Der Weg zum Fußballtrainer
Wer Trainer im Profifußball werden möchte, braucht eine fundierte Ausbildung und eine Fußballlehrerlizenz. Beides kann man an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef bekommen. Doch der Weg dahin ist lang.
In den Stadien, in den Kneipen und auf den Sofas aller begeisterten Fußballnationen sitzen bei Spitzenspielen Millionen von Fans, die sich in der Rolle eines Trainers*¹ sehen. Sie alle glauben zu wissen, welcher Spieler auf dem Platz stehen sollte, welche Spieltaktik am erfolgreichsten wäre. Doch auf der ‚echten‘ Cheftrainerbank am Rande des Rasens, da sitzt – zumindest bei Profivereinen der ersten, zweiten und dritten Fußballliga in Deutschland – ausschließlich ein Profi, nämlich jemand, der eine Ausbildung zum Fußballlehrer erfolgreich absolviert hat. Denn Profiligavereine in Deutschland dürfen nur einen Cheftrainer mit einer Fußballlehrerlizenz Lizenz, -en (f.) hier: die Erlaubnis eines Sportverbandes, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben einstellen. Im Auftrag des Deutschen Fußballbunds (DFB) Deutscher Fußballbund (DFB) (m.) der Dachverband aller Fußballvereine in Deutschland übernimmt das die Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef nahe Bonn. Sie ist die zentrale Ausbildungsstätte für alle diejenigen, die diese Lizenz erwerben wollen. Doch bis jemand an diesen Punkt kommt, muss er erst einen langen Weg gehen. Er muss andere Lizenzen erwerben, sagt Frank Wormuth, von 2008 bis 2018 Leiter der Fußballlehrerausbildung der Hennes-Weisweiler-Akademie:
„Es geht bei uns bei der C-Lizenz los, geht zur B-Lizenz, zur A-Lizenz. Dazwischen liegt immer ein Jahr Erfahrung mit der Lizenz im Trainerbereich. Und dann müssen sie ’ne Eignungsprüfung machen. Und wenn Sie das alles bestanden haben, geschafft haben, dann sind Sie an der Hennes-Weisweiler-Akademie.“
Wer Fußballlehrer werden möchte, muss laut der Ausbildungsordnung des DFB zunächst eine Ausbildungsstufe nach der nächsten absolvieren. Diese Stufen bauen aufeinander auf. Die erste ist die C-Lizenz, dann folgen die B- und die A-Lizenz. Abhängig von der jeweiligen Lizenzstufe wird dort in 120 bis 140 Lerneinheiten Wissen vermittelt – etwa in den Bereichen Taktik und Konditionstraining. Dennoch ist, so Frank Wormuth, eine zusätzliche Eignungsprüfung für die Zulassung zur Akademie aus einem bestimmten Grund notwendig:
„Wir gehen detaillierter rein, das heißt also, die ganzen Lizenzen, die A,B,C, sind so im Schnitt drei Wochen, sehr oberflächlich, weil es auch für den unteren Amateurbereich ist. Und erst wenn die dann in den sogenannten Leistungsbereich reinkommen – Bundesliga, zweite, dritte Liga –, dann sollten sie auch noch mehr Hintergrundwissen haben. Da geht es auch um die Bereiche Trainingswissenschaft, Sportpsychologie, Sportmedizin. Also die ganze Palette von Wissen des Trainers.“
Für das Training im Spitzenfußball wird eine ganze Palette, eine große Menge an unterschiedlichem Fachwissen in mehreren Bereichen vorausgesetzt, die für den Erwerb der anderen Lizenzen nicht notwendig ist. Jedes Jahr bietet die Hennes-Weisweiler-Akademie 24 Ausbildungsplätze an. In der Regel übersteigt die Zahl der Bewerber die Zahl der Plätze um das Doppelte bis Dreifache. Wer sich bewirbt, sollte unter anderem mindestens die Mittlere Reife Mittlere Reife (f.) im deutschen Bildungssystem der Abschluss nach der zehnten Klasse , die gültige Trainer-A-Lizenz mit entsprechender mindestens einjähriger Trainingserfahrung sowie – bei Nicht-Muttersprachlern – ein Zeugnis über ausreichende Deutschkenntnisse besitzen. Für Frank Wormuth ist noch ein weiteres Kriterium wichtig: selbst aktiv Fußball gespielt zu haben. Denn, so seine Begründung:
„[Es] hat den großen Vorteil, weil Sie spüren dann diese Aktion auf dem Platz eher, weil sie es mal erlebt haben, und können auch drauf besser eingehen. Aber auch da haben wir gesagt in der Fußballlehrergeschichte, wenn jetzt jemand da ist, der eben nicht so gut Fußball spielt, kann er trotzdem ’n hervorragender Trainer sein. Nur, da auch da Sie die ganzen Lizenzen durchleben müssen, müssen Sie auch spielen. Das heißt also, jemand, der gar nicht Fußball spielen kann, wird schon Schwierigkeiten haben, ganz nach oben zu kommen.“
Will jemand andere Fußballer trainieren, ist es von großem Vorteil, eine eigene Spielerfahrung mitzubringen. Theoretisches Wissen allein reicht nicht. Frank Wormuth weiß das aus eigener Erfahrung. Denn bevor er zum Leiter der Fußballlehrerausbildung wurde, hat er unter anderem in der zweiten Liga beim SC Freiburg und bei Hertha BSC Berlin gespielt, war Co-Trainer bei Fenerbahçe Istanbul und Trainer bei Union Berlin.
Wer einen der begehrten Ausbildungsplätze an der Akademie bekommen hat, wird in einem zehnmonatigen Lehrgang auf seinen künftigen Job vorbereitet. Das theoretische Wissen, so Wormuth, vermitteln Experten in vier Hauptbereichen:
„Einmal die Fußballlehre selbst – technisch, taktisch, methodisch –, und dann haben wir die Trainingswissenschaft, also das ist so die Konditionslehre, Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und dergleichen. Dann haben wir den Bereich der Sportpsychologie – Konfliktlösungen, Stress-Situationen und dergleichen. Und dann haben wir noch die Sportmedizin. Die Sportmedizin ist dafür da, um einfach den Leuten auch den biologischen Hintergrund zu erzählen, was sie mit dem Spieler eigentlich gerade machen. Ernährungslehre haben wir noch. Regelkunde, ein bisschen Arbeitsrecht und ein paar diverse Kleinigkeiten noch.“
Zusätzlich zu diesen theoretischen Grundlagen gibt es auch zahlreiche praktische Übungseinheiten. Dazu gehört unter anderem das Trainieren mit sogenannten Demogruppen. Das können beispielsweise Fußballmannschaften der Regionalliga sein, aber auch Juniorenmannschaften der U17 U17 (f., nur Singular) eine Altersklasse im Sport (Sportlerinnen und Sportler von 15 bis 17 Jahren) oder U19. Hier kann das theoretisch erworbene Wissen ausprobiert werden. Darüber hinaus wird für zwei Monate schon mal dem Cheftrainer eines Bundesligavereins über die Schulter geschaut jemandem über die Schulter schauen redensartlich für: jemandem zuschauen, wie er etwas macht oder es werden Europa- oder Weltmeisterschaftsspiele verschiedener Mannschaften beobachtend begleitet. Für den langjährigen Ausbilder Frank Wormuth gibt es nicht den einen Trainertyp, der am Ende der fundierten fundiert hier: so, dass etwas eine gute, gesicherte Grundlage darstellt Ausbildung auf den Platz geschickt wird. Denn, so meint er:
„Wir können uns keine Trainer ‚schnitzen‘, weil, die Kandidaten kommen ja mit einer gewissen Ich-Kompetenz an. Und wir können den ’n Spiegel vor Augen halten, wie sie sind, aber im Endeffekt können wir sie nicht mehr umerziehen. Aber wir können ihn Tools mitgeben in ihrer täglichen Arbeit, die sie dann bei gewissen Situationen anwenden können.“
Für Frank Wormuth besteht die Aufgabe der Ausbildung nicht darin, sich einen Trainer zu schnitzen, also ihn wie ein Stück Holz zu bearbeiten, so dass er am Ende der eigenen Vorstellung entspricht. Denn jeder habe eine eigene Persönlichkeit und Erfahrung, habe eine Ich-Kompetenz. Man sollte diese Person nicht umerziehen wollen, sondern ihr einen Spiegel vor Augen halten, ihr zeigen, wie sie sich verhält, ein Punkt, der besonders bei einem Mannschaftssport wie Fußball erforderlich ist. Ziel sei es zudem, den künftigen Trainerinnen und Trainern die notwendigen Tools mitzugegeben, ihnen eine Art Werkzeugkasten mit Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Aus dem können sie dann die je nach Situation richtigen ‚Werkzeuge‘ herausziehen.
Die Ausbildung an der Hennes-Weisweiler-Akademie hat sich seit dem ersten Lehrgang im Jahr 1947 – damals noch unter Sepp Herberger – und den Zeiten der Trainerlegende Hennes Weisweiler in den 1950-er bis 1970er-Jahren immer weiterentwickelt. Sie hat sich den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst, so Frank Wormuth:
„Das heißt, auch im Jugendbereich schon wird der Spieler mehr in Entscheidungsfindungen integriert. Man spricht von induktivem Handeln. Man sucht Lösungen zusammen. Als Trainer kennst du die Lösung, aber du willst ja, dass [der] Spieler draufkommt, damit der auch mehr dahintersteht. Und die neue Generation, die versucht auch mehr, auf den Spieler einzugehen und nicht so als Alphatier dazustehen. Trotzdem müssen sie – wie früher auch Turnvater Jahn auch – mal was vorturnen und sagen: ‚So will ich’s haben.‘“
Der Trainer von heute muss mehr auf den Einzelnen eingehen, soll sich, so Frank Wormuth, nicht wie ein Alphatier, ein autoritärer, Macht ausübender Anführer, verhalten. Er darf zwar demonstrieren, wie er sich etwas vorstellt, darf vorturnen – wie der Pionier der Turnbewegung des 19. Jahrhunderts, Friedrich Ludwig Jahn. Doch die moderne Lehr- beziehungsweise Lernmethode im Sport ist induktiv. Anders als bei der deduktiven Methode, bei der die entscheidenden Regeln vorgeben werden, müssen sie bei der induktiven selbst entdeckt werden. Ausprobieren und Erfahrungen sammeln müssen die Lernenden also selbst.
Nach Ende eines Trainerlehrgangs werden in jedem Jahr an der Akademie die jeweils Jahrgangsbesten für ihre erfolgreiche Teilnahme geehrt. Doch gute Noten zu erhalten, bedeutet nicht, dass man gleichzeitig auch ein erfolgreicher Trainer, eine erfolgreiche Trainerin im Profigeschäft wird. Viele der Top-Absolventen landen landen umgangssprachlich für: ankommen zwar irgendwann in der Beletage Beletage (f., aus dem Französischen) hier: die höchste Klasse des deutschen Fußballs, können sich sich etablieren hier: eine gesicherte Position einnehmen jedoch nicht auf Dauer etablieren sich etablieren hier: eine gesicherte Position einnehmen . Doch Trainerlegenden wie ein Jürgen Klopp, Joachim Löw, Jupp Heynckes oder bei den Frauen eine Tina Theune werden nicht wie am Fließband wie am Fließband umgangssprachlich für: ständig; ohne Unterbrechung produziert.
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*¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird manchmal auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.
*² Auf Basis eines Interviews von Utz Dräger (Deutschlandradio) mit Frank Wormuth
Der Weg zum Fußballtrainer
Lizenz, -en (f.) — hier: die Erlaubnis eines Sportverbandes, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben
Deutscher Fußballbund (DFB) (m.) — der Dachverband aller Fußballvereine in Deutschland
Mittlere Reife (f.) — im deutschen Bildungssystem der Abschluss nach der zehnten Klasse
U17 (f., nur Singular) — eine Altersklasse im Sport (Sportlerinnen und Sportler von 15 bis 17 Jahren)
jemandem über die Schulter schauen — redensartlich für: jemandem zuschauen, wie er etwas macht
fundiert — hier: so, dass etwas eine gute, gesicherte Grundlage darstellt
landen — umgangssprachlich für: ankommen
Beletage (f., aus dem Französischen) — hier: die höchste Klasse
sich etablieren — hier: eine gesicherte Position einnehmen
wie am Fließband — umgangssprachlich für: ständig; ohne Unterbrechung