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Der Tanz um das Goldene Kalb

8. September 2016

Wenn Gott zum Götzen wird: Christian Feldmann von der katholischen Kirche sieht die Versuchung, sich selbst ein Bild von Gott zu zimmern, einen Wellness-Gott, der nichts fordert, statt sich von Gott formen zu lassen.

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Tanz ums goldene Kalb - Bulle und Bär symbolisieren das Auf und Ab an den Börsen: die Götzen unserer Zeit heißen Lebensstandard, Sicherheit, Status.
Tanz ums goldene Kalb - Bulle und Bär symbolisieren das Auf und Ab an den Börsen: die Götzen unserer Zeit heißen Lebensstandard, Sicherheit, Status.Bild: Thorben Wengert/pixelio

Wenn der Pfarrer nicht auf die alttestamentliche Lesung verzichtet, hören Sie an diesem Sonntag in Ihrer katholischen Kirche die immer noch aufregende Geschichte vom Goldenen Kalb (Ex 32,7-11,13-14). Während Mose auf dem Berg Sinai mit Gott redet und die Steintafeln mit den Zehn Geboten erhält, werden seine Leute, die aus Ägypten herausgezogenen Hebräer, unten am Fuß des Berges ungeduldig. Wo bleibt der Anführer? Wann sollen sie weiterziehen, und wohin? Werden die Ägypter eine zweite Streitmacht ausschicken, um sie mit Gewalt zurückzuholen?

Ein Schutzgott muss her, ein sichtbarer Retter, auf den sie sich verlassen können. Sie machen sich ein Kalb aus Gold – beziehungsweise aus Metall, wie es exakt in der Bibel heißt, angeblich aus den bereitwillig gespendeten goldenen Ohrringen ihrer Frauen und Mädchen – und bringen ihm Opfer dar. Als Mose vom Berg zurückkommt, zerschmettert er wütend die Tafeln mit den Zehn Geboten und organisiert ein grauenvolles Massaker, bei dem 3.000 Männer umgebracht werden – im Namen des wahren Gottes (Ex 32,27 f.).

Christian Feldmann, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.
Christian Feldmann, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.Bild: privat

Kein Abbild Gottes

Eine schreckliche Geschichte aus der Frühzeit der jüdischen Religion, als man sich Gott noch als überaus cholerisch, gewalttätig und rachsüchtig vorstellte. Aber die Geschichte hat noch einen anderen Haken, den man nicht gleich beim ersten Hören bemerkt: Die Hebräer sind ihrem Gott Jahwe keineswegs untreu geworden. Sie wollen sich ihn nur plastisch vorstellen können, in all seinem Glanz und seiner Macht. Deshalb verfertigen sie das beeindruckende Bild eines starken, fruchtbaren, vitalen Jungstiers und sagen: Das ist unser Gott! Genau wie es die Nachbarvölker machen, die Ägypter mit ihrem Apis-Stier in Memphis und die Syrer mit dem ebenfalls in Stiergestalt dargestellten Wettergott Hadad in Aleppo.

Die Bibel freilich sieht diesen eher hilflosen Versuch sehr kritisch. Nicht der Mensch darf sich seinen Gott schaffen und nach seinen Vorstellungen formen, sondern genau umgekehrt: Der Mensch soll sich von Gott, der ihn als sein Ebenbild geschaffen hat, formen und „modellieren“ lassen. „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben, du sollst dir kein Gottesbild machen“, heißt es lapidar im ersten der Zehn Gebote – die das Volk Israel unten am Fuß des Sinai aber noch gar nicht gekannt hat, als es das „Goldene Kalb“ machte. Denn so nennen ihn die skeptischen biblischen Autoren spöttisch, den großmächtigen Stiergott: Kälbchen. Wer wird so einem lächerlichen Götzen opfern, wenn er die Stärke und Treue Gottes beim Zug durch die Wüste erlebt hat?

Was erwartet Gott von uns?

Wir Christen des 21. Jahrhunderts lesen die alte Geschichte etwas anders. Unser Problem sind nicht mehr Götzenbilder oder Tiergötter. Aber die Kernfrage ist überraschend gleich geblieben: Lassen wir uns von Gott formen? Fragen wir ebenso demütig wie entschlossen, wie Gott uns haben will, was er von uns erwartet? Oder modeln wir uns einen bequemen lieben Gott nach unseren Maßstäben zurecht? Einen Wellness-Gott zum Knuddeln, der nichts fordert? Eine Religion, die nichts kostet? Einen angepassten, weichgespülten Glauben, der keine Entscheidung verlangt? Was ändert sich wirklich am Leben eines erwachsenen Menschen, der heute in Deutschland in eine Kirche eintritt? Sieht man es einem Christen an, dass er Christ ist?

Und der, den wir Gott nennen, hat ja auch längst andere Namen und Gesichter, genau wie damals der goldene Stier der Hebräer: Lebensstandard heißt unser Gott, Sicherheit, Karriere, Status. Die Opfer, die wir unseren Götzen darbringen, heißen Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Moral, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Suche nach Wahrheit. Die Tempel, in denen die Götzen angebetet werden, sind Bankhäuser, Konzernzentralen, Waffenfabriken, Immobilienfirmen, Werbeagenturen, Medientrusts. Der Weihrauch, den wir ihnen anzünden, riecht nach einer Mischung aus Öl, Geld und Blut. Und das ist – leider – gar keine aufregende Geschichte mehr.