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Katholikentag: Der Kanzler und die Politik

27. Mai 2022

Beim Deutschen Katholikentag 2022 dominieren Politiker von Rot und Grün. Vertreter der Unionsparteien tauchen kaum auf. Eines eint sie: Der nachdenkliche Blick auf den Zustand der Kirche. Aus Stuttgart Christoph Strack.

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Deutschland | Katholikentag in Stuttgart | Olaf Scholz
Bild: Andreas Gebert/REUTERS

Kaum hat Olaf Scholz den nur schwach erleuchteten Beethoven-Saal der Stuttgarter Liederhalle betreten, da brandet Beifall auf. Noch singt die musikalische Vorgruppe auf der Bühne tapfer von Liebe und Menschsein. Momente später ist Kanzlerzeit.

Deutscher Katholikentag I Kanzlerin Angela Merkel beim Katholikentag 2008 in Osnabrück
Im Zentrum: Kanzlerin Angela Merkel beim Katholikentag 2008 in OsnabrückBild: Ingo Wagner/dpa/picture alliance

Es ist fast schon eine Tradition beim Katholikentag ebenso wie beim Evangelischen Kirchentag, dass jeweils am Freitag der Regierungschef vorbeischaut. Angela Merkel nahm seit 2004, damals noch als Oppositionsführerin, geradezu treu an den kirchlichen Großtreffen teil. Spätestens seit der Entscheidung 2015, hunderttausende Flüchtlinge ins Land zu lassen, wurde die Protestantin bei ihren Stippvisiten geradezu gefeiert. Stets hatte die CDU-Politikerin ihre Teilnahme über Monate vorbereiten lassen: So wollte sie am liebsten mit einem Gast aus einem nicht-europäischen Kontext auf der Bühne sitzen, gerne sollte dies eine Frau sein, und immer ging es konsequent um ein Sachthema.

Der Kanzler orientiert sich an der Kanzlerin

Jetzt ist alles anders bei diesem Katholikentag in Stuttgart, nach so vielen Jahren mit Angela Merkel, mit den Sorgen der Corona-Pandemie und in Zeiten des schrecklichen Krieges. Und doch: Manches an den einleitenden Worten von Olaf Scholz ähnelt einer Merkel-Rede. Auch bei ihm finden sich prägnante Sätze, die den Rest des Tages in den Fernsehnachrichten laufen können. Und es gibt weiterhin die Würdigung von ehrenamtlichem Engagement in Kirche und Gesellschaft. "Vielen Dank dafür", sagt Scholz, nachdem er die Aufnahme von bislang rund 800.000 Ukrainerinnen und Ukrainern anspricht und die Bereitstellung kirchlicher Gebäude, die Spenden, den ehrenamtliche Einsatz für Geflüchtete.

Scholz redet über die Zeitenwende und den bösen Krieg von Putin. "Dieser Krieg", sagt er, "richtet sich nicht allein gegen die Ukraine, sondern gegen Werte und Überzeugungen, die uns als Gesellschaft in Europa prägen und ausmachen: Demokratie, Freiheit und Menschenwürde."

Die SPD ist auffallend präsent

Und in einer menschlichen Szene setzt der Kanzler eine Pointe, die auch Merkel hätte einfallen können. Da stehen nach gut 30 Minuten zwei Gehörlose aus den ersten Reihen auf, entnervt, weil sie der Debatte mit Scholz nicht folgen konnten. "Das ist schade", sagt der Kanzler trocken. "Es zeigt noch einmal: Teilhabe muss überall organisiert werden." Gebärdendolmetscher fehlen im Beethoven-Saal. 

Deutscher Katholikentag in Stuttgart, Kanzler Olaf Scholz
Zugewandt: Kanzler Olaf Scholz besucht auch Info-Stände beim KatholikentagBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Scholz war in dieser Woche schon im Senegal und in Niger, in Südafrika und der Schweiz. Aber nach der gut 60-minütigen Debatte mit der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, und der Schriftstellerin Nora Bossong, findet er noch Zeit, um in den Straßen von Stuttgart an den Informationsständen der ukrainischen Katholiken und des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) vorbeizuschauen.

Auffallend ist: Die SPD, nun in Regierungsverantwortung, ist präsent wie lange nicht bei einem Katholikentag. Neben Kanzler Scholz sind da unter anderen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (die von ihrem Aufstieg als Hauptschülerin erzählte), Generalsekretär Kevin Kühnert, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, Entwicklungsministerin Svenja Schulze, der Fraktionschef im Bundestag Rolf Mützenich und Wolfgang Thierse, der prominenteste Katholik der Partei. Dazu Staatssekretärinnen und Abgeordnete. Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist in Stuttgart. Ihre Mahnung, die Kirche angesichts der Skandale um sexualisierte Gewalt radikal zu erneuern, würden wohl die meisten beteiligten Politiker unterschreiben.

Deutscher Katholikentag in Stuttgart, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
Gelassen: SPD-Generalsekretär Kevin KühnertBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Und es ist schon bemerkenswert, wie ruhig der einst klassenkämpferisch geprägte Kühnert mit Bischof Georg Bätzing und anderen über die Krise der Kirche spricht und fast therapeutisch klingt. Kirche müsse aus der dauernden "Selbstbeschäftigung" herauskommen. "Ich würde dieser Kirche gerne zuhören", so der SPD-Generalsekretär. In Deutschland zeige sich das Problem, dass die Menschen "nicht an die Amtskirche glauben". 

Absage von Merz - Applaus für Kramp-Karrenbauer 

Die Vielzahl prominenter Sozialdemokraten fällt besonders angesichts der schwachen Präsenz der Unionsparteien auf. Kein Parteichef von CDU oder CSU, kein Generalsekretär, keiner der 16 Landesvorsitzenden ist Stuttgart. Friedrich Merz wurde nach DW-Informationen eigens angefragt. Aber nein. Erfahrene Organisatoren der Katholikentage rätseln über das Ausmaß der Nicht-Präsenz. Denn das "C" im Parteinamen steht für "christlich" und wird bei ähnlichen Gelegenheiten gern hoch besungen. Bei kleineren Veranstaltungen treten lediglich die früheren Bundesminister Annegret Kramp-Karrenbauer und Thomas de Maiziere auf. Als die Ex-Verteidigungsministerin bei einer Debatte mit den Militärbischöfen und dem leitenden jüdischen Militärrabbiner als Rednerin begrüßt wird, bekommt sie kräftigen Beifall.

Und ähnlich wie die SPD schicken die Grünen zahlreiche Parteigrößen nach Stuttgart. Zwar sind weder Außenministerin Annalena Baerbock noch ihr Kollege im Wirtschaftsressort, Robert Habeck präsent. Aber neben Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann beteiligen sich Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Parteichefin Ricarda Lang, Bundestags-Fraktionschefin Britta Hasselmann. Und der 74-jährige Katholik Kretschmann ist geradezu dauerpräsent. Bei ihm kann es auch mal passieren, dass er bei einem Bibelzitat auf den griechischen Originaltext verweist.

Vom kleineren Koalitionspartner beteiligt sich eine Ministerin, Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, an einer Debatte über Künstliche Intelligenz. Von der Linkspartei ist Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau mit einer Bibelarbeit dabei. AfD-Vertreter sind, anders als beim Katholikentag 2018 in Münster, diesmal gar nicht mehr zu sehen.

Die großen Parteien, die politischen Stiftungen von CDU/CSU, die SPD und Grüne, laden am Rande der Christentreffen an einem Abend zum Empfang. Gelegenheit für Getränke und Gespräche. Die FDP hatte sich vor 15 Jahren ein, zwei Mal mit einer solchen Variante des lockeren Netzwerkens versucht. Aber dabei blieb es.

Die Parteien haben den Kirchenschwund im Blick

Beim Abend der Union führt einleitend der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert das Wort, der heute die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung leitet. Er benennt ausdrücklich einen Aspekt, den gewiss alle Parteien im Blick haben. Erstmals sei in diesem Jahr eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. Nach seinem Eindruck, so Lammert, träten "zunehmend" auch Gläubige, die eigentlich eine Bindung zur Kirche hätten, den Rückzug an. Das zeigt, dass gerade die Parteizentralen und Stiftungen darauf schauen, welche gesellschaftliche Rolle die Kirchen spielen - oder noch spielen.