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Müllentsorger (Hamburg)

27. April 2010

Frühaufstehen macht Stress? Der Hamburger Müllentsorger Michael Speckin ist vom Gegenteil überzeugt. Lebensqualität bedeutet für ihn, morgens Zeit für einen Kaffee, eine Zigarette, ein Schwätzchen zu haben.

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Michael Speckin (Foto: DW)
Michael Speckin

"Es ist egal, ob ich nur eine Stunde schlafe, fünf oder zehn", behauptet Michael Speckin. Jeden Morgen steht er schon um halb sechs auf, um seinen Sohn zu verabschieden. "Und dann gehe ich noch zum Fenster und winke ihm, obwohl er schon 21 ist", fügt der zweifache Vater schmunzelnd hinzu. Die frühen Morgenstunden haben beim Müllentsorger Speckin einen besonders hohen Stellenwert: Auf keinen Fall darf es hektisch werden. Eine Zigarette rauchen, Kaffee trinken und dann gegen sieben bei der Arbeit erscheinen. Man sollte den Tag unbeschwert anfangen, ist der Müllmann überzeugt.

Der Arbeitstag auf dem Recyclinghof beginnt erst um 7:45 Uhr. Dennoch trudeln alle Mitarbeiter schon eine Stunde früher ein. Zusammensitzen, Kaffee trinken, Zigaretten rauchen, letzte Neuigkeiten und Erlebnisse vom Vorabend austauschen - dieses frühe Zusammenkommen sei ein gängiges Ritual unter Müllmännern in ganz Deutschland, erklärt der 47-jährige Speckin. Wer nicht bereit sei, da mitzumachen, der würde nie richtig "dazu" gehören.

"Eine verschworene Männergemeinschaft"

Ein eingespieltes Team (Foto: DW)
Ein eingespieltes TeamBild: DW

Michael Speckin arbeitet seit 1987 bei der Stadtreinigung Hamburg. Bis vor dreieinhalb Jahren fuhr Speckin noch als Müllmann auf dem Müllwagen mit. Dann kamen die Rückenbeschwerden. Nach zwei Operationen wechselte er zum Recycling-Hof. Hier muss Speckin keine schweren Gewichte mehr heben. Seine neue Hauptaufgabe: Er "koordiniert" den Müll, den die Leute vorbeibringen. Ein gutes Dutzend unterschiedlicher Müll-Container steht auf dem Gelände. Alles wird getrennt entsorgt - von Laub über Technik und Möbel bis hin zu Flaschenkorken.

Auf dem Recyclinghof arbeiten nur Männer. "Das hier ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Man ist neun Stunden zusammen, und dann weiß man sehr viel von dem anderen. Ich bin ganz froh, dass wir alleine unter Männern sind. Es gibt vieles, was wir nur unter uns besprechen können."

Literweise Kaffee

Die Kollegen teilen die Arbeit meist wortlos auf: Man schaut, was die anderen tun und was noch offen steht. "Zu Kunden immer freundlich sein", das ist Michael Speckins persönliche Maxime. Vielleicht deswegen kommen manche nicht nur des Mülls wegen. "Viele kommen drei bis vier Mal die Woche mit ein bisschen Müll, wo man merkt, dass sie eigentlich kommen, um ein Schwätzchen zu halten. Das sind oft Rentner", erzählt Speckin.

Die Leute erzählen manchmal Geschichten über ihren Müll: wo sie ihn her haben, wofür sie dieses benutzt haben, warum sie jenes wegschmeißen. Der Müllentsorger schmunzelt, man sei hier auf dem Hof praktisch ein "Halb-Psychologe". Oft kommen auch noch alte Kollegen vorbei, die in Rente gegangen sind, manchmal auch diejenigen, die gerade frei haben. Wer "dazu gehört", wird mit Kaffee bewirtet. Die Müllentsorger trinken Unmengen Kaffee, bei Michael Speckin sind es bis zu 20 Tassen am Tag. Dazu kommen täglich noch etwa 40 Zigaretten. Gelegentlich macht sich der 47-Jährige da Sorgen um seine Gesundheit. Mit dem Rauchen möchte er gerne aufhören - besonders seit sein Onkel an Lungenkrebs gestorben ist.

Ein sicherer Job

Seit seinem 15. Lebensjahr arbeitet Michael Speckin ohne Unterbrechung. Direkt nach der Hauptschule hat er damals im Hafen angefangen. Eigentlich wäre er gerne Automechaniker oder Tischler geworden. Aber erst bekam er keinen Ausbildungsplatz. Später hat er auch so genug Geld verdient und den Gedanken an eine Ausbildung aufgegeben. Mit seinem jetzigen Beruf ist Speckin voll zufrieden: "Im Prinzip ist es ein sehr sicherer Job. Die Stadt kann schwer jemanden entlassen, denn pleite gehen kann sie nicht. Und Müll gibt es auch immer." Das geringe Sozialprestige seiner Arbeit stört ihn nicht. Es perle an ihm ab, wenn jemand sagt:"Mein Gott! Nur Müllmann!", erklärt Speckin und versichert, er sei stolz auf seinen Job.

Vom Abend bis zur letzten Seite

Zigaretten drehen - Vorbereitung auf den nächsten Tag (Foto: DW)
Zigaretten drehen - Vorbereitung auf den nächsten TagBild: DW

Nach der Arbeit geht Michael Speckin auf jeden Fall erst einmal direkt nach Hause. Ein Leben ohne Familie kann sich der 47-Jährige nicht vorstellen - und er hat auch noch nie alleine gelebt: "Ich mag nicht, wenn meine Frau mal nicht zu Hause schläft. Dann kann ich auch nicht schlafen“. Zwei bis drei Mal in der Woche geht Speckin abends in das Fitness-Studio. Ansonsten verbringt er viel Zeit in seinem mit Technik voll gestopften Hobby-Keller.

Dort surft er im Internet und sucht nach Antworten auf Fragen, die ihm tagsüber eingefallen sind. Er beschäftigt sich mit neuen Programmen und repariert gelegentlich Geräte von Verwandten und Bekannten. Abends vertieft sich Michael Speckin gerne in Science-Fiction- und Western-Romane. Seine Lieblingsautoren sind William Shatner und Dan Brown. Dessen 700 Seiten Thriller "Illuminati" hat er an zwei Abenden verschlungen. "Wenn ich ein Buch angefangen habe und es mich gepackt hat, dann muss ich das unbedingt fertig lesen", schmunzelt der Müllentsorger. Dann kann es auch mal passieren, dass er bis drei oder vier Uhr morgens liest. Die restlichen paar Stunden Schlaf reichen ihm für den nächsten Tag ja aus.

Autorin: Olga Sosnytska
Redaktion: Matthias von Hein