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Deutsch-israelisches Theaterprojekt

31. März 2011

Theater als Imagekampagne zugunsten Israels, kritisiert eine Nahostinitiative. Dieses Stück ist wichtig, meint ein begeistertes Publikum. Was Sie hier sehen ist wahr, sagen die Schauspieler. Ortstermin in Heidelberg.

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Szenenausschnitt aus dem Stück "They call me jeckisch", eine gemeinsame Produktion des Theaters Heidelberg und des Beit Lessin Theaters Tel Aviv. Auf dem Bild: Die Schauspieler Ute Baggeröhr, Michael Hanegbi, Hadas Kalderon, Frank Wiegard beim Publikumsgespräch.
Bild: Markus Kaesler/Theater Heidelberg

"Deutsche Produkte haben wir nie gekauft. Und ich war die erste aus meiner Familie, die nach Deutschland fuhr", sagt Hadas Kalderon, Schauspielerin in Tel Aviv. Die 36-Jährige stammt aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden. Ihr Großvater war der legendäre Abraham Sutzkever, Poet und Partisan, der aus dem Ghetto Wilna floh und auf abenteuerlichen Wegen nach Israel gelangte. Bis in die Gegenwart war er ein herausragender Vertreter der jiddischen Literatur. Er hat zugestimmt, als seine Enkelin an dem deutsch-israelischen Theaterprojekt teilnehmen sollte. Einen Tag vor der Premiere ist Sutzkever im Alter von 96 Jahren gestorben. Jetzt erzählt Hadas im Theater auch seine Geschichte – eine Art Vermächtnis: "Er hat sie mir sozusagen überlassen. Ich bin nun für ihn ein Licht der Erinnerung."

Offene Fragen

Szenenausschnitt aus dem Stück "They call me jeckisch", eine gemeinsame Produktion des Theaters Heidelberg und des Beit Lessin Theaters Tel Aviv. Auf dem Bild: die Schauspieler Hadas Kalderon und Michael Hanegbi Fotos: Markus Kaesler/Theater Heidelberg
Szenenausschnitt mit Hadas Kalderon und Michael HanegbiBild: Markus Kaesler/Theater Heidelberg

"Ich bin naiv nach Israel gekommen. Fremde, sehr alte Menschen haben mir dort ihre Lebensgeschichten anvertraut. Es waren 'Jeckes', deutschstämmige Israelis. Als ich bei ihnen in der Wohnung saß, hatte ich das kuriose Gefühl, ich sitze bei meiner Oma," sagt Ute Baggeröhr, deren Familie in Deutschland lebt, dem Land der Täter. Ute weiß nicht genau, was ihre Angehörigen in der Nazizeit getan haben. Sie hat viel mit ihren Eltern telefoniert, während in Heidelberg und Tel Aviv geprobt wurde: "Wir haben unsere Großeltern auch geliebt – aber sie sind nicht gekommen und haben gesagt, was sie getan haben. Man kann sich also nicht sicher sein. Man fragte nicht. Warum habt Ihr nicht mehr gebohrt, hab ich meinen Eltern gesagt!"

Zwei Geschichten, zwei Perspektiven

Hadas und Ute sind fast gleichaltrig. Sie gehören der dritten, der Enkelgeneration an. Sie stellen lange unterdrückte Fragen, lüften Tabus, schauen hinter die Mauer des Schweigens. Und sie haben sich gut kennen gelernt, als sie gemeinsam mit ihren Schauspielkollegen Michael Hanegbi und Frank Wiegard für das Theaterstück in Israel recherchiert, Interviews mit deutschen Einwanderern und deren Familien geführt haben. Kein einfaches Gastspiel war das, kein kurzes Hereinschnuppern – sondern Leben und Arbeiten in der jeweils anderen Geschichte. Wochenlang wurde geredet und gestritten, Nerven zerfetzend manchmal, anstrengend, zermürbend. Und immer stand dabei auch diese Frage im Hintergrund: Was siehst du in mir?

Fremde Heimat

Szenenbild mit Ute Baggeröhr und Frank Wiegard aus dem Stück "They call me jeckisch"eine gemeinsame Produktion des Theaters Heidelberg und des Beit Lessin Theaters Tel Aviv. Auf dem Bild: die Schauspieler Hadas Kalderon und Michael Hanegbi Fotos: Markus Kaesler/Theater Heidelberg
Ute Baggeröhr und Frank WiegardBild: Markus Kaesler/Theater Heidelberg

"Wir tragen sehr schweres Gepäck. Wir werden immer die Vergangenheit zwischen uns haben", sagt Hadas. "Warum muss ausgerechnet ich diesen ganzen Mist mit mir herumschleppen", fragt sich Ute. Doch beide empfinden es so: Die Geschichte lebt, weil die Menschen, die sie erlitten, verantwortet oder geerbt haben noch leben. Das Theaterstück "They call me jeckisch" handelt von Flucht und Einwanderung, von Heimweh und Verlorenheit, Schuld und Trauma, Stereotypen, vom Konflikt der Generationen, den Absurditäten des israelischen Alltags, den Problemen, sich in einer fremden Welt zurecht zu finden und von den grotesken Verkrampfungen im deutsch-israelischen Verhältnis. Eine bitterböse, urkomische und todtraurige Mischung ist daraus geworden, die das Publikum zu schallendem Gelächter hinreißt und es dann doch tief bewegt zurück lässt. In Israel haben viele Zuschauer geweint – in Deutschland stellen sie Fragen, wollen Erklärungen.

Erinnerungstheater

Für die Verantwortlichen am Stadttheater Heidelberg und am Teatron Beit Lessin in Tel Aviv ist dies alles andere als ein Routineprojekt. Viele haben daran mitgewirkt: Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenkünstler, das Goethe-Institut, und nicht zuletzt die Kulturstiftung des Bundes mit ihrem Fonds "Wanderlust", der Theaterpartnerschaften fördert. "Jeder von uns, der in Israel war, dessen Leben wurde berührt, verändert", bilanziert der Heidelberger Schauspieldirektor Jan Linders. Und fügt hinzu: "Auch wenn die letzten Überlebenden auf der Täter- und der Opferseite bald tot sind, kann es vielleicht gerade die Aufgabe des Theaters sein, hier weiter zu machen, die Erinnerung am Leben zu halten."

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen