Der Sonntag im Wandel der Zeit
Der Ostersonntag ist der wichtigste kirchliche Feiertag in Deutschland. Welche Bedeutung aber hat der Sonntag allgemein noch für die Deutschen? Im Vergleich zu früher hat sich viel verändert. Aber nicht alles.
„…Ich strich die Zigaretten glatt, die andere gestern liegen lassen hatten. Dort drüben sah ich Menschen steh’n, die Frauen im Kleid, die Männer mit Krawatten. Durch die fast leeren Straßen zog der Duft von manchem zarten Sonntagsbraten …“
Tom Astor besingt, was mancher mit einem Sonntagmorgen verbindet: die Reste einer Party, den Geruch von Sonntagsbraten – einem leckeren Stück Fleisch – und gut gekleidete Frauen und Männer im sogenannten Sonntagsstaat. Das heute in der Umgangssprache scherzhaft gebrauchte Wort war früher die Kleidung, die sonntags für den Kirchgang und den Auftritt in der Öffentlichkeit getragen wurde. Der deutsche Volkskundler Professor Gottfried Korff stellt fest, dass sich, im Vergleich zu früher, nicht nur die Kleidung verändert hat:
„Insgesamt sind die Verhaltensweisen sehr viel freier, offener und flexibler geworden. Feste Verhaltensregeln für den Sonntag, wie man das noch bis in die Mitte der 60er Jahre hinein kannte, lassen sich heute nicht mehr so ohne Weiteres feststellen. Das sieht man vor allem auch an der Kleidung. Die Kleidung ist freizeitlich, weil überhaupt die Freizeit eine größere Rolle spielt.“
Der Sonntag ist im deutschsprachigen Raum der siebte und letzte Tag der Woche – und er ist arbeitsfrei. Sonntagsarbeit ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, die Sonntagsruhe muss eingehalten werden; es darf kein Lärm gemacht werden. Und an einem arbeitsfreien Tag bleibt viel Zeit für Familie und Freunde. Anders als noch bis Mitte der 1960er Jahre spielt die Freizeit im Leben der Deutschen heutzutage eine größere Rolle. Und bei der Gestaltung ihres Tages sind die meisten flexibler, freier, geworden:
„Jeder kann mal so richtig machen, was er will. Ich find das schön. / Gemütliches Frühstücken, lange schlafen, ja. Und wenn die Sonne scheint, wir haben ‘n Schrebergarten, da halten wir uns sehr viel auf. / Sonntag ist der Tag, wo ich meistens mit den Kindern und Enkelchen spazierengehe, nicht den ganzen Tag, aber einige Stunden.“
Die Freizeit wird unterschiedlich genutzt: Der eine frühstückt gern lange, geht spazieren, der andere verbringt den Tag bei schönem Wetter im Schrebergarten, einem Kleingarten am Stadtrand. Der Sonntag wurde und wird laut Professor Gottfried Korff zudem mit einem Begriff verbunden, den es so kaum in einer anderen Sprache gibt:
„Der deutsche Sonntag ist insbesondere der Gemütlichkeit verpflichtet oder war das jedenfalls lange. Sonntag ist der Tag, den man in der Familie begeht, an dem man den berühmten Sonntagsspaziergangin der ganzen Familie durchführt, an dem man nachmittags zusammen Kaffee trinkt. Am Sonntag gibt’s den berühmten Sonntagsbraten.“
Ein Sonntag in Deutschland ist für die meisten verbunden mit Gemütlichkeit, ein oft verwendeter Begriff, der nicht genau definiert werden kann. Gemütlichkeit drückt allgemein ein bestimmtes Wohlbefinden aus. Ein deutscher Sonntag war – und ist es in manchen Familien heute noch – verbunden mit bestimmten Ritualen wie dem Sonntagsspaziergang nach dem berühmten, also dem üblichen, Sonntagsbraten. Der stand früher auf dem Tisch, wenn die Männer vom Frühschoppen zurückkamen, einer geselligen Runde in einer Kneipe am späten Vormittag, bei der Alkohol getrunken wird. Allerdings hat nicht jeder etwas dafür übrig, nicht jeder findet es gut:
„Ich kenn keinen im Bekanntenkreis, der sonntags in die Kneipe sich stellt, also absolut nicht. Also da könnt ich Freibier kriegen, würde ich das nicht tun. / Eigentlich nein, bei mir nicht. Nein, kein Frühschoppen. / Ich kenne also Leute, die anstatt Kirchgang zum Frühschoppen gehen, ne. Früher wurde das ja verbunden, aber für mich kein Thema.“
Alle drei Männer machen deutlich, dass sie überhaupt kein Interesse daran haben, vormittags in die Kneipe zu gehen. Es ist für sie kein Thema, sie sind überhaupt, absolut, nicht daran interessiert. Der eine Mann würde sonntagmorgens nicht mal in die Kneipe gehen, wenn es Freibier gäbe, er also für das Bier nichts bezahlen müsste. Allerdings gibt es auch Männer, die sich am Sonntagmorgen gerne zum Frühschoppen treffen. Stark gewandelt hat sich jedoch die Einstellung zur Kirche. Weit abgeschlagen nach Ausschlafen, Sonntagsausflug, Essen gehen und Sport treiben taucht auf der Beliebtheitsskala der Sonntagsgewohnheiten der Besuch des Gottesdienstes auf. Die Zahlen liegen für beide Konfessionen inzwischen im einstelligen Prozentbereich – mit sinkender Tendenz. Mancher geht nur an sehr wichtigen Feiertagen wie dem Oster- oder Pfingstsonntag in die Kirche oder eben zu besonderen Gelegenheiten. Andere lehnen den sonntäglichen Kirchgang komplett ab:
„Ne, ne, überhaupt nicht! Als Kind schon, da musste ich gezwungenermaßen so in die Kirche gehen, aber danach nicht mehr so. / Man kann auch so an Gott glauben, man muss nicht jeden Sonntag in die Kirche dafür gehen, ne?/ Der Sohn ist letzte Woche erst getauft worden, aber jetzt eigentlich ist die Kirche mal wieder für ‘n paar Monate out.“
Der Kirchgang ist heutzutage weitgehend out, er stößt kaum noch auf Interesse. Es sei denn, jemand wird getauft, also in die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Auch in stark katholisch geprägten Regionen war es früher eine gesellschaftliche Verpflichtung, sich sonntags in der Kirche sehen zu lassen. Der Kirchgang diente aber auch dazu, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken – ein Aspekt, der nach Ansicht des Erzbischofs von Berlin, Heiner Koch, auch heute noch eine Bedeutung hat:
„Ich denke, dass es auch für eine Gesellschaft wichtig ist, dass sie zum einen Punkte hat, an denen sie gemeinsam etwas tut, und dass es auch Tage gibt, die einen gewissen feierlichen, festlichen und auch besinnlichen Akzent haben. Dieser Aspekt scheint mir für alle Menschen wichtig zu sein, auch wenn sie nicht Christen sind. Insofern glaube ich, hat der Sonntag für viele Menschen heute – über den Wert einer freien Zeit hinaus – immer noch eine große Lebensbedeutsamkeit.“
Das Gemeinschaftsgefühl mit bestimmten Aktivitäten oder an bestimmten Tagen zu stärken, ist, so Erzbischof Heiner Koch, wichtig. Allerdings sollte es auch Tage geben, an denen man zur Ruhe kommt und nachdenkt, die einen besinnlichen Akzent haben. Für viele Christen ist der Sonntag immer noch sehr wichtig für ihr Leben, er hat eine große Lebensbedeutsamkeit. Ursprünglich ist er auch ein Tag, an dem die Arbeit ruht. Dieser Aspekt gerät in der heutigen Zeit mit ihrem Arbeits- und Produktionsdruck allerdings zunehmend in Gefahr. Doch noch stimmt der in Deutschland bekannte Slogan: „Sonntags gehört Vati mir.“ Rituale haben sich verändert, eins aber ist geblieben: Der Sonntag als „Sonnentag“, als Familientag und als Tag, an dem man redensartlich auch mal „die Seele baumeln lassen kann“.
Autorin: Beatrice Warken (mit Günther Birkenstock)
Redaktion: Suzanne Cords
Arbeitsauftrag
In Deutschland gibt es Bestrebungen, dass Geschäfte auch sonntags öffnen. Darüber ist eine heftige Debatte entbrannt. Recherchiert in kleinen Arbeitsgruppen und fasst die unterschiedlichen Meinungen zusammen. Tragt eure Ergebnisse mündlich vor.