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Der Weihnachtsbaumwahnsinn

11. Dezember 2011

Rund 450 Millionen Euro geben die Deutschen pro Jahr für Weihnachtsbäume aus. 80 Prozent der Bäume kommen aus Deutschland. Aber wie kommen die Weihnachtsbäume eigentlich an den Mann?

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Meinolf Mütherich steht neben einem Tannenbaum (Foto: DW/Marco Müller)
Weihnachtsbaumproduzent Meinolf MütherichBild: Müller/DW

Es ist 6:00 Uhr morgens an einem Samstag im Dezember. Für Meinolf Mütherich beginnt ein stressiger Tag. Vor 23:00 Uhr wird er nicht zu Hause sein – heute nicht und an keinem anderen Tag an den Dezember-Wochenenden. Die eigentlich besinnliche Zeit ist für ihn alles andere als besinnlich, denn Meinolf Mütherich hat einen Weihnachtsbaumbetrieb - und jetzt ist Hochsaison in der Weihnachtsbaum-Industrie. Auch wenn Weihnachtsbäume in Massen produziert werden, hält der 51-Jährige nicht so viel vom Wort "Industrie". Er spricht lieber von "landwirtschaftlichen Betrieben".

Meinolf Mütherich baut Weihnachtsbäume in Nordrhein-Westfalen an zwei Standorten an – im Sauerland und im Rheinland. 6000 bis 8000 Tannenbäume hat er pro Hektar angepflanzt. Und 100 Hektar ist seine Weihnachtsbaumproduktion groß. Damit ist er Herr über bis zu 800.000 Tannenbäume – ein beachtlicher landwirtschaftlicher Betrieb. Allerdings verkauft er pro Jahr nur einen Bruchteil der Tannen.

Wer Weihnachtsbäume anbauen will, muss Trendforscher sein

Bis die beliebte Nordmanntanne eine Höhe von 1,80 bis 2,00 Meter erreicht hat, dauert es zwölf Jahre, sagt Meinolf Mütherich und schaut auf hunderte bereits in Netzen verpackte abholbereite Tannen. Der 51-Jährige muss also in Dekaden denken – was in der in immer kürzeren Intervallen denkenden Geschäftswelt geradezu archaisch anmutet. Er muss heute schon abschätzen, wie viele Tannen er Weihnachten 2023 verkaufen kann. Planung ist also alles – nicht nur bei der Menge, sondern auch bei der Wahl der Baumart.

Traktor mit großem Greifarm (Foto: DW/Marco Müller)
Längst helfen Maschinen beim WeihnachtsbaumanbauBild: Müller/DW

"Wenn ich vor zehn Jahren gewusst hätte, dass die Nordmann-Tanne so einschlägt, hätte ich vielleicht auch weniger Blaufichte oder Fichte gepflanzt", erklärt Mütherich und blickt auf den sich langsam füllenden Kundenparkplatz seines Betriebes am Rande der 27.000-Einwohner-Stadt Overath im Bergischen Land. Es ist kurz vor 11:00 Uhr und damit kurz vor Öffnungszeit.

Weihnachtsbaumschlagen als Event

Als einer der ersten ist Frank Zehrer mit seiner Frau und seinen beiden Kindern vor Ort. Sie kommen bereits das dritte Jahr in Folge. "Das ist eine schöne Möglichkeit, den Baum selber zu sägen. Da kann mir unser Sohn mit seinen acht Jahren mittlerweile ganz gut bei helfen. Und wir können hier ein bisschen Zeit verbringen auf dem nett angerichteten Gelände." Das wirkt fast wie ein Vergnügungspark. Ordner mit leuchtend-gelben Warnwesten weisen den Kunden die Parkplätze zu. Dahinter steht ein großes weißes Zelt. Es mutet an wie ein Bierzelt, das man von Jahrmärkten kennt. Und in der Tat gibt es innen auch Bierbänke mit den zugehörigen Tischen sowie eine lange Theke für Essen und Getränke. Den Unterschied machen der Weihnachtsschmuck und der Nikolaus, der die Besucher empfängt.

Frank Zehrer, Ehefrau Jeanette Rink, Sohn Christoph und Tochter Ellen ziehen sich vor der offenen Heckklappe ihres Kombis Gummistiefen an (Foto: DW/Marco Müller) Foto: Marco Müller. 10.12.2011, Bergisches Land, Overath, Kreutzhäuschen.
Fertigmachen zum Baumsägen: Frank Zehrer mit Ehefrau Jeanette Rink, Sohn Christoph und Tochter EllenBild: Müller/DW

Neben dem Bierzelt befindet sich eine große zweigeteilte Scheune. Jeder der beiden großen Räume ist mit Rindenmulch, Heizpilzen und einer Theke ausgestattet. Hier können Unternehmen aus der Region ihre Weihnachtsfeiern abhalten. Während der eine Raum noch leer ist, feiert in dem anderen bereits die "Homberg und Müller GmbH". In dem Zelt liegen auf vielen Tischen Zettel mit Aufschrift "Reserviert für Bankhaus Dellbrück". Nach der Feier kann sich jeder dann noch seinen Weihnachtsbaum mit nach Hause nehmen. Der Weihnachtsbaumverkauf ist mittlerweile ein richtiges Event. Dies wird auch klar, wenn man hinter das Zelt blickt.

Weihnachtlich geschmücktes Bierzelt von innen (Foto: DW/Marco Müller)
Bierzelt + Weihnachtsschmuck = WeihnachtszeltBild: Müller/DW

Die Elfenwelt in der Tannenbaumschonung

Dort tut sich eine Welt auf, die man sonst eher aus Fantasy-Filmen kennt. Ein langer Trampelpfad führt in den Wald. Etwa alle zehn Meter findet sich zwischen den Tannen ein kleines Holzhäuschen in dem die unterschiedlichsten Gestalten die verschiedensten Dinge anpreisen. Diese künstlich gestaltete Welt nennt sich "Bergischer Weihnachtsmarkt im Wald". An dem ersten Häuschen werden aus Baumstämmen gefertigte Tiere und Sterne angeboten.

Ein Weg führt in den Wald. Links und rechts des Wegs stehen jeweils Holzhütten an denen die unterschiedlichsten Produkte verkauft werden. (Foto: DW/Marco Müller)
Der Zugang zum Wald der Phantasie: Der Bergische Weihnachtsmarkt im WaldBild: Müller/DW

Je weiter man sich in den verwunschenen Weihnachtswald hineinwagt, desto ungewöhnlicher werden die Produkte. Markus Vogel verkauft selbst gebastelte Weihnachtskarten und Tischdekorationen. Die aus Polen stammende Ewelina Aleksandra Gödden verkauft nur ein Produkt: Handtaschenhaken. Das sind Haken, deren Oberseite man auf den Tisch legt. An dem sich dann unter dem Tisch befindlichen Haken hängt man eine Handtasche. Die Haken sehen allerdings nicht aus wie aus dem Baumarkt, sondern eher wie aus einem Schmuckgeschäft.

Thomas Harms ist Geschäftsführer eine Kölner Eventagentur. Er steht an einem großen Topf in der kleinen Holzhütte und bietet original Tiroler Apfelstrudel in Burbonvanille, Kakao mit Schuss und Semmelknödel in einer Pfifferlingssauce mit Speck und frischen Kräutern an. Mehr gibt es auf der Karte nicht. Nicht weit davon steht Felix Berger vor seinem Häuschen. Er verkauft Hirschgeweihe und Felle von Füchsen und Dachsen. Jede Hütte eine eigene Welt. Der Gang über den Waldweihnachtsmarkt wirkt surreal. Ist das der richtige Ort um diese Dinge feilzubieten? Keiner der Budenbetreiber konnte die Frage beantworten. Sie alle sind zum ersten mal dabei – aber optimistisch. Alle sind motiviert und alle wollen Geschäfte machen, so natürlich auch Meinolf Mütherich, der den Weihnachtsmarkt schnellen Schrittes inspiziert, ständig sein Smartphone am Ohr. Er muss schauen, dass alles läuft.

Ewelina Aleksandra Gödden in dem Holzhäuschen in dem sie Handtaschenhaken verkauft (Foto: DW/Marco Müller)
Ewelina Aleksandra Gödden verkauft HandtaschenhakenBild: Müller/DW

Kitsch und Kommerz

Der Herr der Bäume verdient sein Geld längst nicht mehr nur mit den Bäumen. Die Kinder können auf Ponys reiten, die Eltern schauen nach ausgefallenen Geschenken. Essen und Trinken müssen ohnehin alle. Dass Weihnachten auch ein Fest des Kommerzes ist, das ist nicht neu. Dass Weihnachtsmärkte nicht nur Stimmung, sondern vor allem Produkte verkaufen, auch das ist bekannt. Warum sollte dann der Akt des Weihnachtsbaumverkaufens nicht auch noch Zusatzerträge einbringen können?

Der Nikolaus kniet sich vor die kleine Ellen und erzählt ihr eine Weihnachtsgeschichte (Foto: DW/Marco Müller)
Der Nikolaus begrüßt ein KindBild: Müller/DW

Gift und Gewinn

Der Weihnachtsbaumanbau hat aber auch seine Schattenseiten. "Das Sauerland ist die Hauptanbauregion für Weihnachtsbäume. Bei uns werden ein Drittel der 28 Millionen in Deutschland verkauften Weihnachtsbäume produziert", sagt Matthias Scheidt von der Bürgerinitiative "Giftfreies Sauerland": "Doch die Produktion ist mit einem intensiven Einsatz von Spritzmitteln verbunden, was durchaus gesundheitsgefährlich ist." Nach Angaben der Bürgerinitiative setzen 420 der 430 Betriebe im Sauerland Spritzmittel ein. "Einige der Spritzmittel, vor allem das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, stehen im Verdacht, krebserregend und teilweise fruchtschädigend zu sein," so Scheidt.

Die Bürgerinitiative besteht aus elf aktiven Mitgliedern. Bis Weihnachten führen sie eine Unterschriftenaktion durch. Rund 1000 Bürger haben schon mitgemacht. Ihr Ziel ist der Verzicht von Spritzmitteln. Das Unkraut sollte stattdessen abgemäht werden – entweder durch Mensch und Maschine, oder durch Einsatz des nicht aus Deutschland kommenden Shropshire-Schafes. Es frisst nur Unkraut und lässt die Bäume in Ruhe – im Gegensatz zu heimischen Schafen.

Als Vorsitzender des Landesverbands der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger in Nordrhein-Westfalen kennt Meinolf Mütherich die Kritik. In Deutschland ist alles in Verbänden und Vereinen organisiert, so auch die Weihnachtsbaumproduzenten. Mütherich sagt, der Kunde wünsche einen perfekten Baum. Wenn man nichts gegen das Unkraut tue, würde der Baum unten braun und trocken. Kein Kunde würde so einen Weihnachtsbaum haben wollen.

Meinolf Mütherich zeigt die trockenen unteren Äste einer Tanne (Foto: DW/Marco Müller)
Nicht schön: Wird das Unkraut nicht entfernt, wird die Tanne unten trocken und braunBild: Müller/DW

Die Shropshire-Schafe sind ihm ein Begriff. Vor einigen Jahren habe er mal 150 aus Dänemark ins Land geholt und im Einsatz gehabt. "Es war ein Riesen-Erfolg, muss ich sagen. Aber irgendwann ändert sich das Fressverhalten der Tiere." Die folgende Schafgeneration begann plötzlich, die Bäume zu fressen. Zudem seien die Schafe sehr feinfühlig und hätten oft Krankheiten.

Ökologie und Ökonomie

Wie teuer ein Ökobaum sein muss, darüber streiten sich Züchter und Bürgerinitiative. Während Matthias Scheidt von der Bürgerinitiative "Giftfreies Sauerland" der Meinung ist, Ökobäume müssten kaum teurer sein als gespritzte Bäume, geht Meinolf Mütherich vom doppelten Preis aus. Aber wie hoch der Preis auch sein mag, letztendlich entscheidet immer der Verbraucher. Da sind sich beide einig. Matthias Scheidt und die anderen Mitglieder der Bürgerinitiative kaufen ausschließlich Ökobäume. Wenn das alle täten, würden die Erzeuger reagieren, sagt auch Meinolf Mütherich: "Wenn der Verbraucher zu mir kommt und sagt 'Ich möchte einen Ökobaum' und bezahlt das Doppelte, dann werde ich meinen Betrieb auch ändern."

Autor: Marco Müller
Redaktion: Thomas Latschan