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Tatort Internet

30. Juni 2011

Virtuell begangene Straftaten boomen. Rund 60.000 Betrugsfälle registrierte das Bundeskriminalamt im Jahre 2010 - ein Plus von fast 20 Prozent. Begünstigt wird der rasante Anstieg durch die Sorglosigkeit vieler Nutzer.

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Eine Hand, die in einem dunklen Handschuh steckt, greift sinnbildlich unbefugterweise auf eine Computer-Tastatur zu (Foto: www.BilderBox.com)
Im Netz surfen birgt einige GefahrenBild: BilderBox

Von solchen Wachstumsraten kann die legale Wirtschaft nur träumen: Um ein Drittel erhöhte sich der durch Internet-Delikte ermittelte Schaden allein in Deutschland - von knapp 37 Millionen Euro 2009 auf 61,5 Millionen ein Jahr später. Dabei handelt es sich nach Angaben des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, nur um das so genannte "Hellfeld" der Cyber-Kriminalität. Das "Dunkelfeld" schätzt der BKA-Chef mindestens doppelt so groß ein.

Die schärfste Waffe der Täter stellen demnach so genannte Bot-Netze dar. Dabei handelt es sich um die massenhafte Verknüpfung von ferngesteuerten fremden Computern, die mit Viren- und anderen Schadprogrammen infiziert sind, ohne dass die ahnungslosen Besitzer etwas davon wissen. Jörg Ziercke spricht von bis zu 700.000 Rechnern, die täglich von kriminellen Banden zweckentfremdet werden.

Angriffe auf Regierungen und Unternehmen

BKA-Chef Jörg Ziercke wähend einer öffentlichen veranstaltung vor einem Mikrofon sitzend (Foto: picture-alliance/dpa)
BKA-Chef Jörg Ziercke warnt deutlich vor sorglosem Umgang mit dem InternetBild: picture-alliance

Diese Bot-Netze griffen dann Server von staatlichen Einrichtungen an, von großen Unternehmen oder kleinen Firmen. "Die Cyber-Kriminellen wollen Internet-Zugänge blockieren, um Geld zu erpressen, die Handlungsfähigkeit von Behörden einzuschränken oder auch politischen Druck auszuüben", beschreibt Ziercke das weite illegale Betätigungsfeld. Das Beispiel Estlands habe vor einigen Jahren gezeigt, dass auch Staaten angegriffen werden könnten, erinnerte der BKA-Präsident an einen besonders gravierenden Fall.

2007 hatten Hacker die Websites der Regierung, von Parteien, Medien und Wirtschaftsunternehmen lahmgelegt. Eine Bank musste zwei Tage lang den internationalen Zahlungsverkehr einstellen. Rechnungen und Gehälter konnten teilweise nicht gezahlt werden. Gemessen daran erscheinen die Auswirkungen virtueller Attacken in Deutschland geradezu harmlos.

Technischer Wettlauf zwischen Tätern und Opfern

Tatsächlich aber sind Fachleute alarmierter denn je. Um 82 Prozent nahm beispielsweise das so genannte "Phishing" beim Online-Banking zu. Dabei erlangen die Täter mit manipulierten Computern Zugriff auf Bankdaten. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), beobachtet seit langem einen Wettlauf zwischen Tätern und Opfern.

Der Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), Dieter Kempf, erläutert mit erhobener Hand Zahlen zum Thema Cyber-Kriminalität (Foto: Maurizio Gambarini dpa)
"Bitkom"-Chef Dieter Kempf ist optimistischer als ZierckeBild: Picture-Alliance/dpa

Immer dann, wenn großen Banken eine neue Technologie einführten, gingen die tatsächlichen Angriffe im Online-Banking ein Stück zurück. Nachdem sich aber die Internet-Nutzer daran gewöhnt hätten und die Kriminellen über neue technische Methoden verfügen würden, gehe die Kriminalität wieder hoch, beschreibt Kempf das Katz-und-Maus-Spiel.

Viele Internet-Nutzer surfen zu sorglos

Die international agierenden Täter profitieren offenbar von der Sorglosigkeit vieler Internet-Nutzer und der weltweit zunehmenden Verbreitung mobiler Endgeräte. Obwohl sich laut "Bitkom"-Umfrage 85 Prozent im Internet bedroht fühlen, verfüge nur jeder vierte Besitzer eines Handys mit Internetzugang über einen Viren-Schutz und sogar nur jeder fünfte über eine Firewall zur Abwehr unerwünschter Zugriffe auf sein Gerät, wundert sich BKA-Chef Ziercke. Er hält es für unerlässlich, die sogenannten IP-Adressen der Computer systematisch zu speichern, um Kriminellen auf die Spur kommen zu können. Doch diese Form der Daten-Erfassung ist in Deutschland nicht erlaubt, bedauert Ziercke. "Da das Risiko einer Bestrafung wegen deutlich eingeschränkter Ermittlungsmöglichkeiten vergleichsweise gering ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Cyber-Angriffe zunehmen werden, sehr groß", prognostiziert Ziercke.

Zahlreiche Kabel stecken in einem Computer; sie symbolisieren die vernetzte Welt (Foto: Fotolia/kubais, 27910414)
Im nationalen Cyber-Abwehr-Zentrum sollen alle Stränge zusammenlaufenBild: Fotolia/kubais

"Bitkom"-Präsident Kempf schätzt die Gefahren weniger dramatisch ein. Die Internet-Wirtschaft habe zusammen mit den Kommunikations-Providern eine Anti-Bot-Netz-Initiative gestartet. Wenn die beteiligten Unternehmen Hinweise auf einen gefährdeten Privat-Computer hätten, würde der Nutzer darüber informiert werden, sagt Kempf. Es gebe auch eine Hotline. Noch wisse man nicht genau, wie effektiv das Angebot ist; exakte Ergebnisse werden erst im Herbst erwartet. "Aber als Zwischenstand wissen wir schon, dass es zu einer deutlichen Bereinigung geführt hat", freut sich der "Bitkom"-Chef. Deutschland habe den Spitzenplatz mit den meisten befallenen Bot-Netzen im internationalen Vergleich verloren.

Engere Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft

Künftig wollen Politik, Strafverfolger und die Wirtschaft noch intensiver gemeinsam gegen Internet-Kriminalität vorgehen. Das Mitte Juni 2011 offiziell eröffnete Nationale Cyber-Abwehr-Zentrum in Bonn könnte dabei eine zentrale Funktion übernehmen. Das wünscht sich jedenfalls "Bitkom"-Chef Kempf. BKA-Präsident Ziercke zeigte sich aufgeschlossen. In einem zweiten Schritt könnten die Internet-Wirtschaft, Provider, die Wissenschaft und die Forschung eingebunden werden, um die Zusammenarbeit auszubauen. Als Beispiel für eine gelungene Kooperation verwies Ziercke auf den Finanzmarkt. Er habe mit allen Großbanken und Verbänden vereinbart, eine gemeinsame Struktur zu schaffen, um schnellstmöglich auf Entwicklungen beim "Phishing" und andere Formen des Daten-Dienstahls reagieren zu können.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Nicole Scherschun