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Der Kampf um Montenegros wilde Flüsse

Lucy Sherriff Montenegro
23. Oktober 2019

Überall im Balkanstaat Montenegro entstehen kleine Wasserkraftwerke. Für die Regierung gehört das zur Initiative für mehr Erneuerbare Energien. Umweltaktivisten und Bewohner sehen darin die Zerstörung ihrer "Lebensader."

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Aktivisten mit Protest-Bannern stehen auf einer Brücke über den Fluss Bukovica
Bild: Aleksandar Dragićević

Der Fluss Bukovica im Norden Montenegros ist so sauber, dass man einen Becher ins eiskalte Wasser tauchen und direkt davon trinken kann. Der Fluss ist nicht nur das Herzstück für die umliegenden Gemeinden, sondern auch Lebensraum für eine einzigartige, endemische Forellenart und eine Blume, die so heißt wie der Fluss.

Montenegro ist ein kleines, bergiges Land auf dem Balkan und bekannt für seine wilden Flüsse, die frei fließen können, ganz ohne Dämme oder andere Bauwerke. Eine Seltenheit, die jetzt bedroht ist, denn überall in der Region schießen Klein-Wasserkraftwerke aus dem Boden. Sie werden von privaten Firmen gebaut, mit Hilfe von staatlichen Subventionen. Seit 2013 sind in Montenegro 14 Anlagen entstanden, 55 weitere sind geplant. Nach Meinung der Regierung sollen sie bei der Umstellung auf Erneuerbare Energie helfen.

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Doch junge Aktivisten machen dagegen mobil. Sie sagen, die Mini-Kraftwerke hinterlassen irreparable Schäden an den Flüssen mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna.

"Jugendbewegungen spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Organisation von Protesten geht und den Schutz von Flüssen von Montenegro bis Serbien", sagt Dragana Mileusnic, die bei The Nature Conservancy für Südost-Europa zuständig ist. "Wir sehen jeden Tag neue Beispiele für diese Bewegung, an zahlreichen Klein-Wasserkraft-Projekten über den Balkan verteilt."

In einem Staat mit 620.000 Einwohnern können selbst kleine Jugendbewegungen einen großen Einfluss haben, stellt auch Aktivist Aleksandar Dragićević fest. Er beteiligt sich am Kampf gegen ein Mini-Wasserkraftwerk in einer kleinen Gemeinde unweit des Flusses Bukovica. Dieser war über acht Kilometer kanalisiert worden und hat ein steiniges Flussbett hinterlassen - wo einst kristallklares Wasser floss.

"Menschen mit ihren Rindern und Schafen sind auf diesen Fluss angewiesen, um den Tieren Wasser zu geben, um sie am Leben zu halten", sagt der 31-jährige Dragićević. "Die Menschen schwimmen in diesem Fluss, sie sind mit ihm aufgewachsen, gehen hier fischen. Für sie ist es so, als ob jemand gekommen wäre, um wegzunehmen, was ihnen gehört, und es gehört tatsächlich ihnen."

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Ein Klein-Wasserkraftwerk an einem Fluss
Klein-Wasserkraftwerke, wie hier am Fluss Zeta, haben Fischarten bei ihrer Wanderung flussabwärts gestörtBild: Lucy Sherriff

Weit abgelegene Proteste

Die Kommune Šavnik liegt eingebettet zwischen schroffen Bergen, gleich neben dem Nationalpark Durmitor im Nordwesten Montenegros. Dort leben in der kleinen Ortschaft Bukovica 200 Menschen, während der verschneiten Wintermonate oft sogar noch weniger.

Im Mai dieses Jahres trafen, völlig überraschend für die Dorfbewohner, Bauarbeiter und zwei Bagger ein und ein kleines Büro wurde eingerichtet. Sie gehörten zur Firma Hydra MNE, einem neuen, kleinen Energieversorger.

In einer Umfrage der Regierung hatten sich zuvor 98 Prozent der Bewohner gegen den Bau einer solchen Anlage ausgesprochen, für die es keine Umweltverträglichkeitsprüfung gab.

Trotzdem bekam die Firma vom Staat die Erlaubnis, mit den Arbeiten zu beginnen. Bäume wurden gefällt, um den Weg zum Fluss freizumachen.

Die Einwohner protestierten. Sie legten Geld für einen Anwalt zusammen, um die Genehmigung anzufechten. Doch die Regierung wies alle Klagen ab, erinnert sich Dragićević. Er ist Mitglied der Nichtregierungsorganisation Coalition for Sustainable Development (CSD) und hat bereits gegen etliche Wasserkraftwerke gekämpft.

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Gemeinden aus der Umgebung schlossen sich an. Von Dragićević wachgerüttelt, kamen hunderte Demonstranten, banden sich an Baumaschinen fest und campierten vor den Bauarbeitern, um zu verhindern, dass noch mehr Wald niedergewalzt wurde.

"Sie haben sich im Schichtsystem abgewechselt, immer 10 bis 15 Leute gleichzeitig, und das über sechs Wochen [von Mai bis Juni 2019], bis der Wirtschaftsminister vorbeikam und versprach, dass die Maschinen ihre Arbeit nicht mehr aufnehmen, bis die Regierung den Fall geprüft habe", sagt Dragićević.

Junge Menschen nehmen den Kampf auf

Dragićević ist nur einer von vielen jungen Menschen in Montenegro, die sich für die Umwelt einsetzen - einem Land, das viele Jüngere verlassen, weil sie keine Arbeit finden.

In Kosovo und Montenegro haben 8 von 10 jüngeren Beschäftigten nur Zeitverträge. Laut Weltbank liegt die Jugendarbeitslosigkeit auf dem Balkan bei 35 Prozent.

Ein Fluss in einem Wald
Private Investoren wollen ein Wasserkraftwerk am Fluss Bukovica bauenBild: Lucy Sherriff

Milovan Marković ist 23 Jahre alt und kommt aus Montenegro. Eigentlich wollte er ein eigenes Weingut gründen, stattdessen zog er in die Hauptstadt Podgorica, um einen Job zu suchen. Wichtig war für ihn, dass er für "eine gute Sache" arbeitet. Bei der Non-Profit-Organisation Ozon, die sich auf Umweltkampagnen spezialisiert hat, wurde er fündig.

"Wenn junge Menschen in Montenegro bleiben wollen, müssen wir für unser Land kämpfen", sagt Marković. "Viele meiner Freunde sind gegangen, da sie im Ausland mehr Geld verdienen können. Ich denke, wenn es hier mehr junge Menschen geben würde, könnten wir besser kämpfen."

Marković sagt, dass die Organisation es den Leuten leicht machen will, sich zu engagieren. Deshalb gibt es Vorführungen, Comedy Shows und Tanzveranstaltungen, um das Bewusstsein für Umweltthemen zu schärfen. Ozon ermutigt die Jugendlichen auch, Initiativen in Schulen zu starten.

Manchmal inspirieren junge Aktivisten auch ältere Menschen.

"Am Fluss Bukovica mobilisierten ein paar junge Aktivisten ältere Menschen in der Gemeinde. Gemeinsam hinderten sie die Maschinen daran, ihren Fluss zu zerstören - ihre Lebensader", sagt Mileusnics von The Nature Conservancy.

Kämpfen für die Zukunft

Die Bauarbeiten für das Wasserkraftwerk an dem 42 Kilometer langen Fluss Bukovica wurden erst mal unterbrochen - endgültig gestoppt wurden sie nicht. Auch die Bagger und das kleine Büro sind noch vorhanden, ein pinkes Absperrband flattert im Wind.

Und obwohl die Arbeit stillsteht, sind Mitarbeiter der Firma zurückgekehrt und haben Bäume markiert. Die Bewohner vermuten, dass sie gefällt werden sollen, um die Straße zum Fluss fertigzustellen. Die Regierung sagt, sie prüfe die Dokumente für das Bauprojekt, was einige Zeit dauern würde.

Dragićević sagt, der Staat ist rückständig und Geld steht an erster Stelle, vor der Natur. "Wir haben ein Sprichwort: Eine Kuh für ein Kilo Fleisch schlachten. Das bedeutet, dass der kurzfristige Nutzen wichtiger ist als der langfristige", erklärt der Aktivist.

Zwei Männer unterhalten sich in einer Küche
Aleksander Dragićević (rechts im Bild) unterhält sich mit einem Einheimischen in einer kleinen Hütte in BukovicaBild: Lucy Sherriff

Die Flüsse zu schützen, sei "wichtig" für die Regierung, sagt Momčilo Blagojević, Generaldirektor der Abteilung Wasserwirtschaft. Das Ressort überwacht die Wasserversorgung Montenegros.

"Es ist Teil der Verfassung, die Umwelt zu schützen. Deshalb ist alles, was die Regierung tut, auf den Schutz der Flüsse und den Aufbau einer guten Wasserwirtschaft ausgerichtet."

Einen Kommentar zu den endemischen Fischarten lehnte er ab, ebenso zu der Frage, welchen Einfluss die Klein-Wasserkraftwerke auf die Flüsse haben. Er sagt, seine Abteilung habe nicht den Überblick über lokale Flüsse, den haben die lokalen Behörden.

Für die jungen Aktivisten wird der Kampf um diese Flüsse, für zukünftige Generationen, weitergehen.

"Wir werden diese Flüsse brauchen, unsere Kinder werden sie brauchen und deren Kinder ebenfalls", sagt Dragićević. "Wir sind hier, um für die Flüsse zu kämpfen und wir gehen nicht weg."

Auch die Firma Hydra MNE wurde um Stellungnahme gebeten, bis heute hat sie nicht geantwortet.