Der Deutsche und sein Auto
Deutschen sagt man eine besondere Beziehung zu ihren Autos nach. Schnell sollen sie sein und möglichst immer sauber und glänzend. Dafür wird einiges getan. Am Ende aber wartet doch auf manche Karosse der Autofriedhof.
In der deutschen Sprache gibt es unzählige Synonyme für das Wort „Auto“, „fahrbarer Untersatz“ ist nur eines davon. Je nachdem, was für ein Auto man vor sich hat, nennt man es „Kiste“, „Möhre Möhre, -n (f.) hier umgangssprachlich für: altes, kleines, klappriges Fahrzeug “, „Nuckelpinne Nuckelpinne, -n (f.) umgangssprachlich für: ein sehr langsames Fahrzeug “, „Rakete“, „Rostlaube “ – wobei das nur eine kleine Auswahl ist. Während es für manche wirklich nur ein fahrbarer Untersatz ist, um mobil zu sein und von A nach B zu kommen, bedeutet es für andere deutlich mehr. Zum Beispiel das, was der 27-jährige Matthias formuliert, der sich seinen Traum vom Sportwagen erfüllen konnte:
„Für den Deutschen kommt’s halt auch wirklich drauf an, was ist da unter der Haube. Nicht nur, ob’s schön aussieht, sondern ob’s auch wirklich das hält, was es verspricht. Gibt ja viele kleine aufgemotzte Autos, die trotzdem da mit 40, 45 PS durch die Gegend gondeln, aber mehr passiert da halt nicht.“
Für Matthias ist es wichtig, dass ein Auto hält, was es verspricht, dass nicht nur das Aussehen zählt, sondern auch die Fahrleistung. Denn es gibt auch Leute, die ihre Autos aufmotzen, sie technisch und optisch so aufrüsten, dass sie nach mehr aussehen, aber letztlich nur wenig unter der Haube haben, wenig PS haben. Sie gondeln dann, fahren ganz langsam wie eine Gondel, ein langes venezianisches Boot. Das Auto ist in Deutschland ein Synonym für Lebensqualität, Freiheit, Freizeit und Unabhängigkeit. Das schätzen vor allem die Männer. Wie Freizeitforscher herausgefunden haben, leben sie im Wagen ihren körperlichen Bewegungs- und Betätigungsdrang aus, fahren gern schnell. Das bestätigt auch dieser Autofahrer:
„Wenn frei ist, alles was kommt, bis zum Anschlag. So ’ne angenehme Reisegeschwindigkeit ist so 180 rum. Schilder haben eigentlich in der Regel für mich keine großartige Bedeutung. Ich hab mittlerweile – ich glaub’ – sieben Punkte in Flensburg und alle wegen Geschwindigkeitsüberschreitung.“
Dieser Autofahrer kümmert sich nicht darum, ob auf der Autobahn an manchen Stellen eine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt. Er fährt am liebsten bis zum Anschlag, so schnell, wie es die Motorleistung zulässt. 180 Stundenkilometer ist für ihn entspannend, eine Reisegeschwindigkeit. Kein Wunder, dass er dann schon sieben Punkte in Flensburg hat. In der norddeutschen Stadt Flensburg ist das Verkehrszentralregister des Kraftfahrzeugbundesamts zu Hause, im Volksmund auch als „Verkehrssünderkartei“ bezeichnet. Hier werden alle rechtskräftigen Gerichts- und Behördenentscheidungen zu Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung gesammelt: von zu schnellem Fahren bis zu Alkohol am Steuer. Für jeden Verstoß gibt es eine bestimmte Punktzahl. Bei acht Punkten wird der Führerschein eingezogen. Wer ihn wieder erhalten möchte, muss ein halbes Jahr warten und ihn dann neu beantragen. Bevor man sich jedoch selbst wieder ans Steuer setzen darf, warten noch Nachschulungen und/oder eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung, im Volksmund auch „Idiotentest“ genannt. Wer grundsätzlich gerne schnell fährt, hat ein weiteres Problem: die Ungeduld – mit der entsprechenden Konsequenz:
„Ich fahre sehr aggressiv und reg’ mich auch schnell auf. Wenn also einer, sagen wir mal, an ’ner roten Ampel, wenn die grün wird, nicht gleich aus dem Quark kommt, dann bin ich schon auf 180.“
Wer nicht direkt losfährt, wenn die Ampel auf grün springt, nicht aus dem Quark kommt, muss damit rechnen, dass der Autofahrer hinter ihm zu hupen beginnt oder sogar wütend wird, auf 180 ist. Es gibt aber weitere Fahrertypen, die den einen oder anderen auf die Palme bringen, sehr wütend machen:
„Leute, die mit Hut fahren, die hat man besser hinter sich, nicht, dass die unheimlich langsam fahren, aber die fahren sehr unsicher. / Kriecher vor mir bringen mich auf die Palme, wenn die meinen, sie müssten die ganze Zeit links fahren. / Diese Sonntagsfahrer, das ist das Schlimmste eigentlich.“
Wer auf der Autobahn auf der linken Fahrspur kriecht, sehr langsam fährt, muss damit rechnen, rechts überholt zu werden. Dabei muss es sich nicht unbedingt um Sonntagsfahrer handeln, solche, die in aller Gemütlichkeit unterwegs sind. Es können auch ältere Autofahrer sein, Leute mit Hut. Geschwindigkeit ist aber nicht alles, was zählt. Ein weiterer Punkt: die Sauberkeit:
„Mein Nachbar, der wienert ständig das Auto nach jeder Fahrt. Wenn es nass ist, ledert er es ab, und wenn es trocken ist, dann wischt er die Spuren so untenrum, die irgendwie der Staub und Dreck gemacht hat, ab. Der kann nicht ganz dicht sein.“
Vor allem an Wochenenden und bei schönem Wetter sieht man diejenigen, die ihr Fahrzeug ausgiebig pflegen. Vor Waschstraßen Waschstraße, -n (f.) eine Halle, in der Autos auf einer Art Transportband vorwärts geschoben und dabei gewaschen werden bilden sich lange Autoschlangen, mancher säubert sein Auto auch daheim vor der Garage. Es wird liebevoll gewienert, so lange poliert etwas polieren etwas mit einem Tuch solange reinigen, bis es glänzt , gewachst etwas wachsen hier: ein Auto mit einem speziellen Wachs behandeln, um es gegen Umwelteinflüsse zu schützen , mit dem Fensterleder „abgeledert“, bis es glänzt. „Wienern“ ist nämlich eine äußerst intensive Art des Reinigens. Früher mussten Soldaten mit Wiener Putzkalk den Boden scheuern, damit der sauber wurde. Mancher versteht ein derartiges Verhalten nicht, zweifelt am Verstand der betreffenden Person. Diese ist nicht ganz dicht. Noch schlimmer ist es, wenn das Auto wieder schmutzig gemacht wird oder jemand gar nicht so viel Wert auf die Sauberkeit seines Fahrzeugs legt wie man selbst. Jemand wie Alexander versteht da keinen Spaß:
„Wenn die im Auto krümeln, wenn sie Bananenschalen ins Auto legen und nicht rausnehmen, Türen knallen, dreckige Autos, Autos, die innen dreckig sind, all diese kleinen Sachen, das könnte mich auf die Palme bringen.“
Krümel im Auto, winzige Stücke von Gebackenem wie Brötchen, sind neben anderen Dingen etwas, das Alexander auf die Palme bringt. Doch ganz egal, wie liebevoll das Auto von seinem Besitzer behandelt, gehätschelt, wurde oder wie viele PS es hat: Beim Schrotthändler sind sie alle Autos gleich – der teure schicke Sportwagen und der billige Kleinwagen. Wenn ein Auto nicht mehr zu reparieren ist, kommt es in die Schrottpresse. Zuvor müssen aber noch, wie der Schrotthändler erzählt, bestimmte Arbeitsvorgänge erledigt werden:
„Die Karossen kommen an, Betriebsstoffe werden entnommen, werden mit dem Bagger in die Presse geladen, die Presse wird beschickt, dann wird das Ding gepresst, und das Paket wird da herausgeholt, kommt auf ’n LKW und weg ist es.“
Bevor die Karossen, die Autos, in die Pressmaschine kommen, diese damit beschickt wird, werden Betriebsstoffe wie Bremsflüssigkeit, Kraftstoff oder Motoröl entnommen, aber auch noch funktionierende Autoersatzteile wie Scheinwerfer, Stoßstange oder das Getriebe. Dann geht es ganz schnell. Nach anderthalb Minuten ist von dem einst fahrbaren Untersatz nur noch ein zusammengepresster Blechhaufen übrig. Manche nennen solche Verschrottungsorte noch immer „Autofriedhöfe“, woran man erkennt, dass es sich wirklich um eine besondere Beziehung zwischen Mensch und Maschine handeln muss. Der Ausdruck wurde in einer Zeit geprägt, meint der Schrotthändler, in der man eine ganz andere Beziehung zu seinem Auto hatte als heutzutage:
„Weil, es war ja wirklich Luxus. Und wenn man dann ’n Fahrzeug abgestoßen hat, dann wurde es sicherlich nicht direkt so verarbeitet, wie es heute geschieht.“
Mancher Besitzer bewältigt das Abstoßen, die Verschrottung seines Autos, emotional nicht so gut. Er verarbeitet es nicht so leicht. Allerdings geht jeder nach Beobachtung des Schrotthändlers mit dieser Situation anders um:
„Es gibt Privatleute, die möchten dabei sein, wenn ihr Auto gepresst wird. Wir haben auch schon witzige Sachen erlebt: dass jemand kam, der sein Unfallauto gebracht hat und dann das gepresste Paket wieder mitgenommen hat und hat es sich als Gartentisch irgendwo hingestellt mit ’ner Platte drauf. Das ist alles schon dagewesen.“