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Der grausame Kosmopolit

Mathis Winkler (jad)16. Februar 2006

Wegen der erbarmungslosen Darstellung seines Heimatlandes würden die Deutschen noch immer um die Anerkennung Heinrich Heines streiten, sagt ein englischer Experte. Schade, dabei macht es so Spaß, ihn zu lesen.

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Der Eingang des Heinrich-Heine-Instituts in DüsseldorfBild: Ulrich Otte

DW-WORLD: Warum sollte man heute Heinrich Heine lesen?

Nigel Reeves: Weil er ein solch aufmerksames Auge für politische Wichtigtuerei, für Posen und leere Rhetorik hatte. Er ist ein sehr guter Korrektor um zu verstehen, wie Politik sich selbst präsentiert - in dieser und seiner Welt. Als ein Satiriker war seine Absicht, dem Nützlichen zu dienen, obwohl die heutige Optik Deutschlands in seiner Satire nicht existiert. Es macht auch Spaß ihn zu lesen. Die Literatur, die unterhaltsam ist, überlebt in Deutschland häufig länger - das beste Beispiel ist Charles Dickens. Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass er einer der wenigen deutschen Autoren ist, der wirklich mehr als eine Kultur überbrückte. Thomas Mann tat dies wohl auch, aber viele der großen deutschen Poeten, Schiller, Goethe, waren sehr in ihrer eigenen Welt verwurzelt. Heine wird von manchen wegen seines Engagements in Frankreich als französischer Poet erachtet. Das zeichnet ihn wirklich aus.

Warum denken Sie, ist er in einigen Ländern mehr berühmt als in Deutschland?

Ich denke, dass seine satirischen Bilder über das Leben in Deutschland unangenehm waren. Es gab nicht viele Poeten oder Autoren in Deutschland, die so schneidend in ihrer Beurteilung und Darstellung ihres Heimatlandes waren. Er war sehr oft grausam.

Heine wird oft als Kosmopolit und Europäer bezeichnet. Ist das angemessen?

Er war gegenüber Literatur aus anderen Ländern offen. Frankreich war natürlich die große Liebe, aber er war sehr offen zu Italien, er war ein großer Bewunderer des antiken Griechenlands. Ich denke, dass er in Bezug auf seine Offenheit zu anderen Kulturen ein wahrhaftiger Kosmopolit war, ein intellektueller Kosmopolit. Er könnte sicherlich als Bürger Europas bezeichnet werden.

Was würde Heine über Europa heute denken?

Er würde die witzige Seite daran sehen. Wenn er überhaupt auf die Sachen, die im Europäischen Parlament passieren, seine Aufmerksamkeit richten würde, dann würde er ganz viel Spaß damit haben. Ich denke, dass er unter der Oberfläche auf die Uneinigkeit und Zwiespältigkeit blicken würde. Er würde einen Spaß aus dem Wort "Union" machen. Wenn man an der Oberfläche kratzt, guckt schlussendlich jeder Mitgliedsstaat auf seine Interessen. Das heißt nicht, dass er von der Idee nicht begeistert gewesen wäre. Ich denke, er wäre überzeugt von dem Vorhaben, europäische Länder zusammenzubringen. Er hätte den Niedergang des Nationalismus mit Wohlwollen betrachtet. Er wäre froh darüber, dass wir multilingual leben und frei reisen können. Die positiven Seiten würden in seiner Sicht überwiegen, da bin ich mir sicher.

Nigel Reeves ist Professsor in Germanistik an der Aston University in Birmingham. Er forschte ausführlich über Heine und ist Autor von "Heinrich Heine: Poetry and Politics".