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Große Flut statt Apokalypse

Claudia Euen21. Dezember 2012

Seit Monaten beschwören manche Esoteriker den Weltuntergang. In der Dresdner Staats- und Universitätsbibliothek liegt der Gegenbeweis: die einzige Handschrift der Maya, die im Original einsehbar ist.

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Die Schatzkammer der Dresdner Staats- und Universitätsbibliothek.
Bild: SLUB

Der Beweis dafür, dass die Welt nicht untergeht, liegt hinter einer goldenen, mit Hieroglyphen bemalten, schweren Metalltür. Vom Buchmuseum aus führt diese Tür direkt in die Schatzkammer der Dresdner Staats- und Universitätsbibliothek. Die Wände sind schwarz verhangen, mattes Licht erschwert die Sicht, das Geheimnis schwebt sozusagen in der Luft. In der Schatzkammer werden Schriftstücke aus vielen Jahrhunderten aufbewahrt, zum Beispiel ein fast 4.000 Jahre alter Tonkegel, ein hebräisches Gebetsbuch oder die H-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. In der Mitte des Raumes aber ruht der größte Schatz in einer Glasvitrine – der weltberühmte Maya-Kalender. Er besteht aus einem 3,50 Meter langen Streifen Rindenbastpapier, der zu 39 Blättern gefaltet wurde.

Professor Nikolai Grube (Mitte) erklärt Besuchern der Schatzkammer den Maya-Kalender, Thomas Bürger (l.)
Professor Nikolai Grube (Mitte) und Thomas Bürger (l.) erklären Besuchern den Maya-KalenderBild: SLUB

Die Grundlage der Weltuntergangstheoretiker

In der Kammer ist es kühl und dunkel, um den biologischen Zerfallsprozess hinauszuzögern. Regelmäßig führt Bibliotheksdirektor Thomas Bürger Besucher aus aller Welt hindurch und erklärt ihnen, welche Informationen die sieben Maya-Priester, die den Kalender verfassten, auf den handbreiten Blättern hinterließen. "Es gibt zahlreiche Götterdarstellungen, denn die Maya verehrten Kriegs-, Todes- aber auch Maisgötter", sagt Bürger. "Das Schriftstück ist eine Art Bauernkalender, eine Abschrift des damals gesamten verfügbaren Mayawissens", fügt er hinzu. Die Priester sagten den Menschen Geburten, Sonnenfinsternisse und Regenzeiten voraus.

Am Ende des Kalenders befindet sich ein mit dunkelroter Farbe bemaltes Bild. Darauf ist der Herr der Unterwelt mit Speeren und Schleuder zu sehen, die Göttin Chak Cheel gießt Wasser aus einem tönernen Krug. Auch das Himmelskrokodil, in dem die Maya wahrscheinlich die unterste Schicht des Himmels erkannten, speit einen großen Schwall Wasser. Dieses düstere Szenario ist wohlweislich die Grundlage der Weltuntergangstheoretiker. "Ohne Zweifel aber illustriert die Szene eine große Flut, mit der man alle fünf Jahre rechnete, wenn die Regenzeit mit dem Tag 4 EB des 260-tägigen Ritualkalenders zusammenfiel", schreibt Maya-Fachmann Nikolai Grube in seinem neu erschienen Buch "Der Dresdner Maya-Kalender". Auch Bürger, der an dem Buch mitwirkte, sieht einen viel größeren Zusammenhang. "Man kann aus dieser Handschrift die Lehre ziehen, dass man großen Respekt vor der Natur haben muss. Wir haben jetzt ein Jahrzehnt mit allerhand Fluten und Tsunamis hinter uns. Es zeigt, dass wir die Probleme, die die Maya hatten, gelegentlich von der Natur überrascht zu werden, auch heute haben."

Flutszene und Grundlage für die Weltuntergangstheoretiker - Man sieht ein Himmelskrokodil, was Wasser speit.
Die Flutszene - Grundlage der WeltuntergangstheoretikerBild: SLUB

Glückfall der Geschichte

Es ist ein Glücksfall, dass der Kalender in der Dresdner Bibliothek liegt. Denn die meisten Schriftstücke der um 900 nach Christus untergegangenen Maya-Kultur wurden vernichtet. "Als die Europäer Mexiko eroberten, waren ihnen die Gottheiten der Maya so fremd, dass Bischof Diego de Landa angeordnet hat, alle rund 5.000 Maya-Bücher zu verbrennen", erklärt Bürger. Nur drei Maya-Bücher haben das tropische Klima, die Christianisierung aber auch das Inferno des Zweiten Weltkrieges überlebt: der schwerbeschädigte Codex Peresianus in der Bibliothèque nationale in Paris, der Codex Tro-Cortesianus im Museo de América in Madrid und der Codex Dresdensis. Letzterer ist der Einzige weltweit, der im Original zugänglich ist.

Der Dresdner Kalender stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert, unmittelbar vor der spanischen Eroberung. Ein genaues Datum können Forscher nicht belegen, auch nicht den Weg, auf dem das Schriftstück von Lateinamerika nach Europa gelangte. Überliefert ist, dass es Bibliothekar und Hofkaplan Christian Götze 1739 bei einer Kaufreise nach Wien entdeckte und in die königliche Bibliothek nach Dresden brachte. Erst 100 Jahre später fand man heraus, dass es sich um eine Maya-Handschrift handelt. Der damalige Bibliotheksdirektor Ernst Wilhelm Förstemann entschlüsselte die historische Schrift weitgehend. Den 21.12. 2012 markierte er als wichtiges Datum. An diesem Tag beginnt ein neuer 400-Jahres-Zyklus, der 14. Baktun.

Musikalische Verneigung vor der Maya-Kultur

Die viel beschworene Apokalypse ist nur eine mögliche Lesart. "Ich denke, dass viele Medien die Veränderung der Ära mehr aus finanziellen Gründen benutzen. Für mich ist das eine Profanisierung von etwas wirklich Heiligem und Bedeutsamen für das Volk der Maya", sagt die 19-jährige Sängerin Sara Curruchich. Sie gehört zu den sechs Millionen Nachfahren der Maya, die heute noch in Zentralamerika leben. Eines Tages möchte sie nach Dresden kommen, um sich den Codex anzuschauen. "Die Mayakultur ist bekannt für ihre Weisheit, ihren Respekt und ihre Verbindung zur Natur. Viel von diesem Wissen ist in Vergessenheit geraten. Wir gingen einen besseren Weg, wenn wir wieder dahin zurückfänden", sagt sie.

Maya-Fachmänner Nikolai Grube und Thomas Bürger in der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek
Nikolai Grube und Thomas Bürger in der Sächsischen Staats- und UniversitätsbibliothekBild: SLUB

Am 21. Dezember wird Curruchich dennoch mit Dresden verbunden sein. An diesem Tag spielen Musiker aus ganz Europa ein Konzert direkt in der Dresdner Bibliothek. Zehn vor zwölf wird die Maya-Sängerin live aus Mexiko zugeschaltet. "Es ist toll, so eine geistige Verbindung zu einer anderen Kultur aufzubauen, die eigentlich schon längst untergegangen ist", sagt Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker. Er hat das musikalische Großereignis in die Wege geleitet. "Es war unglaublich schwierig, Musiker zu finden. Die Maya singen kaum noch. Und wenn sie etwas singen, dann eher europäisch oder mexikanisch oder Popmusik." Curruchich aber beweist, dass die Vergangenheit der Maya-Kultur auch durch die junge Generation weitergetragen wird.