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Klimawandel am Nordpol

Irene Quaile13. Mai 2008

An keinem anderen Ort zeigt die globale Erwärmung so deutliche Folgen wie in der Arktis. Was aber bedeutet der Klimawandel für Tiere und Pflanzen? Das untersuchen Wissenschaftler aus aller Welt auf Spitzbergen.

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Wissenschaftler bergen fliegende Kamera, Quelle: Deutsche Welle
Arbeiten unter widrigen Bedingungen: Forschung am NordpolBild: DW/ Dr. Irene Quaile-Kersken

Rainer Vockenroth steht am Fuße des "Kongswegengletscher", der eine beeindruckende Länge von etwa 30 Kilometern und eine Höhe von 700 Metern aufweist. Er ist der Leiter der deutsch-französischen Forschungsstation in Ny Alesund und fährt oft zu den Gletschern am hinteren Ende des Fjords. Wissenschaftler aus der ganzen Welt betreiben dort ihre Forschungsprojekte. Mit eigenen Augen lässt sich hier beobachten, wie in der hohen Arktis die Gletscher schmelzen. Vockenroth stapft eingemummt in seinen orangefarbenen Überlebensanzug über das Geröll zurück zum Boot.

Rainer Vockenroth, Leiter der Forschungsstation, Quelle: Alfred-Wegener-Institut
Rainer Vockenroth leitet die deutsch-französische ForschungsstationBild: Alfred-Wegener-Institut

Im Boot sitzt Ron Visser von der niederländischen Universität Groningen. Er ist Algenforscher und hier am Anfang der arktischen Forschungssaison im Frühling aktiv. Bevor die Schmelze einsetzt, ist das zwei Grad kalte Wasser kristallklar. Wie wirken sich die Veränderungen auf die Algen und andere Organismen im Fjord aus, wenn im Frühjahr das Eis schmilzt? Ron deutet auf einen tonfarbenen Strom, der sich vom Land einen Weg in den Fluss bahnt. "Wahrscheinlich Gletscherschmelzwasser", vermutet er. "Das ist offensichtlich Süßwasser, mit vielen Sedimenten, und das wird die Algen im Fjord abdecken." Ein ideales Forschungsgebiet für ihn und seine Kollegen.

Nördlichstes Labor der Welt

An der Forschungsstation in Ny Alesund arbeitet Professor Ulf Karsten von der Universität Rostock im Meeresbiologischen Labor, dem am weitesten nördlich gelegenen der Welt. Auch Karsten ist Algenforscher, sein Spezialgebiet sind lichtempfindliche Mikroalgen auf dem Meeresgrund. "Diese Sedimentmikroalgen sind für den Fjord sehr wichtig, weil sie die Nahrungsgrundlage für Würmer, Schnecken und Muscheln darstellen." Diese Tiere wiederum werden von Fischen gefressen, die ihrerseits die Nahrungsgrundlage von Vögeln sind. "Alle Nahrungsbeziehungen in diesem Fjord hängen letztendlich von diesen Sedimentalgen ab." Bislang ist insbesondere in den Polargewässern relativ wenig über diese Organismen bekannt.

Taucher werden benötigt, um die für die Forschung essentiellen Proben einzubringen. "Die Taucher haben Plexiglaskunsstoffrohre, die sie im Meeresboden richtig einschlagen, dann kann man einen so genannten Sedimentkern herausziehen, und dieser Kern wird dann ins Labor gebracht", erklärt Karsten. Mit besonderen Messsystemen wird im Labor die Photosyntheseaktivität bestimmt, die Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Organismen zulässt.

Kieselalgen: wichtiger Sauerstofflieferant

Taucher in Ny Alesund, Spitzbergen, Quelle: Deutsche Welle
Taucher holen Proben einBild: DW/ Dr. Irene Quaile-Kersken

Ulf Karsten holt einen Sedimentkern, den die Taucher in fünf Meter Wassertiefe gestochen haben, aus dem Kühlraum. Das Plexiglasrohr ist zu einem Drittel mit Schlamm gefüllt. Auf der Oberfläche lässt sich eine bräunliche Schicht ausmachen. Dies spiegelt die Oberfläche des Meeresbodens wider, und die braune Farbe entsteht durch Kieselalgen. Kieselalgen sind weltweit die wichtigste im Meer ansässige Algengruppe. Kieselalgen fixieren Kohlendioxid und produzieren gleichzeitig Sauerstoff. Jedes vierte Sauerstoffmolekül, das von Menschen und Tieren eingeatmet wird, wurde von Kieselalgen produziert. Den Algen kommt als CO2-Speicher und Sauerstofflieferant eine ähnliche Funktion wie den tropischen Regenwäldern zu.

Am Rande des Forschungsdorfs betreiben die niederländischen Biologen Willem van de Po und sein Kollege Ron Visser weitere Experimente am Pier. Auf dem Weg warnen Küstenseeschwalben lautstark davor, ihre Nester, die sie bevorzugt am schneefreien Wegesrand bauen, zu stören. Es gibt aber in arktischen Gegenden auch andere Spezies, denen der nötige Respekt gezollt werden sollte. Für Sicherheit sorgt außerhalb des Dorfes heute Willem mit seinem Gewehr. Zwar scheint gerade kein Eisbär in der Nähe zu sein, dennoch ist Vorsicht angeraten. "Für den Fall, dass sich ein Bär nähern sollte, muss ich ein Gewehr dabei haben, und eine Leuchtpistole."

Problem: Süßwasser

Arktisches Wasser, Quelle: Deutsche Welle
Gletscherwasser: Eine Gefahr für die Meeresalgen?Bild: DW/ Dr. Irene Quaile-Kersken

Ron Visser und sein Kollege Willem untersuchen hier die Auswirkung des schmelzenden Schnees von den Gletschern auf die Lebensgemeinschaften im Fjord. Genau wie Topfpflanzen kein Salzwasser vertragen, bekommt den Algen im Meer das durch die Schneeschmelze entstehende Süßwasser nicht. "Mit den globalen Veränderungen schmilzt mehr Schnee, so dass es mehr Süßwasser gibt und dann weniger Algen", ist Ron Visser besorgt. Welche Auswirkungen das hat, testen sie auf zwei Wegen. Zweimal in der Woche führen die Wissenschaftler Messungen im Fjord durch, um zu sehen, wie weit das Süßwasser in den Fjord vordringt. Zudem simulieren sie die Bedingungen im Fjord in einem Experiment am Pier. In im Fjordwasser gekühlten Flaschen befindet sich Wasser mit unterschiedlicher Salzkonzentration - von den normalen 35 Prozent bis etwa 15 Prozent. Die Flaschen werden vor Sonnenlicht abgeschirmt, "denn das Schmelzwasser vom Gletscher ist nicht nur ohne Salz, es enthält auch viele Sedimente, so dass wir auch das Problem einer Verdunkelung oder Schattierung der Algen haben", erklärt Ron Visser.

Das Abschmelzen der Gletscher hat deutliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen für die in den arktischen Gewässern heimischen Arten. Ändert sich etwas bei den Algen, so hat das Konsequenzen für die Sauerstoffproduktion für die gesamte Nahrungskette. Wie unterscheiden die Wissenschaftler jedoch zwischen natürlichen Änderungen und Auswirkungen eines von Menschen ausgelösten Klimawandels? Dr. Jürgen Laurien vom Alfred Wegener Institut untersucht seit 2001 die Muschelbestände im Kongsfjord. Um stichhaltige Aussagen machen zu können, werden die Wissenschaftler sich noch einige Jahre gedulden müssen, bedauert Laurien. "Letztes Jahr hatten wir z.B. viele kleine Fische dort in dem System, die wir vorher nie beobachtet hatten, aber wir wissen nicht, ob das wirklich am Klimawandel im Moment liegt oder daran, dass wir erst eine relativ kurze Zeitserie haben."

Bunte Artenvielfalt - noch

Meeresforschungslabor, Quelle: Deutsche Welle
Spitzbergen, das nördlichste Meeresforschungslabor der WeltBild: DW/ Dr. Irene Quaile-Kersken

Zurzeit beobachten die Taucher in Ny Alesund eine bunte Artenvielfalt: Die meisten Arten, die den Fjord besiedeln und um Spitzbergen herum gesichtet werden, sind Arten, die es im kalten Wasser gerade noch aushalten. Je wärmer das Gewässer wird, desto einfacher ist es für andere Arten, dort in das System einzuwandern. An die Kälte angepasste Arten können so unter Umständen von den neuen einwandernden Arten verdrängt werden.

Einerseits braucht man über viele Jahre hinweg Daten, um zuverlässige Schlüsse ziehen zu können. Andererseits schreitet die Erderwärmung immer schneller voran. Für Biologen wie Jürgen Laurien und Ulf Carstens bleibt viel Arbeit, um die Artenvielfalt im Kongswegenfjord in Zeiten der globalen Erwärmung zu dokumentieren. "Die Polargebiete sind bisher einfach aus logistischen Gründen vernachlässigt worden." Die schwierigen Bedingungen in der Arktis und der Antarktis schreckten viele vor einer entsprechenden Forschung ab. Im Labor in Ny Alesund wird diese unterstützt. Die polaren Gebiete reagieren besonders intensiv auf globale Veränderung. Ulf Carstens: "Wenn es zu Veränderungen kommt auf der Erde, dann merken wir es zunächst in der Arktis und in der Antarktis."