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30 Jahre Nicaragua-Kaffee

19. März 2010

Der Nicaragua-Kaffee wurde im Frühjahr 1980 erstmals in Deutschland verkauft. Um gegen die große Fairtrade-Konkurrenz zu bestehen, musste die "Sandino-Dröhnung" vor allem eines ändern: ihren Geschmack.

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Der Nicaragua-Kaffee der Gepa
Kaffee-Nostalgie: Der Nicaragua-Kaffee in Retro-VerpackungBild: GEPA

Es riecht nach Kaffee bei Hans Jürgen Wozniak. Vor ihm auf dem runden Tisch stehen Plastikschälchen mit grünen Kaffeebohnen. Hier bei der Gepa, in Wuppertal, entscheidet der Kaffeetester, ob das Fairtrade-Unternehmen die Bohnen kauft. Dafür begutachtet Hans Jürgen Wozniak die Kaffeebohnen und notiert auf seiner Checkliste ihren Geruch, ihre Farbe und die Feuchtigkeit. Schließlich drückt er auf einen Knopf, fünf kleine Kupfertrommeln beginnen, sich langsam zu drehen. Der Kaffeeverkoster füllt die Bohnen in die Trommeln. Darin rösten sie bei hoher Temperatur, bis sie ihre tiefbraune Farbe bekommen.

Ein Anfang mit Magendrücken

Als der Nicaragua-Kaffee vor 30 Jahren das erste Mal über die Ladentheke ging, war das kein Hochgenuss. "Der war teilweise sauer, er war bitter, da waren auch ranzige Bohnen drin", erinnert sich Hans Jürgen Wozniak. "Viele haben sogar gesagt, der hätte Magendrücken verursacht."

Kleinbauern in Nicaragua trocknen die Kaffeebohnen nach der Ernte in der Sonne.
Kleinbauern in Nicaragua trocknen die Kaffeebohnen nach der Ernte in der SonneBild: GEPA

Die Gepa, deren Gesellschafter Kirchen und Entwicklungshilfeorganisationen sind, importiert und vertreibt den Kaffee aus Nicaragua. Professionalität und Geschmack standen in den Achtziger Jahren nicht im Vordergrund. Hans Jürgen Wozniak sagt, das Unternehmen machte damals einige Fehler. "Es gab niemanden hier im Haus, der dem Handelspartner sagen konnte, welche Qualitäten der Markt braucht. Und der Handelspartner wusste es selber auch nicht." So passierte es, dass die Kaffeelieferungen nicht immer marktgerecht waren.

Politik war wichtiger als Geschmack

Aber gut schmecken – das brauchte der Nicaragua-Kaffee zu dieser Zeit nicht. Denn seine Fans in den Achtzigern tranken ihn nicht aus purem Genuss, sondern aus Solidarität mit den aufständischen Sandinisten in Nicaragua. Die Sandinisten stürzten 1979 den Diktator Somoza. Bei der anschließenden Landreform erhielten die Kleinbauern in Nicaragua Zugang zu Grund und Boden, der vor der Revolution in den Händen weniger Großgrundbesitzer war.

Eine Kaffeebäuerin auf ihrer Plantage.
Für fair gehandelten Kaffee bekommen die Kleinbauern einen FestpreisBild: GEPA

Kurz darauf reiste zum ersten Mal ein Mitarbeiter der Gepa nach Nicaragua, um herauszufinden, wie man den Kleinbauern helfen könnte. Die Idee: Fair gehandelter Kaffee. Für den bekommen die Kleinbauern einen festen Preis, der über dem schwankenden Weltmarktpreis liegt. Das deckt nicht nur die Produktionskosten, sondern berücksichtigt auch Lebenshaltungskosten und ermöglicht neue Investitionen.

Fairer Handel trotz Bürgerkrieg

Bald nach dem Sieg der Sandinisten begann in Nicaragua ein zehnjähriger Bürgerkrieg. Das erschwerte den Kaffeehandel, denn die bewaffneten Konflikte spielten sich vor allem in den Kaffee-Anbaugebieten im Norden des Landes ab. Weil Kaffee ein wichtiges Exportgut für die neue Regierung war, wurde um jeden Sack erbittert gekämpft. Noch dazu zwangen niedrige Weltmarktpreise während der Kaffeekrise in den neunziger Jahren viele Kleinbauern dazu, ihren Boden aufzugeben und abhängige Landarbeiter zu werden. Trotz allem ging der faire Handel weiter.

Elmar Schulze-Messing ist von Beginn an in der Solidaritätsbewegung. Seit 19 Jahren verkauft er den Nicaragua-Kaffee im Bonner Weltladen. Für ihn war das damals mehr als bloß Kaffee trinken. "Unser Motto war: Das Land für die, die es bebauten! Es war eine enorme Aufbruchstimmung, da tat sich was." Zwar geschah die Revolution weit entfernt von Deutschland. Doch die Solidaritätsbewegung sah eine neue Chance für die Menschen in Nicaragua, sagt Elmar Schulze-Messing: "Und das wollten wir von hier aus auch unterstützen." Nur ein kleiner Kreis, vor allem Studenten und politisch linke Kreise, tranken den Nicaragua-Kaffee zu dieser Zeit.

"Kaffeetrinken aus purer Solidarität – das ist vorbei"

Kaffeeverkoster Hans Jürgen Wozniak im Kaffeelabor
Im Kaffeelabor prüft Hans Jürgen Wozniak jede BohneBild: GEPA - The Fair Trade Company/A. Fischer

Zurück in Wuppertal, im Labor von Hans Jürgen Wozniak. Hier läuft der Kaffee frisch aufgebrüht aus der Maschine. Der Kaffeetester schlürft fünf Tassen von dieser Sorte. Alle müssen gleich schmecken, sagt der Agraringenieur. Der Nicaragua-Kaffee musste sich gehörig verbessern, um heute noch Erfolg zu haben. Nüchtern stellt Hanes Jürgen Wozniak fest: "Die Zeiten, in denen Kaffee aus purer Solidarität gekauft und getrunken wurde, sind schlicht und ergreifend vorbei."

Mehr Verbraucher sind sich heute bewusst, dass sie für gerechte Preise mit verantwortlich sind, sagt Thomas Speck, Gechäftsführer der Gepa. "Der faire Handel ist breiter geworden und ist im Mainstream angekommen. Der Nicaragua-Kaffee hat dadurch mehr Wettbewerb bekommen."

30 Jahre nach der Geburt des Nicaragua-Kaffees ist fairer Handel kein Randphänomen mehr. Viele große Supermarktketten führen inzwischen Fairtrade-Kaffee, und auch die Weltläden sind nicht mehr so klein, wie sie früher waren. "Verglichen mit 1990 machen wir heute ungefähr den dreifachen Umsatz mit Weltläden", sagt Thomas Speck.

Der Pionier stellt sich der Konkurrenz

Gepa-Geschäftsführer Thomas Speck
"Der Fairtrade-Markt ist breiter geworden": Gepa-Geschäftsführer Thomas SpeckBild: GEPA - The Fair Trade Company//M.Gillert

So musste sich auch der Pionier im fairen Handel, wie Thomas Speck den Nicaragua-Kaffee nennt, der Konkurrenz stellen. Die Bohnen rösten jetzt länger als früher, 16 Minuten lang. Das macht die Produktion teurer, ist aber schonender für den Kaffeetrinker-Magen. Um die Qualität zu überprüfen und zu sichern, richtete die Gepa Anfang der Neunziger ihr Kaffeelabor ein. Seitdem kontrolliert Hans Jürgen Wozniak jede Kaffeebohne. Ist sie zu klein oder schmeckt der Kaffee zu sauer, lehnt er die Lieferung ab. Alles professioneller, alles teurer, dieser Aufwand hat Wirkung gezeigt. Im Juli 1980 verkaufte die Gepa in Deutschland rund 128.000 Päckchen Nicaragua-Kaffee - heute sind es 672.000 Päckchen pro Jahr.

Die Regeln sind strenger geworden, aber auch den Bauern kommt das zugute. Denn nur wenn ihr Kaffee gut schmeckt, verkauft er sich auch gut. "Der Nicaragua-Kaffee hat die Lebensrealität von vielen, vielen Kleinbauernfamilien grundlegend verändert", sagt Geschäftsführer Thomas Speck. Bauern, die ihren Kaffee fair verkaufen, bekommen leichter Kredite. Davon können sie sich Maschinen kaufen, die die Ernte oder die Produktion erleichtern. Die Bauern können sich weiterbilden und ihre Kinder gehen häufiger zur Schule. Als "Bohne der Revolution" hat der Nicaragua-Kaffee heute ausgedient. Aber wenn die Weltmarktpreise wieder in den Keller gehen, wissen die Kleinbauern auch nach 30 Jahren noch: Ihre Existenz ist gesichert.

Autorin: Brigitta Moll

Redaktion: Insa Wrede