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Der Mythos von den Bildungsverlierern

28. März 2011

Die verbreitete These der männlichen Bildungsverlierer ist nicht zutreffend, wie eine neue Studie zeigt. Sozialer Status oder nationale Zugehörigkeit haben demnach mehr Einfluss auf den Bildungserfolg als das Geschlecht.

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Symboldbild: Junge und Mädchen am Laptop (Foto: somenski)
Bild: Fotolia/somenski

Jungen gelten in Deutschland seit einigen Jahren als Bildungsverlierer. In vergleichenden Studien schneiden Schüler regelmäßig schlechter ab als Schülerinnen, besonders beim Lesen und in der Rechtschreibung. Dieses Phänomen beschäftigt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Medien. Reißerisch ist die Rede von "schlauen Mädchen und dummen Jungen" oder von den "armen, benachteiligten Jungs".

Neue und handfestere Studien sollten die teilweise sehr emotionale Debatte nun versachlichen, sagt Anne Jenter, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie fasst das Ergebnis der neuesten Untersuchung zusammen, die Erziehungswissenschaftler Thomas Rieske für die GEW durchführte: "Die benachteiligten Jungen und die erfolgreichen Mädchen gibt es nicht. Die Jungen als Gruppe sind insgesamt keine Bildungsverlierer. Es gibt aber ganz bestimmte Jungen, die im Schulsystem nicht gewinnen, die zum Teil unter die Räder kommen. Und das sind sehr oft Jungen - aber eben auch Mädchen - mit Migrationshintergrund und aus armen Familien."

Andere Faktoren sind ausschlaggebend

Faktoren wie sozialer Status und nationale Zugehörigkeit haben der Studie zufolge deutlich mehr Einfluss auf den Bildungserfolg als das Geschlecht. Ein weiterer Faktor sei die Schulstruktur in Deutschland, betonen viele Experten. Sie diskriminiere per se bestimmte Randgruppen.

Zwar haben Mädchen im Durchschnitt die besseren Noten in der Schule, doch wie sieht es nach Beendigung der Schule aus? "Jungen haben Vorteile beim Übergang von der Schule in den Beruf", sagt der Soziologe Michael Meuser von der Technischen Universität Dortmund. Wenn man sich den weiteren Berufsverlauf anschaue, machten Jungs schneller Karriere als Mädchen. Das gelte allerdings nicht für Jungs, die die Schule mit einem Hauptschulabschluss verließen. Sie hätten schlechtere Berufsmöglichkeiten, weil Jobs in Handwerk und Industrie zunehmend wegbrechen würden.

Kritik an "feminisierten Bildungsinstitutionen" nicht gerechtfertigt

Erziehungswissenschaftler Thomas Rieske kam zu dem Ergebnis, dass die Annahme, der hohe Frauenanteil im Bildungswesen sei für Jungen ein Nachteil, nicht stimme. Lehrerinnen benoteten Jungen nicht schlechter als Mädchen. Der Frauenanteil im Bildungswesen sei ohnehin sehr unterschiedlich: In Kitas arbeiten zu 95 Prozent Frauen, in Grundschulen sind es rund 90 Prozent. Auch an Haupt- und Förderschulen sind Frauen als Lehrkräfte in der Überzahl. An Gymnasien und Berufsschulen aber ist das Verhältnis der Lehrkräfte ausgewogen. Und an Hochschulen gibt es dagegen überwiegend männliche Lehrkräfte.

Weibliche Dominanz gegen fehlende männliche Vorbilder auszuspielen, verschleiert also die Hintergründe für mangelnde Bildungserfolge, die unter anderen wirtschaftlicher Natur sind. Denn die pädagogisch anspruchsvollen und anstrengenden Jobs in Kindertagesstätten und Grundschulen sind vergleichsweise schlecht bezahlt - dort arbeiten in der Mehrzahl Frauen. Je höher jedoch das Gehalt und die Bildungseinrichtung, umso mehr Männer lassen sich dort finden.

Flucht der Männer aus der Erziehung muss Ende haben

Frau vor Schulklasse (Foto: dpa)
Gibt es in Deutschland zu wenige Männer in Lehrberufen?Bild: picture-alliance/ dpa

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wirbt noch aus einem anderen Grund für einen differenzierten Blick auf die Geschlechterverhältnisse in Bildungseinrichtungen. Die Flucht der Männer aus der Erziehung müsse ein Ende haben, sagt Gewerkschafterin Anne Jenter. Männer und Frauen sollten in gleichem Maße Erziehungsverantwortung übernehmen: "Deshalb befürwortet die GEW, dass mindestens 30 Prozent Männer in den pädagogischen Berufen angestrebt werden."

Wichtig sei vor allem, dass diese Männer nicht alte Geschlechterrollen mitbringen, sondern moderne Vorbilder sind, sagt der Soziologe Michael Meuser. Entscheidender Faktor sei die Frage: "Ist der Unterricht interessant? Kann die Lehrkraft mich motivieren?" Und das ist schließlich nicht gebunden an die Geschlechtszugehörigkeit der Unterrichtenden.

Die Sozialdemokratin Caren Marks ist Sprecherin der Arbeitsgruppe Familien, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Für sie geht es nicht darum, dass Frauen jetzt bestimmte Positionen vermehrt innehaben und dass das etwas mit zweifellos vorhandenen Problemen, die manche Jungen haben, zu tun hat: "Sondern es liegt vor allem an den Strukturen unseres Schulsystems, die wir politisch auf den unterschiedlichen Ebenen zu verantworten haben." Das sei ein Thema, dem sich beide Geschlechter gemeinsam stellen müssten.

Autorin: Sabine Ripperger
Redaktion: Kay-Alexander Scholz