1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der lange Arm der Securitate

14. Januar 2010

Die deutschsprachige Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller wurde in ihrer Heimat Rumänien vom Geheimdienst verfolgt. Sie reiste nach Deutschland aus, doch dort ging die Verfolgung weiter.

https://p.dw.com/p/LVVw
Ansicht eines handschriftlichen Protokolls mit dem Stempel der Securitate (Foto: William Totok)
Dokumente aus der Securitate-Akte der Autorin Herta MüllerBild: DW/William Totok

Herta Müller zog 1987 die Konsequenzen aus der Unterdrückung durch das totalitäre Regime des rumänischen Staatschefs Nicolae Ceausescu und reiste nach Deutschland aus. Doch auch dort war sie vor den Spitzeln des rumänischen Geheimdienstes nicht sicher. Denn solche gab es auch in Deutschland, wo sie rumänische Dissidenten bespitzelten. Noch heute leben viele ehemalige Agenten in Deutschland. Jetzt wandte sich Müller mit der Forderung an die Öffentlichkeit, dass die deutschen Behörden gegen diese ermitteln sollen. Deutschland sei für die Spitzel bisher ein "gemütliches Reservat".

"Sie kritisiert und kritisiert wieder, sie kritisiert auf eine so destruktive Weise, dass man sich fragt, was für einen Sinn diese Texte überhaupt haben!?" Mit dieser rhetorischen Schlussfolgerung endet das geheime literarische Gutachten des inoffiziellen Securitatemitarbeiters "Voicu" aus Temeswar. Er übergab seinem Führungsoffizier eine Analyse von Texten, die die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller geschrieben hatte. Diesen Schlüsselsatz zitiert jüngst auch das Fernseh-Politmagazin "Report Mainz", das sich in einer Sendung mit der Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters der rumänischen Geheimpolizei Securitate auseinandersetzt. Der Mann lebt heute als Rentner in der Bundesrepublik.

Vorwurf der staatsfeindlichen Haltung

Porträt der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller (Foto: Ullstein)
Herta Müller im Visier von "Voicu"Bild: ullstein bild - Roth

Die vom Securitate-Mitarbeiter verfasste "literarische Expertise" befasste sich mit dem Prosadebütband Müllers, "Niederungen", der 1982 in Bukarest erschienen war. Zwar war das Buch vor der Veröffentlichung schon von der Zensur in Bukarest zurechtfrisiert worden, dennoch erklärte die Securitate Herta Müller deshalb zu einer Gegnerin: "Herta Müller gehört zu einem Kreis junger deutschsprachiger Schriftsteller", heißt es in einer lakonischen Anmerkung des Führungsoffiziers von "Voicu", "die wegen ihrer staatsfeindlichen Haltung bekannt sind".

Deshalb schlägt der Securitate-Offizier vor, einen "operativen Vorgang," also eine Bespitzelung, gegen Herta Müller zu eröffnen. Der Spitzelbericht von "Voicu" war hierfür der Auslöser, sagt der Historiker und Rumänienkenner Georg Herbstritt von der Birthler-Behörde gegenüber "Report Mainz": "Das war für die Führungsoffiziere der Anlass, eine Akte über Herta Müller zu eröffnen und die Verfolgung einzuleiten."

Vom Täter zum Opfer?

Symbolbild: Schatten eines Mannes mit Schlapphut - schwarz auf weißem Hintergrund
Spitzel kam in Deutschland als Dissident unter

Der rumänien-deutsche Autor Horst Samson erklärte gegenüber "Report Mainz", dass er aufgrund von Schriftproben "Voicu" identifizieren konnte. Es handele sich um seinen ehemaligen Freund, den Schriftsteller und Publizisten Franz-Thomas Schleich. Schleich zählte damals zum Bekanntenkreis Herta Müllers in Rumänien.

Anfang der 80er Jahre stellte er einen Ausreiseantrag und machte im Westen mit regimekritischen Zeitungsartikeln auf sich aufmerksam. Auf Vermittlung des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher durfte er schließlich nach Deutschland ausreisen. Dort stellte er sich als Opfer des Regimes dar. Horst Samson ist sich sicher: "Es ist Franz-Thomas Schleich." Auch Herta Müller hat keinen Zweifel an der wahren Identität des Spitzels: "Ja, Franz Schleich steckt dahinter."

Die Aussagen von Müller und Samson bestätigt auch ein Schriftgutachten, das "Report Mainz" beauftragt hat. Ein Fachmann nahm dazu die handschriftlichen Berichte von "Voicu" unter die Lupe.

Spitzel auch unter Freunden

Ansicht eines maschinengeschriebenen Protokolls mit handschriftlichen Anmerkungen und dem Stempel der Securitate (Foto: William Totok)
Herta Müller findet die Lektüre ihrer Securitate-Akte "äußerst unangenehm"Bild: DW/William Totok

Im Frühjahr 1986 war Schleich aus seinem deutschen Exil erneut nach Rumänien gereist und traf sich dort mit seinem Führungsoffizier. Im Bericht des Offiziers taucht Schleich diesmal unter dem Decknamen "Schneider" auf. Erneut erhielt er den Auftrag, seine Schriftstellerkollegen auszuspionieren und führte den Auftrag sorgfältig aus.

In den Unterlagen wird er von dem Offizier aufgrund seiner früheren operativen Tätigkeit gelobt. Franz Schleich wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. In einer E-Mail an "Report Mainz" schrieb er bloß, es gäbe den Verdacht, die Akten seien von der Securitate manipuliert worden.

Herta Müller betonte, die Lektüre ihrer Akte sei äußerst unangenehm: "Ich habe immer viele Jahre gedacht, im Freundeskreis hätte es keine Spitzel gegeben. Ich habe jetzt gemerkt, dass das nicht so ist. Ja, wenn man Dinge entdeckt, die man nicht für möglich gehalten hat, sind das immer noch einmal Verletzungen." Sie hoffe, dass nun eine Diskussion in Gang komme und Securitate-Mitarbeiter sich erklären müssten. Gegebenenfalls müssten diese auch juristisch zur Verantwortung gezogen werden.

Autor: William Totok

Redaktion: Fabian Schmidt