1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Reportage: Der kubanische Traum von Amerika

Kait Bolongaro Text | Mauro Pimentel Fotos
11. Januar 2017

Erreichen Kubaner die USA, erhalten sie derzeit noch eine dauerhafte Arbeitserlaubnis. Dies steht nun infrage - wegen Obamas Annäherung und wegen Donald Trumps Abschottung. Eine Reportage aus Panama und Havanna.

https://p.dw.com/p/2VdTy
Kubaner, Trump und die US-Annäherung
Bild: Mauro Pimentel

In dem Hof hinter einer orangen Baracke in Panama-Stadt ist eine Gruppe Kubaner damit beschäftigt, eine Party vorzubereiten. Blanca Téllez González sitzt auf einem Gartenstuhl aus Plastik, ein Frisör färbt ihr die Haare für den Abend: "Ich bin zwar auf Reisen, aber deshalb muss ich doch mein Äußeres nicht vernachlässigen", sagt die 32-Jährige. "Außerdem wartet mein Freund in den USA auf mich." Vor ein paar Tagen erst ist Téllez González hier angekommen, nachdem sie den Dschungel im Süden des Landes durchquert hat.

Wie Millionen anderer Latinos machen sich auch Kubaner auf den beschwerlichen Weg, um die USA zu erreichen - in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch als einzige erwartet Kubaner in den USA ein beschleunigtes Asylverfahren. Der "Cuban Adjustment Act" von 1966 gesteht Neuankömmlingen eine Arbeitserlaubnis und Sozialhilfen zu. Nach einem Jahr im Land können Kubaner sogar eine dauerhafte Arbeits- und Bleibeerlaubnis beantragen.

Kubaner, Trump und die US-Annäherung
Blanca Téllez González will zu ihrem Freund in die USABild: Mauro Pimentel

Obwohl zwischen Kuba und Florida nur 78 Seemeilen liegen, 144 Kilometer, wählen viele Kubaner den Weg durch Mittelamerika. Denn wer auf dem Boot abgefangen wird, muss zurück nach Kuba. Getreu der "Wet feet, dry feet"-Politik dürfen nur Kubaner Asyl beantragen, die aus eigener Kraft US-Boden erreicht haben.

Immerhin: Mehr als 46.000 Kubaner haben das laut PEW Research Center zwischen Oktober 2015 und August 2016 geschafft. Es ist die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten, und in jedem dieser zehn Monaten waren es durchschnittlich gut 1000 mehr als in jedem der zwölf vorangegangenen.

Immigrationsprivileg - wie lange noch?

Doch seitdem die Beziehungen mit der offiziellen Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen unter US-Präsident Barack Obama und nach dem Tod des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro wieder aufleben, droht der kubanerfreundlichen Immigrationspolitik das Ende.

Dass der kommende US-Präsident Donald Trump diese Annäherung weiterverfolgen wird, gilt zwar als unwahrscheinlich. Doch das muss keineswegs bedeuten, dass er die Einreiseprivilegien beibehalten will, schließlich steht er nicht nur dem kommunistischen Kuba, sondern auch der Einwanderung deutlich kritischer gegenüber als sein Vorgänger Obama. Auswanderungswillige Kubaner fürchten deshalb, dass Trump sowohl den Lockerungen des Handelsembargos als auch den Immigrationsprivilegien der Kubaner ein Ende setzen wird.

Gelassenheit statt Sorge

Unbeeindruckt davon sind viele Kubaner entschlossen, ihren Weg nordwärts fortzusetzen. Und einige sind durchaus zuversichtlich, dass sie auch der neuen Regierung willkommen sein werden. "Kubaner sind der Grund, warum Trump gewählt wurde", sagt Téllez González. "Er wird gar nichts ändern, er wird uns mit offenen Armen empfangen."

54 Prozent der Kubanoamerikaner in Florida haben im November den Republikaner gewählt - doppelt so viele wie andere Latinos in dem Bundesstaat.

Ariel Padrón Gómez steht neben dem improvisierten Haarsalon und raucht eine Zigarette. Er ist seit zwei Monaten unterwegs. In Houston, Texas, hofft der Maschinenbauingenieur einen besseren Job zu bekommen als in seiner Heimat Kuba. Laut einer Studie der Bostoner Marketing-Agentur Rose verdiente ein kubanischer Arbeiter im Jahr 2015 durchschnittlich 687 Kubanische Pesos - also 27 Euro oder 29 US-Dollar - im Monat.

Kubaner, Trump und die US-Annäherung
Tomás Mora trauert Castro nach. Wegen Trump fürchtet er höchstens um andere LatinosBild: Mauro Pimentel

"Die meisten Menschen, die ich auf meinem Weg getroffen habe, sind jung und haben eine Ausbildung: Ärzte, Ingenieure, Krankenpfleger", erzählt der 27-Jährige. "Auf Kuba gibt es für uns keine Möglichkeiten, aber die USA brauchen ausgebildete Immigranten. Trump weiß das."

Angst ja, aber nicht vor Trump

Auch Esmilcy Gómez Camacho, die stolz ist, Kubanerin zu sein, gibt zu, dass sie aus ökonomischen Gründen, nicht wegen politischer Verfolgung in die USA auswandern will: "Als Kubanerin habe ich die Revolution im Blut, aber für meine Kinder will ich ein besseres Leben", sagt die alleinerziehende Mutter, die sich mit ihren beiden Söhnen- 16 und fünf Jahre alt - auf den Weg gemacht hat. Angst vor der Mauer, die Trump mit mexikanischer Finanzierung an der Südgrenze der USA bauen lassen will, hat Gómez Camacho nicht: "Er kann Mexiko nicht zwingen, sie zu bezahlen."

Angeregt diskutieren jetzt alle über den langen Weg durch Mittelamerika, der noch vor ihnen liegt; die Party-Vorbereitungen geraten darüber ins Stocken. Überall müssen sie mit geschlossenen Grenzen rechnen, und selbst wenn sie es über alle fünf Grenzen schaffen, droht ständig die Gefahr, ausgeraubt, entführt, vergewaltigt oder sogar getötet zu werden, bevor sie die US-Grenze erreichen.

"Ich habe mehr Angst vor den Menschenschmugglern als vor Trump", sagt Abraham Ramos Rodríguez, der zu seiner Frau und seiner Tochter in Miami will. "Sie können dir einfach dein Geld wegnehmen oder dich kidnappen, um ein Lösegeld zu erpressen."

Nur ein weiterer US-Präsident

Unterdessen sind in Kuba Zigtausende hin- und hergerissen zwischen Bleiben und Gehen. Tomás Mora hat sein ganzes Leben auf Kuba verbracht. Als Fidel Castro starb, hat der 77-Jährige getrauert. Vor Donald Trump hat er keine Angst: "Kubas Verbündete verlieren eine Wahl nach der anderen, aber Lateinamerika muss zusammenhalten", erklärt der ehemalige Taxifahrer und Musiker. "Kuba ist bereit, vier Jahre lang mit Trump klarzukommen, aber unsere Nachbarn?"

Kubaner, Trump und die US-Annäherung
Andy José träumt davon, als Bauingenieur seine Heimat wieder aufzubauenBild: Mauro Pimentel

Im Viertel Miramar sitzt Andy José am Malecón, der betonierten Uferpromenade, die ganz Havanna vor der Brandung schützt. Der 14-Jährige schwingt seine Angelrute, um Fische anzulocken, die 53 Pesos für einen Köder kann er nicht aufbringen.

Andy José will einmal Bauingenieur werden: "Ich will Häuser entwerfen und bauen und mit meiner Arbeit helfen, die Revolution aufrecht zu erhalten. Wir Kubaner werden Fidel Castros Ideen am Leben erhalten."

Auf der anderen Seite des Hafens, in der Altstadt von Havanna, liegt die berühmte Boxschule Rafael Trejo. Noel Hernández hat sich zum Sparring mit einem Freund getroffen. Anders als viele Kubaner seiner Generation hat der 28-Jährige keine Ambitionen, das Land zu verlassen. "Trump ist nur ein weiterer US-Präsident. Wir stellen uns den USA seit 1959 entgegen, so sind Kubaner", sagt er. "Es ist ja schön, dass die Beziehungen jetzt besser sind, aber wir wissen immer noch nicht, was sie von uns wollen."

Amerikanische Träume in Kuba

Doch nicht jeder will den USA widerstehen. Und vielen ist es nicht egal, dass es mit Trump Änderungen für kubanische Migranten geben und es schwieriger für sie werden könnte, Asyl in den USA zu erhalten. Eduardo Alvarez* plant bereits seine Ausreise. Der Computertechniker will lieber nicht abwarten, bis Trump seine Migrationsagenda durchgesetzt hat: "Ich will Freiheit. Obamas Besuch hat diesen Traum näher gerückt", sagt der 32-Jährige. "Trump ist das schlechteste Szenario für uns."

Ähnlich geht es Daniel Castillo*. Der 14-Jährige interessiert sich zwar nicht für die US-Politik, aber den amerikanischen Traum verfolgt auch er: "Trump ist mir egal, ich will nur weg aus Kuba. Ich sehe hier kein Leben für mich", sagt er mit dem Unbehagen, dass es jemand hören und ihm Probleme machen könnte.

Kubaner, Trump und die US-Annäherung
Noel Hernández: "Wir stellen uns seit 1959 den USA entgegen, Trump ist nur ein weiterer Präsident."Bild: Mauro Pimentel

Während Gloria Morales* an einer staatlichen Verteilstelle auf Fleisch wartet, klagt sie darüber, dass ihre Familie über den ganzen Erdball verstreut ist. "Die 80er und 90er waren sehr hart, aber jetzt geht es Kuba besser", erzählt die ehemalige Lehrerin. Es gebe mehr zu Essen, mehr Freiheit, aber immer noch könne sie ihre Familie nicht besuchen: "Deshalb will ich weg hier." Allerdings ist es ihr zu gefährlich, in einem kleinen Boot über die Straße von Florida überzusetzen oder auf verschlungenen Wegen durch Mittelamerika zu reisen. "Ich bin nicht mehr allzu jung", sagt die 61-Jährige, "deshalb spare ich Geld, um zu gehen."

Eine entschlossene Nation

Zurück in Panama. Marigledys Castro Arrebato gesellt sich zu dem Party-Komitee. Sie ist im zweiten Monat schwanger - mit Fünflingen. Noch vor der Geburt will die 25-Jährige die USA erreichen, damit ihre Kinder US-Bürger werden: "Trump hat gedroht, die Gesetze zu ändern", sagte sie, "deshalb muss ich es rechtzeitig über die Grenze schaffen. Und wenn ich hinüber krabbeln muss."

Die Gruppe macht ihr Mut: "Du schaffst das rechtzeitig", sagt Téllez González. "Selbst wenn er die Mauer baut - das ist eine lange Grenze. Wie soll er so entschlossene Leute wie uns Kubaner aufhalten?"

(*Name geändert)