1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Revolutionär aus dem Regenwald

Astrid Prange22. Dezember 2013

Er kämpfte für den Erhalt des Regenwaldes und zahlte dafür mit seinem Leben. 25 Jahre nach dem Tod des Gummizapfers Chico Mendes geht die Suche nach der "richtigen Nutzung" des Amazonas weiter.

https://p.dw.com/p/1Ae9q
Chico Mendes
Bild: AFP/Getty Images

Hier die Guten, dort die Bösen. Zu Lebzeiten des brasilianischen Umweltschützers Chico Mendes standen sich Kautschuksammler und Viehzüchter am Amazonas unversöhnlich gegenüber. Doch mittlerweile züchten auch Gummizapfer Rinder. Denn von der Latexprodduktion allein können sie nicht mehr überleben.

"Chico Mendes hat politisch ein Erdbeben ausgelöst", erklärt Karl-Heinz Stecher, Wald- und Klimaschutzexperte der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). "Er hat gemerkt, dass es nichts bringt, eine Mauer um den Amazonas zu ziehen, um ihn zu schützen. Es geht darum, Einkommen zu schaffen mit den Früchten des Waldes". Durch diesen Paradigmenwechsel, so Stecher, habe Mendes die internationale Umweltpolitik neu ausgerichtet.

Stecher wurde am 15. Dezember als erster Deutscher mit dem Chico Mendes Preis ausgezeichnet, der alljährlich vom brasilianischen Bundesstaat Acre vergeben wird. Der Klimaschutzexperte der KfW setzt sich in der Heimat von Chico Mendes für den Erhalt von dessen politischen Vermächtnis ein. Die KfW gehört dort zu den langjährigen internationalen Unterstützern von Projekten zur nachhaltigen Nutzung des Regenwaldes.

Revolution im Regenwald

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Die Abholzungsrate in Acre ging zwischen August 2012 und Juli 2013 um 35 Prozent zurück. Und dies, obwohl sie im gesamten Amazonasgebiet im gleichen Zeitraum gegenüber dem Vorjahr um 27,8 Prozent anstieg. Nach Angaben des brasilianischen Instituts für Raumfahrtstudien (Inpe) wurden in der Amazonas-Region im selben Zeitraum 5843 Quadratkilometer Wald vernichtet, im Bundesstaat Acre waren es 192 Quadratkilometer.

"Wenn es nicht das Reservat Chico Mendes gäbe, stünde in einem großen Teil Acres kein Wald mehr", meint Silvana Lessa. Sie leitet des 9315 Quadratkilometer große Gebiet, das als so genanntes Sammlerreservat für den Schutz der Kautschuksammler ausgewiesen wurde. Lessa liebt ihren Job. "Es geht den Gummizapfern besser als vor 20 Jahren", erklärt sie. "Jeder Bewohner hat sein Motorrad, aber er geht trotzdem weiter in den Wald und zapft Latex."

Der brasilianische Bundesstaat Acre

Vor genau 25 Jahren, am 22. Dezember 1988, wurde der Gummizapfer und Gewerkschafter Chico Mendes von über seinen Aktivismus verärgerten Großgrundbesitzern erschossen. Doch Mendes Engagement hatte sich bezahlt gemacht: Zwei Jahre später wurde das Sammlerreservat im Grenzgebiet zu Peru und Bolivien ausgerufen. Rund 10.000 Menschen leben in dem riesigen Gebiet. Dabei sind die Früchte des Waldes längst nicht mehr ihre einzige Einkommensquelle. Mittlerweile grasen auch rund 20.000 Rinder auf den Urwaldlichtungen des Schutzgebietes.

Chico Mendes mit seinen Kindern und seiner Frau Ilzamar in den 80er Jahren in Xapuri (Foto: STR/AFP/Getty Images)
Chico Mendes mit seinen Kindern und seiner Frau Ilzamar in den 80er Jahren in XapuriBild: AFP/Getty Images

Kautschukproduktion bricht ein

"Wenn die Kinder krank sind, geht der Vater in die Stadt und verkauft ein Kalb. Das bringt schnelles Geld", erklärt José Alves da Silva. Er leitet in der kleinen Stadt Xapuri die berühmten Gewerkschaft der Landarbeiter, deren Anführer Chico Mendes einst war. Heute leben nur noch zehn Prozent der Gewerkschaftsmitglieder vom Kautschuk. 80 Prozent betreiben Viehzucht.

Auch José Alves da Silva schöpfte noch bis vor kurzem regelmäßig den weißen Saft der Kautschukbäume ab. Doch weil er niemanden fand, der ihm die Milch abkaufte, gab er auf. im Gegensatz zur Leiterin des Chico Mendes Reservates sieht er für die Latexproduktion in der Region keine Zukunft. "Die Sammelwirtschaft ist gescheitert", lautet seine nüchterne Bilanz. "Die Menschen suchen nach anderen Überlebensformen."

Das wirtschaftliche Umfeld für den Verkauf von Latex ist in der Tat schwierig. Naturkautschukplantagen in Asien und im Süden Brasiliens drücken die Preise. Im Bundesstaat Acre stürzte die Produktion von Naturkautschuk von 12.000 Tonnen im Jahr 1990 auf 470 Tonnen im vergangenen Jahr ab.

Viehzucht auf dem Vormarsch

Im Gegenzug breiten sich Viehzucht und Holzhandel aus. Nach einer Studie der Bundesuniversität von Acre hat sich der Rinderbestand von 800.000 auf drei Millionen Tiere fast vervierfacht. Die Holzproduktion legte im gleichen Zeitraum von 300.000 Kubikmeter auf rund eine Million Kubikmeter im Jahr zu.

Reservatsleiterin Silvana Lessa räumt Defizite ein. "Das Problem ist nicht der Preisverfall beim Naturkautschuk, sondern die riesigen Entfernungen zu den Verkaufsstellen", erklärt sie. Das ganze Geld für den Latex gehe für die Transportkosten drauf. "Natürlich konkurrieren wir mit der Viehzucht, aber im Reservat ist die Sammelwirtschaft weiterhin Lebensgrundlage", stellt Lessa klar.

Um die rund 2000 Familien in dem Sammlerreservat zu unterstützen will die Landesregierung von Acre die Nachfrage nach Naturkautschuk ankurbeln. In der Kondom-Fabrik in Xapuri sollen künftig auch Gummihandschuhe für medizinische Zwecke hergestellt werden. Außerdem soll eine neue Produktionsstätte für den Export von Naturkautschuk errichtet werden. Dies würde es der Regierung ermöglichen, mehr als den bisher 500 Familien aus dem Schutzgebiet die Abnahme ihres Latex zu garantieren.

Kautschukbaum (Foto: Lanxess)
Massenproduktion: Die Gummizapfer aus dem Amazonas können mit den Erträgen von großen Kautschukplantagen nicht mithaltenBild: Lanxess

"Schutzgebiete sind Konfliktgebiete"

Die Suche nach der "richtigen" Nutzung des Regenwaldes geht also auch 25 Jahre nach dem Tod von Chico Mendes weiter. In den Nachbarländern Peru und Ecuador wird im Amazonasgebiet bereits nach Erdöl gebohrt. Auch in Brasilien gehört die Suche nach Bodenschätzen sowie der Bau von Häfen, Straßen und Staudämmen zur offiziellen Entwicklungsstrategie.

Gleichzeitig hat sich Brasiliens Regierung verpflichtet, die Abholzungen und Rodungen in der Amazonasregion bis 2020 um 80 Prozent zu verringern. Zumindest auf dem Papier bleibt damit die Arbeiterpartei PT, die seit zehn Jahren das Land regiert, dem Vermächtnis von Chico Mendes treu, der zu den Gründungsmitgliedern der Arbeiterpartei gehörte.

"Es gibt nur wenige Leute, die heute sagen würden, Naturschutz geht ohne die Menschen, die in der Natur leben", bilanziert Thomas Fatheuer, ehemaliger Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien. "Doch die von Chico Mendes ausgelöste Epochenwende im Naturschutz löst nicht die Probleme jedes einzelnen Schutzgebietes". Fatheuer: "Jedes Schutzgebiet ist Konfliktgebiet."