-Programmen teilnehmen können. ERASMUS ist zum Beispiel sehr wichtig, das wäre ein großer Verlust, sollte das verschwinden.

Dr. Georg Krawietz
Arbeitet beim DAAD in London: Dr. Georg KrawietzBild: DAAD

Das Austrittsdatum 29. März spielt eine große Rolle in Großbritannien. Was kommt dann? Werden wir aus den EU-Programmen ausgeschlossen? Was passiert mit dem Auslandsbafög und ERASMUS? Ich hoffe, dass die Studierenden, die mit einem Aufenthalt in Großbritannien planen, einen Vertrauensschutz bekommen und dass solche Aufenthalte auch weiterhin möglich sein werden. Es gibt noch viele Fragezeichen.