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Politik

Der Ruf nach Schottlands Unabhängigkeit

Peter Geoghegan jmw
6. Dezember 2018

Londons Kampf um den Brexit-Deal lässt viele Schotten auf ein neues Referendum zur Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich hoffen. Manche in Edinburgh wollen sofort abstimmen, die Regierung aber setzt auf Geduld.

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Demonstration in Schottland
Bild: picture-alliance/dpa/J. Barlow

Am 24. Juni 2016, nur Stunden nachdem die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatten, trat Ersten Ministerin Schottlands Nicola Sturgeon vor die Presse. Neben ihr: das schottische Andreaskreuz und die mit Sternen besetzte EU-Flagge. In dieser Kulisse erklärte die Vorsitzende der linksliberalen Scottish National Party (SNP), dass ein zweites Referendum über die schottische Unabhängigkeit "sehr wahrscheinlich" sei. Damit könnten die europäischen Interessen Schottlands geschützt werden.

Fast zwei Drittel der Schotten stimmten damals für den Verbleib in der EU. Aber mehr als zwei Jahre später - während sich das Vereinigte Königreich nur zögerlich Richtung Brexit bewegt - hat sich die erwartete Unterstützung für die schottische Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich noch nicht verfestigt.

Keine Abstimmung ohne absehbare Mehrheit

Laut aktuellen Meinungsumfragen würden heute etwas mehr Schotten mit "Ja" stimmen als die 45 Prozent damals. Trotzdem bleibt die Unterstützung für die Unabhängigkeit Schottlands hinter den Erwartungen von Sturgeon zurück - und ohne eine komfortable Mehrheit will sie keine weitere Abstimmung ansetzen.

Theresa May und Nicola Sturgeon (Foto: picture-alliance)
Die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon (r.), und Premierministerin Theresa MayBild: picture-alliance/empics/J. Barlow

Vom Tisch ist die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit damit noch nicht. Für viele der 125.000 SNP-Mitglieder zeigt die Unsicherheit rund um den Brexit den Bedarf an einem zweiten Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich.

Parteivorsitzende Sturgeon hat versucht, ihre Anhänger zu beruhigen. Vergangenen Monat sagte die Ministerin dem schottischen Parlament in Edinburgh, sie wolle ihre Pläne zu einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum darlegen, wenn der Ausgang des aktuellen Brexit-Deals klar ist. Aber London hat die Hoheit über die Verfassung, und die britische Regierung hat eine weitere Unabhängigkeitsabstimmung bisher ausgeschlossen.

Kritisch gegenüber Brexit

Die SNP-Vorsitzende war eindeutig in ihrem Widerstand gegenüber den Brexit-Plänen der britischen Premierministerin Theresa May. Sturgeon beschreibt ihren Deal mit Brüssel mit der Bitte, "mit einer Augenbinde von einer Klippe zu springen".

Mit 35 Sitzen bildet die Scottish National Party die drittstärkste Fraktion im britischen Unterhaus. Sturgeon hat bereits angekündigt, dass ihre Abgeordneten gegen den Brexit-Deal stimmen werden. Diese Ankündigung macht es Theresa May noch schwieriger, ihre Pläne durch die Abstimmung am 11. Dezember zu bringen.

Besonders laut kritisierte die SNP den avisierten Extra-Deal für Nordirland und Londons stetiges Versagen, sich mit Edinburgh auszutauschen. "Wenn es möglich ist, dass Nordirland eine spezielle Abmachung bekommt, die eine engere Beziehung zum Binnenmarkt möglich macht… Dann muss ein differenzierter Status auch für Schottland möglich sein", schrieb der schottische SNP-Politiker Mike Russell, jüngst in der Zeitung "The National".

Genug Klarheit

Während sich also Theresa May in London in Sachen Brexit abmüht, wächst im Norden der Insel der Grenze nach einer erneuten Unabhängigkeitsdebatte. Patrick Harvie, Vorsitzender der schottischen Grünen, die die Minderheitsregierung der SNP in Edinburgh unterstützt, drängt sogar: Es gebe bereits genug Klarheit rund um den Brexit, sodass Schottland noch einmal über die Unabhängigkeit abstimmen könnte.

Mhairi Black ist eine junge SNP-Abgeordnete und gilt als aufsteigender Stern der Partei. Sie sagt, die SNP sollte sich im Falle von Neuwahlen deutlich positionieren - und "die Unabhängigkeit in den Mittelpunkt des Wahlprogramms stellen". Die könnten schon bald anstehen, wenn die Regierung in London am Brexit-Deal zerbricht.

Mhairi Black (Foto: picture-alliance)
Mhairi Black gilt als aufstrebende PolitikerinBild: picture-alliance/empics/J. Barlow

Vertreter der Scottish Unionist Party, die sich für den Verbleib im Vereinigten Königreich einsetzt, werfen den Nationalisten hingegen vor, den Brexit als Vorwand zu nutzen, um ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zu fordern. Nach den Worten von Mays Schottlandminister David Mundell ist Sturgeons Vorstoß vor allem ein "Streit, eine erfundene Beschwerde und der unvermeidliche Kampfruf nach Unabhängigkeit".

Schottische Politik umgekrempelt

Auch wenn Schottland 2014 dafür stimmte, Teil des Vereinigten Königreichs zu bleiben, hat die Abstimmung die schottische Politik verändert. Dominierte bis dato noch die Arbeiterpartei Labour, stehen die Nationalisten nun an der Spitze. Die Konservativen müssen sich unterdessen mit der Opposition in Edinburgh begnügen.

Die schottische Labour-Partei ist nach wie vor gegen die Unabhängigkeit. Der Parteivorsitzende Richard Leonard sagt, der Aufruhr in Sachen Brexit sei "nichts" gegen die Unsicherheit, die entstehen würde, sollte Schottland noch einmal über seine Unabhängigkeit abstimmen.

Während also manche schottische Nationalisten bald ein zweites Referendum wollen, gibt es intern nur wenig Widerstand gegen Sturgeons geduldige Strategie. Aber solange sich die Konservativen in London beharrlich weigern, eine weitere Abstimmung zuzulassen, besteht kaum eine Möglichkeit, dass die Schotten vor einem Regierungswechsel im Vereinigten Königreich erneut ihre Stimme über die Unabhängigkeit abgeben können.

Wirtschaft zählt mehr

Wie der Brexit schließlich aussehen wird, dürfte derweil großen Einfluss auf die Aussichten auf ein zweites Referendum haben. "Es ist alles andere als klar, dass der Brexit zwangsläufig zu einer stärkeren Unterstützung der schottischen Unabhängigkeit führt. Was mehr zählen wird, ist ob die Wirtschaft in Schieflage gerät", sagt John Curtice, Politikprofessor an der Strathclyde University in Glasgow.

Der Brexit könnte aber etwas anderes bringen: Er könnte den Wählern den schottischen Nationalismus schmackhaft machen, die 2014 zwar noch die Unionisten unterstützen, andererseits aber den Verbleib in der Europäischen Union befürworten.

"Die Unabhängigkeit mag noch keine Mehrheit haben", kommentierte der Journalist Chris Deerin im vergangenen Monat. Aber für viele Wähler sei sie inzwischen keineswegs mehr "undenkbar". "Das politische Gespräch in Schottland ist fast komplett von dem in Westminster abgekoppelt. Die langfristigen Konsequenzen dieser Entwicklung könnten von Vorteil für die SNP sein."

Schottlands Wahrzeichen: Edinburgh Castle