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Drohender Machtverlust Europas

Ralf Bosen17. Juni 2012

Beim G20-Gipfeltreffen wird die Euro-Krise ein zentrales Thema sein. Die EU muss nicht nur ihr Rettungsmanagement erläutern, sondern auch gegen den drohenden Ansehensverlust im Club der Mächtigen ankämpfen.

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EU Flagge auf Pflastersteine StraßeBild: Fotolia/hsa.images

Wenn sich die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer am 18. und 19. Juni in Mexiko zu ihrem Gipfel treffen, dürfte die Euro-Schuldenkrise das beherrschende Thema sein. Die Erwartungen sind hoch. Besonders die globalen Finanzmärkte warten gespannt darauf, ob es den G20 gelingt, Antworten auf die Krise zu finden. Für die hochrangigen EU-Teilnehmer wird es auf dem Gipfel vor allem darum gehen, Handlungsfähigkeit und Geschlossenheit zu beweisen. Denn je länger die Krise in Europa andauert, desto mehr zweifelt der Rest der Welt an der Durchsetzungsfähigkeit Brüssels. Vordergründig geht es beim G20-Treffen um die Finanzkrise, aber hintergründig auch um das Ansehen der ganzen EU. Insgeheim steht die Union als wirtschaftliche und politische Institution im globalen Machtpoker auf dem Prüfstand.

EU als sinkender Stern?

Seit Beginn der Finanzkrise wirke Europa nicht besonders glaubwürdig, urteilt Almut Möller von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" gegenüber der Deutschen Welle. In Gesprächsrunden während ihrer außereuropäischen Auslandsreisen werde "immer wieder der Machtverlust Europas thematisiert." Man stelle die Frage, ob die Europäer die Krise überhaupt bewältigen könnten.  Dieses mangelnde Zutrauen behindere die EU auf wichtigen internationalen Gipfeln, folgert die Wissenschaftlerin. "Wenn schon die Wahrnehmung der Gipfelteilnehmer ist: Der Stern der Europäischen Union ist noch nicht mal aufgegangen, da sinkt er schon", dann habe es die EU schwer, ihre Vorstellungen politisch durchzusetzen.

Almut Möller von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.
Almut Möller wird mit Fragen zum Machtverlust Europas konfrontiertBild: Auswärtige Politik e.V.

Eine weitere Schwierigkeit ist die mangelnde Geschlossenheit der EU. Für das Ausland ist das Interessengewirr zwischen EU-Beschlüssen und der zum Teil gegenläufigen Interessen-Politik einzelner Mitgliedstaaten nur schwer zu entflechten. Im Grunde hat die berühmt gewordene Aussage des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger zu Europa noch immer ihre Berichtigung. Kissinger klagte, er wisse ja nicht, wen er in Europa anrufen müsse, weil Europa eben immer mit vielen statt mit einer Stimme spreche.

Verwirrung bei Nichteuropäern

Geopolitisch wirke die EU nicht als Einheit, kritisiert Professor Ludger Kühnhardt vom "Zentrum für Europäische Integrationsforschung" der Universität Bonn im DW-Interview. "Europa stellt sich in dieser Frage, wie in leider so vielen anderen Fragen, international schlecht dar." Kühnhardt bemängelt, dass Europa beim G20-Gipfel sowohl mit Vertretern der Europäischen Union als auch mit EU-Mitgliedsstaaten vertreten ist. "Für jeden Außenstehenden - besonders für die neuen aufstrebenden Mächte Indonesien, Lateinamerika und Südafrika - ist das ein verwirrendes Erscheinungsbild. Das ist nicht hilfreich, um bei den G20-Gipfel-Teilnehmern den Eindruck eines staatengeeinten Kontinents aufkommen zu lassen." Kühnhardt weist darauf hin, dass Teile der Wissenschaft und der Politik seit Jahren fordern, dass die EU an dem G20-Gipfel mit einer gemeinsamen Repräsentanz und nicht auch durch einzelne Mitgliedsstaaten vertreten sein sollte.

An Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Diskussion nicht spurlos vorübergegangen. Mit einem Appell für ein "Mehr an Europa" trat sie die Flucht nach vorne an und dokumentierte damit indirekt, wie bedrohlich sie die europäische Krise inzwischen einschätzt. Vor deutschen Medienvertretern setzte sie sich nicht nur für eine Fiskalunion ein, die sie bereits mehrfach gefordert hatte. Gut eine Woche vor dem G20-Gipfel sprach sie auch ungewohnt offen davon, eine politische Union voranzutreiben. "Das heißt, wir müssen Schritt für Schritt Kompetenzen an Europa abgeben, Europa auch Kontrollmöglichkeiten einräumen", sagte Merkel. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Flaggen Deutschlands und der EU (Foto: dp )
Angela Merkel will eine politische Union EuropasBild: picture-alliance/dpa

Gemeinsame europäische Lösungen

Den Zeitpunkt ihres Plädoyers wählte die Kanzlerin mit Bedacht. Sie musste aufs Tempo drücken, schließlich stand nicht nur das G20-Treffen bevor, sondern auch die Wahl in Griechenland - und damit die Entscheidung darüber, ob erstmals ein Land die Eurozone verlassen muss. Ende Juni findet zudem der nächste EU-Gipfel statt, auf dem wichtige Weichenstellungen zur Finanzkrise beschlossen werden sollen.

Ein Gruppenfoto der Gipfelteilnehmer (Foto: dapd)
Die G20-Teilnehmer auf dem Gipfel in Cannes im November 2011Bild: dapd

"Ein mehr an Europa ist die richtige Strategie", pflichtet Professor Kühnhardt der Kanzlerin bei. Die Krisenursachen seien allesamt national verschuldet. Deshalb könnten die Lösungen nur gemeinsame europäische sein. Almut Möller von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" sieht eine politische Union ebenfalls positiv. Allerdings ist sie skeptisch, ob dies derzeit auch von allen EU-Staaten angestrebt wird. Vor allem weil eine Union mit der Abgabe von Kompetenzen an Brüssel verbunden wäre: "Wenn man Nationalstaaten unter Druck setzt, sind sie nicht intuitiv bereit, Macht abzugeben. Denn das beschneidet sie in ihren Zuständigkeiten, in ihrer Souveränität und in ihrer Unabhängigkeit". Zudem seien die Nationalstaaten mit der Eurokrise beschäftigt und würden eher nach innen als nach außen schauen.

Selbstbewusstes Auftreten der EU

Um die Märkte ein Stück weit zu beruhigen und den Kritikern der europäischen Idee den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss die EU zunächst auf dem G20-Gipfel ein Zeichen der Geschlossenheit setzen. Aber um in Mexiko zu überzeugen, sei ein selbstbewussteres Auftreten als bisher nötig, sagt Ludger Kühnhardt vom "Zentrum für Europäische Integrationsforschung", denn "Europa macht sich zum Teil schwächer als es ist". Dabei hat die EU seiner Ansicht nach allen Grund, Stärke zu zeigen, sofern sie als wirkliche Gemeinschaft auftritt.

Eine Porträtaufnahme (Foto: privat)
Professor Kühnhardt plädiert für mehr SelbstbewusstseinBild: privat

Als Beispiel nennt er die Handelsbeziehungen mit Afrika: China und die USA hätten jeweils ein Handelsvolumen mit Afrika von 100 Milliarden Dollar, die Staaten der Europäischen Union hätten aber zusammen ein Handelsvolumen von 250 Milliarden Dollar. "Wenn wir unsere Zahlen addieren, sind wir der Stärkste", folgert Kühnhardt. Dies gelte auch in Bezug auf politische Themen. "Wenn Europa nur als Addition von Einzelstaaten wahrgenommen wird, fallen wir logischerweise zurück gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern." Diese hätten eine viel größere und jüngere Bevölkerung, die an Konsum, an Kaufkraft, an Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, an Aufbruch und Fortschritt interessiert sei, während Europa altere. Aber in der Summe, in der Kombination der Potentiale, der Möglichkeiten und auch der gemeinsamen Ausstrahlung sei Europa nach wie vor "neben den USA die wichtigste Gestaltungsmacht auf der Erde. Wir stellen uns nur häufig schlechter dar als wir sind, weil es an einer gemeinsamen Regierung der EU, die tatsächlich diesen Namen verdient, mangelt."